Superzellen mit Großhagel suchten an diesem "WM-Freitag" im Jahre 2006 Teile Thüringens heim und liesen bis zu 6 cm große Hagelbrocken vom Himmel fallen. Leipzig wurde am Abend von einer Superzelle getroffen, die im Grenzbereich Thüringen/Sachsen-Anhalt entstanden ist.

Die folgende Analyse (Ausschnitte aus "Untersuchung des Hagelwachstums bei der Schwergewitterlage vom 16.6.2006 im Raum Leipzig") wurde uns mit freundlicher Genehmigung von Frank Heyner (Bachelorarbeit Universität Leipzig, Institut für Meteorologie) zur Verfügung gestellt. Es soll allen näher Interessierten die besonderen synoptischen Ausgangsstrukturen an diesem Tag verdeutlichen.



Superzelle bei Jägersdorf im Saale-Holzland-Kreis am Nachmittag des 16.06.2006 (Bild: Kay Herrmann)


Information: Einige Abschnitte, auf die im Laufe des Beitrags hingewiesen wird, wurden hier nicht mit eingebunden, da sonst der Rahmen dieser Analyse gesprengt würde. Die besonderen meteorologischen Bedingungen, die auf Leipzig betont werden, galten natürlich auch für Thüringen. Text unterliegt dem Copyright von Frank Heyner, die entsprechenden Grafikquellen sind angegeben. Wir danken nochmal ausdrücklich für sein Einverständnis!

Das Hagelunwetter in Leipzig ereignete sich am 16.06.2006 18 UTC (d.h. 19 MEZ - mitteleuropäische Zonenzeit bzw. 20 Uhr Sommerzeit in Deutschland). Es wurden nach Angaben des Deutschen Wetterdienstes (DWD) Hagelkörner mit einem Durchmesser von 7 cm registriert . Verantwortlich dafür war eine Superzelle, welche sich an der Grenze zwischen Thüringen und Sachsen-Anhalt aus einer Gewitterzelle heraus gebildet hatte (detaillierte Darstellung später).

Die folgende Analyse bezieht sich zuerst auf die Großwetterlage und meteorologische Gesamtwettersituation. Nachfolgend wird Entstehung und Entwicklung der Superzelle unter Beachtung der entsprechenden meteorologischen Parameter dargestellt. Dieser Abschnitt beinhaltet auch schon zum Teil die Hagelentstehung, weil Superzellen sehr effektive Hagelproduzenten sind (siehe Kapitel 4.2). Letztendlich werden daraus Schlussfolgerungen gezogen, welche (so weit wie es möglich ist) die Bildung solch großer Hagelkörner erklären.

Analysekarte vom 16.06.2006 12UTC (links) und 18UTC (rechts). Darstellung des Bodendrucks (weiße Linie), Geopotentials (schwarze Linien) und der relativen Topografie zwischen 500 und 1000 hPa (farbig) (http://www.wetter3.de/Archiv/).

Westeuropa und zum Teil auch das westliche Mitteleuropa befinden sich im Einflussbereich eines bereits abgeschwächten Höhentroges, welcher sich über Portugal hinweg bis nach Marokko erstreckt. Nördlich des Trogzentrums haben sich Tröge und Keile mit wesentlich kürzerer Wellenlänge ausgebildet. Das Wetter im östlichen Mitteleuropa wird durch einen Höhenkeil bestimmt, welcher feucht-warme Luft aus südlichen Richtungen heranführt. Eine Bestätigung dafür liefert Abb. 13: Äquivalentpotentielle Temperatur vom 16.06.2006 12UTC (links) und 18UTC (rechts) für Ostdeutschland (J. Zimmer, 2009). (Abb. 13 stellt simulierte und keine gemessenen Werte dar. Das verwendete Modell LMK – „Lokalmodell Kürzestfrist“ – erstellt numerische Wettervorhersagen für Mitteleuropa. Es nutzt eine Gitterweite von 2,8 km. Als Antrieb diente der LME-Durchlauf vom 16.06.2006 00 UTC.)

