Gewitter

Jährlich sorgen Überflutungen, Blitz- und Hagelschlag, starke Winde und auch Tornados für hohe Sachschäden in Thüringen. Leider werden auch immer wieder Menschen verletzt oder gar getötet. Die Thüringer Landschaft hat dabei einen entscheidenden Einfluss auf die Verteilung und Stärke der Gewitter.

Trotz des heutigen Stands der Wettermodelle, die zeitlich und räumlich schon sehr gute Ergebnisse in der Vorhersage liefern, sind Gewitter nicht punktgenau im Voraus einzugrenzen. Verschiedene regionale Faktoren neben der Windströmung spielen in Thüringen eine nicht zu verachtende Rolle. Gewitterhöhepunkt sind in der Saison von April bis September die Monate Juni und Juli zwischen 15:00 und 19:00 Uhr. In der Nacht ist es bevorzugt die 2. Nachhälfte zw. 02:00 und 06:00 Uhr morgens. Dabei zeichnet sich eine höhere Gewitteraktivität im Süden und Osten des Landes ab, wie die folgenden Karten der Thüringer Landesamt für Umwelt, Bergbau und Naturschutz (TLUBN) zeigen.

Hier gibt's die meisten Gewitter

 

© Karte: Thüringer Landesamt für Umwelt, Bergbau und Naturschutz (TLUBN)

Die von einem Gewitter ausgehenden Gefahren sind breit gefächert und werden oftmals vernachlässigt bzw. zu spät wahrgenommen. Oftmals treten die Schäden sehr schnell auf, sodass man nur wenig oder gar keine Vorbereitungszeit hat. Mit einigen grundlegeden Regeln und Informationen können Sie die Gefahren minimieren und Schäden vorbeugen.

Grundsätzliche Verhaltensregeln bei einem Gewitter

- Sachwerte können ersetzt werden! Ihr Leben sollte Priorität haben!
- Sind Gewitter angekündigt, sollten Sie Ihre Freizeitplanung entsprechend darauf einstellen bzw. ändern!
- Bei einem nahenden Gewitter sollten Outdooraktivitäten sofort unterbrochen und Schutzmöglichkeiten aufgesucht werden!
- Feste Gebäude sollten erstes Mittel der Wahl zum Schutz sein.
- Fahrzeuge mit Metallkarosserie bieten den sichersten Schutz vor Blitzschlägen (aber nicht Tornados)!
- Fahrten mit dem Motorrad oder dem Fahrrad sollten bei einem Gewitter nicht durchgeführt bzw. unterbrochen werden!
- Halten Sie sich bei Gewittern nicht im Wasser auf. Verlassen Sie rechtzeitig das Wasser!
- Einzelne Bäume, Baumgruppen, Bergkuppen, Aussichtstürme etc. sollten verlassen und gemieden werden. Freie Flächen (Weiden, Felder, Golf- und Fußballplätze) ebenso!
- Wenn Sie vom Gewitter überrascht werden, gehen Sie in die Hocke und stellen Sie die Beine eng aneinander!
- Gegenstände aus Metall, Elektrozäune und jegliche Elektrizitätsmasten während eines Gewitter nicht benutzen bzw. sich in der Nähe aufhalten!
 
 

BLITZE: Über Schrittspannung, Blitzüberschläge und "Buchen sollst du suchen"

Ein Blitz gleicht als elektrische Ladung den Spannungsunterschied zwischen der Gewitterwolke und dem Erdboden aus. Er entfaltet dabei gewaltige Kräfte (mehrere 100 Mio. Volt Spannung, Stromstärken von 30.000 Ampere und ist ca. 30.000°C heiß).

Faustregel: Sekunden zwischen Blitz und Donner zählen (Bsp.: 10sek), die gezählten Sekunden mit 340 multiplizieren und man erhält die grobe Entfernung des Gewitters in Metern (10sek x 340m = 3.400 m = 3,4 km). Die Rechnung ergibt sich daraus, dass der aus dem Knall entstehende Donner Schallgeschwindigkeit (ca. 340 m/s) erreicht.