Die äquivalentpotentielle Temperatur liefert eine Aussage über den Feuchtegehalt und die Temperatur der entsprechenden Luftmasse. Hohe Werte sprechen folglich für feuchtwarme Luftmassen, während niedrige Werte typisch für trockene Kaltluftmassen sind. Anhand der Isothermendrängung in Abb. 13 lässt sich eine Luftmassengrenze (Kaltfront) erkennen. Diese trennt relativ trocken-kalte Luft (blau) im Nordwesten von relativ feuchtwarmer Luft (orange) im Südosten (bezüglich Abb. 13). Im Folgenden wird die Wetterlage hinsichtlich der für die Gewitterentstehung notwendigen Parameter (Feuchte, Labilität und Hebung) untersucht. Dabei wird insbesondere das Entstehungsgebiet der für Leipzig relevanten Superzelle betrachtet. Der konvektive Prozess, welcher zur Auslösung von Feuchtkonvektion führte, ereignete sich im Thüringer Becken nordwestlich von Erfurt. Der Bildungszeitpunkt lässt sich in etwa auf 15 UTC festlegen (erstes Niederschlagsecho: 15:30 UTC) (Abb. 14a). Auf dem Weg nach Leipzig entwickelte sich aus dieser konvektiven Zelle eine Superzelle.

Abb. 14 Niederschlagsradar vom 16.06.2006 von 15:30 UTC ( (a) – links oben) bis 20:00 UTC ( (f) – rechts unten) in Abständen von jeweils 30 min (www.wetterspiegel.de).

Leipzig befand sich am 16.06.2006 im Einflussbereich feuchter Warmluft, wie bereits in Abb. 13 ersichtlich wurde. Für die Gewitterentwicklung ist vor allem der Feuchtegehalt der unteren Troposphäre entscheidend (Abb. 15): Abb. 15 zonaler Vertikalschnitt im Bereich der geografischen Breite von Leipzig / Erfurt (relative Luftfeuchtigkeit – blau, Isothermen der potentiellen Temperatur – schwarze Linien) (J. Zimmer, 2009).

Leipzig befindet sich im Bereich zwischen x = 250 und 300 km, während das Entstehungsgebiet der für Leipzig relevanten Superzelle zwischen x = 150 und 200 km liegt. In der unteren Troposphäre (bis ca. 3 km) ist die relative Luftfeuchtigkeit recht hoch (80% und höher). Dadurch wird im Falle eines vorhandenen Hebungsantriebes das Kondensationsniveau in verhältnismäßig geringer Höhe erreicht. Folglich werden große Mengen an latenter Wärme freigesetzt. Das Luftpaket wird dadurch ab dem LFC (Level of free convection = das Niveau der freien Konvektion oder des freien Aufstiegs) wärmer als die Umgebung und kann somit von allein - das heißt ohne Hebungsantrieb - weiter aufsteigen. Die feuchte Grundschicht (in Abb. 15) wird von einer trockeneren Schicht (zwischen 4 und 6 km) überlagert. Solch eine vertikale Feuchtekonstellation bezeichnet man als „potentielle Instabilität“ (oder „potentielle Labilität“). Der Begriff „potentiell“ wird verwendet, weil die Überlagerung von feuchter mit trockener Luft noch keine Auswirkung auf das vertikale Temperaturprofil hat. Erst ein großräumiger (synoptisch-skaliger) Hebungsantrieb, welcher beide Schichten hebt, lässt die Labilität entstehen. Die feuchte Schicht kühlt sich infolge von Kondensationswärme deutlich langsamer ab (-0,6K/100m), als die trockene Schicht (-1K/100m). „Potentielle Instabilität“ ist auch durch mit der Höhe abnehmende ThetaE-Werte (äquivalentpotentielle Temperatur) gekennzeichnet (Abb. 16):

Abb. 16 zonaler Vertikalschnitt im Bereich der geografischen Breite von Leipzig / Erfurt (Isothermen der äquivalentpotentiellen Temperatur - farbig) (J. Zimmer, 2009).

Zusätzlich zur „potentiellen Instabilität“ lässt sich das Vorhandensein von „bedingter Instabilität“ in Form von CAPE nachweisen. Im Gegensatz zur potentiellen Instabilität (äquivalentpotentielle Temperatur mit der Höhe abnehmend) ist bei bedingter Instabilität (potentielle Temperatur mit der Höhe abnehmend) die Labilität bereits vorhanden und muss nicht erst durch synoptisch-skalige Hebung der gesamten Schicht erzeugt werden. Zur Freisetzung der bedingten Instabilität (CAPE) muss ein Luftpaket bis zum LFC (dynamisch oder thermisch) gehoben werden. Am 16.06.2006 waren nach dem Radiosondenaufstieg von Lindenberg um 12 UTC (Abb. 18) CAPE-Werte von 600 – 700 J/kg vorhanden. Nach den Vorhersagetemps für die Entstehungsregion der Superzelle (Abb. 17) wurden im Bereich von 14 – 15 UTC CAPE-Werte von 1900 – 2000 J/kg erreicht:

Vorhersagetemps für die Entstehungsregion der für Leipzig relevanten Superzelle (J. Zimmer, 2009).

Nach Richard Thompson und Roger Edwards werden (für „klassische Superzellen“) CAPE-Werte von 1500 – 3500 J/Kg für eine superzellentypische Umgebung angegeben. Es kann aber auch bei CAPE von weniger als 1500 J/kg zur Entstehung von Superzellen kommen, wenn die Windscherung entsprechend groß genug ist (siehe: 3.1 Superzellen - Definition und grundlegende Struktur). Folglich liegen am 16.06.2006 im Raum Leipzig atmosphärische Bedingungen bezüglich der Labilität vor, welche für die Entstehung von Superzellen förderlich sind. Labilität und Feuchte sind dem vorherigen Abschnitt nach vorhanden. Zur Auslösung von Feuchtkonvektion wird demnach noch ein Hebungsantrieb benötigt, welcher die Labilität freisetzt. Nach Abb. 18 kann ein rein thermischer Hebungsantrieb (d.h. Hebung eines Luftpaketes vom Boden ausgehend nur durch solare Einstrahlung) nahezu ausgeschlossen werden:

 

Abb. 18 Radiosondenaufstieg von Lindenberg am 16.06.2006 12UTC (links) (http://weather.uwyo.edu/upperair/sounding.html) und Temperatur deutschlandweit vom 16.06.2006 15UTC (rechts (http://www.wetteronline.de/).

Dabei wird der Radiosondenaufstieg von Lindenberg als verhältnismäßig repräsentativ für die Region Leipzig und das Thüringer Becken vorausgesetzt. Lindenberg war von ähnlichen konvektiven Ereignissen wie Leipzig betroffen. Die jeweilige Tageshöchsttemperatur (Leipzig: 26°C, Lindenberg: 27°C) sowie die topografischen Rahmenbedingungen sind in beiden Städten ähnlich. Als Begründung für den Ausschluss rein thermischer Hebung wird die feucht-konvektive Auslösetemperatur aus dem Radiosondenaufstieg heraus abgeschätzt. Dabei bestimmt man zuerst das CCL, welches als Schnittpunkt zwischen der vom gemittelten Taupunkt der untersten bodennahen Schichten ausgehenden Isohume (Linie konstanten Sättigungsmischungsverhältnisses) mit der Umgebungskurve (Temp) definiert ist. Vom CCL aus geht man trocken-adiabatisch bis zum Ausgangsniveau (Erdoberfläche) herab. Die an diesem Schnittpunkt mit der Temperaturachse abgelesene Temperatur entspricht der feucht-konvektiven Auslösetemperatur. Wird diese erreicht oder überschritten kann Feuchtkonvektion durch rein thermische Hebung ausgelöst werden. Im Fall vom 16.06.2006 12 UTC erhält man einen Wert von etwa 28 – 30°C. Das liegt geringfügig oberhalb der für Leipzig und Lindenberg gemessenen Tageshöchsttemperatur. Noch deutlicher wird der Unterschied bei der Betrachtung der Entstehungsregion der für Leipzig relevanten Superzelle. Im Thüringer Becken nordwestlich von Erfurt wird nur noch eine Tageshöchsttemperatur von maximal 24°C erreicht. Dies liegt deutlich unter der notwendigen Auslösetemperatur (d.h. thermische Hebung existiert trotzdem, reicht aber alleine für die Auslösung von Feuchtkonvektion nicht aus). Folglich muss für die Gewitterauslösung ein dynamischer Hebungsantrieb vorhanden sein. Abb. 19 zeigt einen dynamischen Hebungsantrieb in Form einer Bodenwindkonvergenz:

Abb. 19 Windrichtung (schwarze Pfeile) und Windgeschwindigkeit (Einheit: Bft) (10 m über Grund) deutschlandweit am 16.06.2006 15UTC (http://www.wetteronline.de/).