Schlägt der Blitz direkt in den menschlichen Körper ein, kann es zum Herzstillstand mit Todesfolge, Gehirnschädigungen und schweren Verbrennungen kommen, um nur einige Auswirkungen aufzuzählen. Doch warum werden auch Menschen verletzt, die nicht direkt vom Blitz getroffen wurden? Die Grafik links zeigt es: Um den Einschlagspunkt eines Blitzes befindet sich ein ca. 30 bis 40 Meter großer Radius, mit der sich der Strom am Boden ausbreitet. Menschen, die in diesem Bereich stehen und die Beine gewöhnlich nicht eng aneinander anliegen haben, leiten so den Strom in den menschlichen Körper. Ist der Boden zudem schon feucht, kann der Strom noch weitere Meter fließen ("Kriechstrom").

Es ist immer noch eine Gewohnheit, dass sich der Mensch bei einem beginnenden Schauer oder Gewitter unter Bäume flüchtet, um Schutz zu suchen. Verstärkt wird diese Tatsache noch durch eine Bauernregel, die u.A. beinhaltet: "Buchen sollst du suchen". Das ist vollkommen falsch und lebensgefährlich! Dem Blitz ist es herzlich egal in welchen Baum er einschlägt. Unter einem Baum vor einem Gewitter Schutz zu suchen gehört zweifellos zu den fahrlässigsten Fehlern überhaupt. Schlägt der Blitz in den Baum ein, springt die Entladung auf den menschlichen Körper über (=Blitzüberschlag). Da durch die extreme Temperatur des Blitzschlages das Wasser im und am Baum explosionsartig verdampft, werden zudem Rinde, Äste oder ein Teil des Baumes regelrecht gesprengt (siehe Video unten).

Grafik: VDE e.V. (www.vor-blitzen-schuetzen.eu)

 

STARKREGEN: Sturzfluten und Aquaplaning - "das ging so schnell..."

Neben Blitzen tritt bei Gewittern starker Regen auf. Binnen weniger Minuten kann dabei ein richtiger Wolkenbruch niedergehen, der Überflutungen selbst an Orten verursacht, bei denen man nicht zwingend mit Überschwemmungen rechnet. In wenigen Augenblicken kann das Wasser zentimeterhoch stehen, im schlimmsten Fall kommt es als Flutwelle, die einen halben Meter oder höher sein kann und dann Autos, lose Gegenstände und vieles mehr mitreißt. Solche "flash floods" (Sturzfluten, Schlammlawinen) verursachen in Thüringen häufig Schäden wenn sie Straßen beschädigen, Grundstücke überfluten und in Häuser sowie Tiefgaragen eindringen.

Besonders tückisch sind Wasseransammlungen auf Autobahnen. Hier reichen nur wenige Zentimeter, damit ein Fahrzeug bei hoher Geschwindigkeit "aufschwimmt". Man spricht in solchen Fällen von Aquaplaning. Ebenso gefährlich sind Wasserfontänen, die von anderen Spuren herüberspritzen.

Durch Starkregene ausgelöste Überflutungen (flash floods) in Thüringen:

Links: Troistedt/Weimarer Land am 27.04.2014. Rechts: Das Geraer Unwetter vom 05.07.2012

Sicherheitshinweise:

- Bäche und Flüsse können rasant steigen, Dämme können brechen!
- Dringt Wasser in die Kellerräume ein, den Keller nicht mehr betreten um Sachwerte zu retten. Häufig steigt das Wasser so schnell, dass Ertrinkungsgefahr besteht!
- Meiden Sie bei Autofahrten überschwemmte Straßen. Ab einer gewissen Höhe kann nicht nur Wasser in den Motorraum angesaugt werden, sondern auch das Fahrzeug beginnt zu schwimmen!
- Werden Sie vom Wasser im PKW überrascht und eine Flucht aus dem Gefahrenbereich ist noch möglich, fahren Sie weiter!
- Besonders nachts sollte man noch wachsamer sein, da Überflutungen noch schlechter zu sehen sind!
 

HAGEL: Wenn uns das Gewitter bombardiert

Die Überschrift verleitet zum Schmunzeln, doch wer schon einmal einen Hagelschauer mit größeren Hagelschlossen erlebt hat, wird diese Aussage bestätigen. Hagel entsteht innerhalb der Gewitterwolke, wenn die Wassertröpfchen durch den Aufwind in große Höhen getragen werden, wo sie gefrieren. Sie beginnen dann wieder zu fallen und der Kreislauf wiederholt sich so lange, bis das Hagelkorn so groß und schwer ist, dass es der Aufwind nicht mehr tragen kann und der Hagel nach unten fällt.

Es ist eine Kombination aus Größe und Gewicht der Hagelschlosse in Verbindung mit dem Abwind, mit dem er nach unten fällt. Bei schweren Gewittern und Superzellen werden große Hagelschlossen nach unten geschleudert. Diese schlagen Putz von den Hauswänden, haben schon Dachziegel durchbrochen, entlauben Bäume und vernichten ganze Ernten. Schon ein Hagelkorn ab 1cm Größe kann auf dem menschlichen Körper Schmerz verursachen. Blaue Flecken und Platzwunden sind bei größeren Exemplaren keine Seltenheit. Noch größere Hagelbrocken führen schlimmstenfalls zu Schädelbrüchen. Auch für die Luftfahrt ist Hagel ein ernstes Problem.

Links: Hagel auf der A38 im Mai 2011. Rechts: 14cm großer Hagel vom 06.08.2013 in Reutlingen (BaWü):

Sicherheitshinweise:

- Suchen Sie feste Gebäude auf und halten Sie Abstand von Fenster und Türen!
- Sind Sie mit dem PKW unterwegs, versuchen Sie eine stabile Überdachung zu finden (z. B. Tiefgarage, Tankstelle, ...)!
- Bei Hagelansammlungen besteht Gefahr von Glätte, passen Sie Ihr Tempo an!
- Wenn sie im Freien unterwegs sind, halten Sie sich Tasche, Rucksack, etc. über den Kopf und suchen Sie Schutz!
 

WIND: Als Fallböen, Böenfront oder Wirbel

In Verbindung mit Gewittern treten unterschiedlich starke Windböen auf. Diese können räumlich betrachtet ein kleines Gebiet (Fallböen) oder ein größeres Gebiet (Böenfronten) betreffen. Die Gewitterabwinde erreichen je nach Intensität des Gewitters Geschwindigkeiten zw. 62 und 102 km/h, in sehr starken Fällen Orkanstärke über 103 km/h. Gerade Gewitterfallböen (Downbursts) können noch höhere Geschwindigkeiten erreichen und ohne Vorwarnung Schaden anrichten. Bei Böenfronten in Verbindung mit Gewitterlinien oder größeren Gewitterclustern findet sich an der Vorderseite dieser Systeme eine Böenfront. Ihr Ausmaß kann hunderte Kilometer umfassen. In diesem Bereich können in einem größeren Gebiet Windschäden verursacht werden.

Der Wind sorgt in Kombination mit anderen Begleiterscheinungen wie Starkregen und Hagel für eine Erhöhung des Gefahrens- und Schadenspotentials. Starkregen mit Wind vermischt vermindert beispielsweise die Sicht im Freien und Wasser kann besser in Autos oder Gebäude eindringen. Bei Hagel wird es noch einmal gefährlicher, denn durch den Wind erfährt jede Hagelschlosse noch einmal eine Beschleunigung. Hagel fiel schon mit über 100 km/h vom Himmel! Durch den Wind werden Äste, lose Gegenstände, Dachziegel u.v.m. durch die Luft geweht. Bäume und Masten können knicken.

Tornados richten die schwersten windbedingten Schäden an: Besonders die umherfliegenden Trümmer mit hoher Fluggeschwindigkeit sind sehr gefährlich. Sie durschlagen PKW, Fenster, Kunststoff und den menschlichen Körper. Gebäude können schwere Schäden bis zum Einsturz davontragen.

Sicherheitshinweise Gewitterabwinde/Fallböen/Böenfronten:

- Vor dem Gewitter Gebäude aufsuchen, Fenster, Dachluken etc. schließen!
- Lose Gegenstände vor einem aufziehenden Gewitter sichern oder ins Gebäude bringen!
- Abstand von Bäumen halten. Nicht nur der Baum selbst kann umfallen, umherfliegende Äste können ebenfalls Verletzungen hervorrufen!
- Dachziegel können sich lösen und herabfallen. Halten Sie Abstand von Gebäuden!
- Ist das Gewitter bereits im Gange und Gegenstände werden umhergeweht, gehen Sie nicht mehr raus um Sicherungsmaßnahmen zu unternehmen!
- Beim Autofahren mit plötzlichem Seitenwind rechnen. Abstand halten zu Hängergespannen und LKW!