Der blau markierte Bereich weist eine Richtungskonvergenz der Windgeschwindigkeit auf. In der rechten Hälfte des Kreises weht der Wind aus Nord bis Ost, während er in der linken Kreishälfte aus Nordwest bis Südwest kommt. Weiterhin ist bezüglich des Bodenwindes auch noch eine Geschwindigkeitskonvergenz erkennbar. Von der Kreismitte bis hin zum oberen rechten Kreissegment wird eine Windstärke von 1 Bft registriert. Im restlichen Bereich der markierten Region herrscht hingegen Windstärke zwei bis drei vor. Folglich herrscht ein Luftmassenstau in Bodennähe vor. Aufgrund der Massenerhaltung (Kontinuitätsgleichung) muss die Windkonvergenz am Boden durch aufsteigende Vertikalbewegung ausgeglichen werden, weil die Luft nicht in den Boden hinein ausweichen kann. Für diese eben beschriebene Bodenwindkonvergenz sind sowohl die über Deutschland liegende Kaltfront und ein schwaches Bodentief im westlichen Tschechien, als auch die topografischen Gegebenheiten Mitteldeutschlands ausschlaggebend. Die vor und an der Kaltfront herrschenden Bodenwinde sind in Abb. 20 dargestellt:

Abb. 20 Windrichtung und Windgeschwindigkeit (10 m über Grund) und Bodendruck (dünne blaue Linien) für Mitteleuropa am 16.06.2006 12UTC (www.wetter3.de).

Das schwache Bodentief südlich des Erzgebirges und östlich des Fichtelgebirges (auch in Abb. 12 erkennbar) zieht die Luft in sein Zentrum hinein. Aufgrund der Lage des Tiefzentrums und der Form der herumführenden Isobaren weht der Wind in Sachsen bzw. am Ostrand des Thüringer Beckens aus Nordost. Weiter westlich (d.h. am Westrand des Thüringer Beckens) kommt der Wind aus Nordwest (siehe Abb. 20 und Abb. 19). Der Einfluss der Topografie (Erzgebirge, Fichtelgebirge, Thüringer Wald und Harz) auf die Bodenwindkonvergenz wird durch Abb. 21 verdeutlicht:

Abb. 21 Topografische Karte von Mitteldeutschland (http://www.mygeo.info/landkarten_deutschland.html) mit Bodenwindrichtung (schwarze durchgezogene Pfeile) und schematisch durch Topografie abgelenkte Bodenwinde (schwarze strichlierte Pfeile Die schwarzen Pfeile markieren die jeweilige Windrichtung. Nicht durchgezogene Linien stellen die ablenkende bzw. verstärkende Wirkung der Topografie dar. Das Erzgebirge ist annähernd parallel zur vorherrschenden Windrichtung (Nordost) in Sachsen orientiert. Der bodennahe Wind strömt folglich entlang des Erzgebirges in Richtung Südwest. Im Vogtland angelangt wird die Windrichtung durch Fichtelgebirge und Frankenwald auf Ost abgelenkt. Der östliche Thüringer Wald lässt den Wind letztendlich aus Südwest in das Thüringer Becken hineinströmen. Analoges ereignet sich zwischen Harz und dem westlichen Thüringer Wald. In diesem Bereich weht der Wind aus Nordwest. Beide Mittelgebirge sind parallel zur dort vorherrschenden Windrichtung ausgerichtet. Dadurch wird der Wind auch in gewisser Weise kanalisiert und demzufolge verstärkt (Düseneffekt) (zum Teil auch in Abb. 19 erkennbar).