Sicherheitshinweise Tornado

- Suchen Sie Schutz in festen Gebäuden (am Besten im Keller oder der Mitte des Hauses)!
- Auf keinen Fall in der Nähe von Fenstern oder Türen aufhalten!
- Werden Sie im Freien überrascht, suchen Sie einen Graben oder eine Senke auf und halten Sie sich die Hände über den Kopf! Aber aufgepasst, Gräben und Senken können sich auch rasch mit Wasser füllen!

MENSCH und TIER: Wenn wir selbst zur Gefahr werden

Jeder Mensch erlebt in seinem Leben unterschiedlich viele Gewitter. Je länger ein Zeitraum ohne solch ein Ereignis andauert, umso nachlässiger wird man gegenüber den Gefahren von Gewittern und deren Auswirkungen. Unmittelbare Blitzschläge können nicht nur Verletzungen hervorrufen, sondern auch Panik verursachen. Eine Gewitterfront mit Starkregen, Hagel und Windböen im Sturm- bzw. Orkanbereich, die beispielsweise auf ein Großveranstaltung trifft, kann für eine Vielzahl unterschiedlicher Verletzungen sorgen. Ein trauriges Beispiel dafür ist das Bow Echo, welches am 18.08.2011 das "Pukkelpop Festival" in Belgien traf. Auf dem Festivalgelände flogen nicht nur Äste und Zelte auf dem Gelände umher, sondern auch Teile von der Bühnentechnik und Bäume. Leider gab es mehrere Tote und zahlreiche Verletzte. Die nachfolgenden Videos verdeutlichen die Auswirkungen:

Am 09.05.2013 erlitten 39 Besucher bei einer Veranstaltung am Holzendorfer See (bei Schwerin) Verletzungen, nachdem der Blitz auf das Festivalgelände einschlug.

Während der Fahrt mit dem PKW kann es durch Blitzschlag, Aquaplaning, etc. zu unvorhersehbaren Reaktionen der Autofahrer kommen. Genügend Abstand und eine angepasste Fahrweise beugen Unfällen vor. Es hilft auch nicht das größte Vertrauen in die Elektronik des Fahrzeuges, denn auch Stabilitätsprogramme geraten an physikalische Grenzen.

In 2013 kam es zuletzt mehrmals vor, dass Tiere während eines Gewitters aus Ihrer Weide in Panik ausbrachen und verwirrt in Ortschaften liefen (z.B. in Tambach-Dietharz) oder Straßen blockierten. Windböen schleuderten schon Katzen und Hunde einige Meter durch die Gegend. Die Auswirkungen eines Tornados sind noch einmal schlimmer, denn dann können Tiere hunderte Meter durch die Luft gewirbelt oder durch umherfliegende Trümmer verletzt bzw. getötet werden.

Die Klassiker: Einzel- und Multizellen

Eine einzelne Gewitterzelle, aus der im Verlauf keine weitere Zelle hervorgeht, ist sehr selten. Ein Gewitter hat bekanntlich einen Aufwind- und einen Abwindbereich. Die ausströmende kalte Luft hebt die warme Luft in ihrem Umfeld wieder an und sorgt für eine Wiederholung der Gewitterentwicklung. Ab diesem Zeitpunkt müsste demnach schon von einer Multizelle gesprochen werden, da ein neues Auf- und Abwindsystem in Gang gesetzt wurde. Meist entstehen solche Zellen in einer einheitlichen Luftmasse bevorzugt über den Gebirgen. Der Thüringer Wald ist dafür ein sehr gutes Beispiel. Häufig fällt unter solchen Bedingungen die Intensität des Gewitters nur für sehr kurze Zeit markant oder kräftig aus, nämlich dann, wenn es seinen Reifeprozess erreicht hat. Stirbt die Zelle ab und es entwickelt sich um Umkreis keine weitere Zelle, kann man von einer Einzelzelle sprechen. Im Normalfall entsteht jedoch bald eine weitere Zelle aus der ersten Zelle, also eine Multizelle.

Beispiel Multizelle:

Bild: M. Weggässer

Multizellen machen den Großteil der Gewitter hierzulande aus. Maßgebend ist auch hier am Anfang eine Einzelzelle, an der sich jedoch an ihrem Ende, dort wo der Niederschlag fällt, am Rand zur warmen Umgebungsluft eine neue Gewitterzelle bildet. Durch die ausströmende Kaltluft der 1. Zelle wird die warme Umgebungsluft wieder angehoben, der Kondensationsprozess eingeletet und eine neue Quellwolke (Cumulus) entsteht. Sie durchläuft nun die gleichen Stadien wie die 1. Zelle, während sie sich mit der Höhenströmung (häufig Südwest-Nordost) verlagert. Das obige Bild zeigt eine typische Multizellenentwicklung.