In kleinräumigerem Maßstab ist dieser Effekt bei Winden aus Nordwest auch zwischen Hainleite und Hainich im oberen Unstrut-Tal vorhanden. Weht der Wind aus dem oberen Unstrut-Tal in das Thüringer Becken hinein, erzeugt das eine bodennahe horizontale Divergenz der Stromlinien. Dadurch verringert sich die Windigkeit. Die eben beschriebenen topografischen Einflüsse führen zu einer Richtungs- und Geschwindigkeitskonvergenz des Bodenwindes im Thüringer Becken und am Nordrand des Thüringer Waldes. Dadurch wird der am 16.06.2006 zur Auslösung von Feuchtkonvektion notwendige dynamische Hebungsantrieb bedingt. Folglich ist bei Nordostwind am Erzgebirgsnordrand und Nordwestwind zwischen Harz und Thüringer Wald das Thüringer Becken bzw. der Nordrand des Thüringer Waldes eine geografische Region in der eine Bodenwindkonvergenz hervorgerufen wird. In Verbindung mit einer potentiellen Gewitterlage sollte diese Region (auch bei geringer Temperatur) bei der eben erwähnten Windkonstellation - hinsichtlich der Auslösung von Feuchtkonvektion - besondere Beachtung erhalten. Als eine weitere mögliche Ursache für die Bodenwindkonvergenz im Bereich des Thüringer Beckens kann der Lee-Trog aufgrund der südwestlichen Anströmung des Thüringer Waldes aufgeführt werden. Das Zurückhalten der präfrontalen Konvergenzzone durch das Erzgebirge kommt ebenfalls als Ursache für die Bodenwindkonvergenz in Betracht. Beide Phänomene werden hier nur exemplarisch aufgeführt und im Folgenden nicht näher untersucht. Das Gewitter wurde nach dem vorangegangenem Abschnitt im Thüringer Becken ausgelöst. Die Entwicklung zur Superzelle ereignete sich, während die Gewitterzelle in Richtung Leipzig zog. Für die Entstehung der für Leipzig relevanten Superzelle war vor allem vertikale Windscherung verantwortlich:

Abb. 22 Vertikale Windscherung (DLS – deep layer shear: farbig, LLS – low level shear: dünne graue Linien) vom 16.06.2006 16UTC (links) und 17UTC (rechts) (J. Zimmer, 2009).

Zur Berechung der DLS addiert man die Windscherungsvektoren (d.h. die differentiellen horizontalen Vektoren zwischen zwei Windgeschwindigkeitsvektoren in verschiedenen Höhen) zwischen 0 und 6 km Höhe und bildet anschließend den Betrag des resultierenden Vektors. Dieser Wert ergibt die DLS. Zwischen 0 und 3 km Höhe erhält man analog die LLS. Für die Entstehung einer Superzelle ist vor allem die DLS entscheidend. Hohe LLS-Werte spielen (nach Przybylinski, 2000) bevorzugt bei der Entwicklung bogenförmiger Radarechos (bow echoes) eine tragende Rolle. Darauf wird allerdings im Folgenden nicht weiter eingegangen. Der untere DLS-Grenzwert, ab dem eine Superzellenentwicklung sehr wahrscheinlich ist, liegt in etwa bei 20 m/s. Nach Matthew J. Bunkers (2001) treten Superzellen in einer Umgebung mit DLS-Werten von unter 20 m/s sehr selten auf. 95% aller Superzellen wurden bei über 25 m/s DLS beobachtet. Folglich definierte er einen Bereich von 20 – 25 m/s als unteren Schwellenwert. Der National Weather Service (2001) gibt als untere Grenze 18 m/s an und ab etwa 21 m/s DLS sind nach dieser Quelle Superzellen wahrscheinlich. Im Allgemeinen findet man in der Literatur ähnliche Angaben, welche sich auf einen unteren DLS-Schwellenwert für eine superzellenträchtige Umgebung von etwa 20 m/s einpendeln. In Abb. 22 ist die DLS (0 – 6 km) farbig dargestellt. Man erkennt im Entstehungsgebiet DLS-Werte von 26 – 30 m/s. Folglich liegt eine Umgebung vor, in welcher die Bildung einer Superzelle (siehe auch 3.1 Superzellen - Definition und grundlegende Struktur) sehr wahrscheinlich ist. Die Entstehung der Superzelle und die des großen Hagels (bis 7 cm Durchmesser) ist auch auf das Vorhandensein einer EML (elevated mixed layer) zurückzuführen. Die EML ist eine grenzschicht-entkoppelte Mischungsschicht, welche in etwa zwischen 2 und 4 km Höhe liegt. Diese Schicht ist durch eine trocken-adiabatische Temperaturabnahme mit der Höhe gekennzeichnet. Innerhalb der EML folgt der Taupunkt einer Linie konstanten Sättigungsmischungsverhältnisses (Isohume). Die Entstehungsgebiete der EML liegen vor allem in den Hochebenen Spaniens, der Sahara und der Türkei. Die trockene konvektive Grenzschicht (d.h. ohne Einsetzen von Feuchtkonvektion) wird durch Sonneneinstrahlung erwärmt und trocken-adiabatisch durchmischt. Je geringer die Obergrenze der konvektiven Grenzschicht, desto stärker wird diese erwärmt, weil einem kleineren Volumen die selbe Energiemenge zugeführt wird. Durch synoptische und / oder orografische Hebung wird die trocken konvektive Grenzschicht bis in die untere mittlere Troposphäre gehoben. Dadurch entsteht die EML. Die Entstehung einer EML in Deutschland ist demnach eher unwahrscheinlich. Folglich wird die EML oftmals durch eine südwestliche Strömung aus Spanien über Frankreich bis nach Deutschland advehiert. Die Alpen kommen auch zum Teil als Entstehungsgebiet in Betracht. Die am 16.06.2006 vorhandene EML lässt im Radiosondenaufstieg von Lindenberg erkennen:

Vergrößerung von Abb. 18 (links) (http://weather.uwyo.edu/upperair/sounding.html).

Der orange eingekreiste Bereich in Abb. 23 kennzeichnet die EML. Diese wirkt sich positiv auf die Intensität der Superzelle und das Hagelwachstum aus. In der mittleren Troposphäre herrscht infolge der EML ein starkes (trocken-adiabatisches) Temperaturgefälle mit der Höhe. Dadurch wird die Labilität (CAPE) und folglich auch der Auftrieb verstärkt. Die Aufwindgeschwindigkeit (im mittleren Niveau der Zelle) erhöht sich somit. Das führt zu Streckung des Aufwindturmes und erhöht nach Vorticitygleichung (Stretching-Effekt) die Rotation der Superzelle. Hohe Aufwindgeschwindigkeiten im mittleren Niveau der Superzelle (d.h. in der  Hauptwachstumszone für Hagelkörner, siehe auch Abb. 11) können auch große Hagelkörner in der Schwebe bzw. in diesem Höhenniveau halten. Dadurch erhöht sich deren Aufenthaltszeit in der Hauptwachstumszone. Resultat davon ist ein effektives Hagelwachstum. Eine weitere vorteilhafte Eigenschaft der EML bezüglich des Hagelwachstums ist ihre verhältnismäßig geringe Luftfeuchtigkeit. Die EML ist eine relativ trockene Schicht und ermöglicht somit ein schnelles Anfrieren unterkühlten Wassers. Dadurch kann das Hagelkorn effektiv an Größe zunehmen. Zusätzlich dazu schmilzt der Hagel beim Fall durch die EML auch kaum ab. Beim passieren einer trockenen Schicht (EML) kann das auf der Oberfläche des Hagelkorns entstandene Wasser rasch verdunsten. Die dabei freigesetzte Verdunstungskälte kühlt den Hagel, sodass nur ein unwesentlicher Teil der Oberfläche abschmilzt. Die durch die EML großräumig freigesetzte Verdunstungskälte führt zum Absinken der WBZ. Dadurch wird die vom Erdboden ausgehende Schicht unterhalb der WBZ (d.h. die Schicht, in der das Hagelkorn beginnt abzuschmelzen) verkleinert. Das fallende Hagelkorn verbleibt demnach länger in einer Umgebung, in der es nur unwesentlich abschmilzt oder sogar noch anwächst. In Abschnitt 4.2  („Hagelentstehung innerhalb einer Superzelle“) wurde bereits erwähnt, dass Superzellen sehr effektive Hagelproduzenten sind. Die meisten Hagelkörner mit einem Durchmesser von über 5 cm treten im Zusammenhang mit Superzellen auf. Das Vorhandensein einer Superzelle am 16.06.2006 18 UTC über Leipzig in Verbindung mit der EML war folglich der Grund für das Auftreten von Hagelkörnern mit einem Durchmesser von bis zu 7 cm.


Hagel in Jena (links, Bild: Jörg Rummel) / Gewitterzelle bei Jena (rechts, Bild: Igor Slovak)

Sehr große Hagelkörner im Stadtgebiet von Leipzig (Bilder: Karsten Haustein)

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