Rückwärtsgang? Wenn sich Gewitter retrograd verlagern

Im Volksmund herrscht teilweise die falsche Meinung, dass ein Gewitter mit noch einmal "zurück kommt". Dies ist garantiert nicht der Fall! Gewitter verlagern sich grundsätzlich mit der Höhenströmung von ihrem Entwicklungsort fort. Die Gewitter können nicht einfach in den Rückwärtsgang schalten. Bei Luftmassengewittern, wo keine nennenswerte Höhenströmung zu finden ist, unterliegen die Gewitterzellen ihrem Eigenleben. Stirbt die erste Zelle ab, bildet sich in ihrem Umfeld (meist am Süd- oder Westende) durch die kalten Abwinde neue Gewitterzellen. Diese entstehen versetzt von dem Gebiet der ersten Gewitterzelle nach Süden/Westen, sodass der Eindruck entsteht, die Gewitter ziehen rückwärts, zumal sich der Ambossschirm der ersten Zelle nach Norden ausbreitet. Bilden sich solche Gewitter über dem Thüringer Wald, können die verwehten, faserigen Schirme bis ins Thüringer Becken reichen. Rückwärtsziehende Gewitter werden in Fachsprache als "retrograd entwickelte Gewitter" bezeichnet. In den Entwicklungsgebieten kommt es immer wieder durch Starkniederschläge und Dauerregen zu plötzlich auftretenden Überflutungen (Sturzfluten oder "flash floods").

 

Bild: M. Schwamberger

Eine weitere Möglichkeit der scheinbar rückwärts ziehenden Gewitter ist bei einer klassischen Mutlizelle der Fall. Die Bildung neuer Gewitterzellen wird am Südwestende der 1. Zelle ausgelöst, wo der Niederschlag den kalten Abwärtsstrom am Boden ausbreiten lässt. Dieser hebt wiederum die dort lagernde Warmluft an und setzt nun hinter der 1. Zelle die nächste Zellentwicklung in Gang. So scheint es, als verlagere sich das Gewitter rückwärts oder mag von Nordosten her aufziehen. Insgesamt verlagert sich aber die Multizelle mit der Höhenströmung weiter.

Die richtig großen: Mesoskalige konvektive Systeme

Wie der Name schon verlauten lässt, handelt es sich hierbei um etwas "Großes". Solche Systeme bestehen aus einem Verbund mehrerer Gewitter, die sich zu einem großen Komplex zusammenschließen. Diese Komplexe können dabei eine runde oder ovale Form ebenso annehmen, wie auch langgezogene und teils gebogene Linien mit hunderten Kilometer Ausdehnung. Der Bereich mit den stärksten Niederschlägen befindet sich meist an der Vorderseite solcher Systeme. Häufig gehen diese Systeme mit ergiebigem Starkregen, Hagel, großflächigen Gewitterfallböen und hoher Blitzintensität einher. Hinter dem Bereich der stärksten Entwicklungen schließt sich noch einmal ein Bereich mit Regen an, der schauerartig verstärkt ist. Diese Gewittersysteme können ein Eigenleben entwickeln und unabhängig von der Höhenströmung über das Land ziehen. Nachfolgend ein Überblick anhand von Radarbildern:

Eine der Hauptgefahren bei diesen großräumigen Systemen ist die Böenfront an ihrer Vorderkante. Banal gesehen, handelt es sich dabei um plötzlich stark auffrischenden Wind, der in extremen Fällen Orkanstärke (> 119 km/h) erreichen kann. Der Wind frischt bereits vor der eigentichen Wolkenkante, die meist durch eine walzenartige, zerfetzt aussehende Wolke markiert ist. Näheres zu Böenfronten finden Sie unter "Was dabei ist". Starkregen, Hagel zw. 2 und 5 cm Durchmesser und eine hohe Blitzintensität reihen sich in die Gefahrenliste bei solchen Komplexen ein.

Gefährlich vielfältig und verdreht: Superzellen

Diese Form der Gewitterzelle enthält einen rotierenden Aufwärtsstrom und bildet die gewaltigste Gewitterform hinsichtlich der Begleiterscheinungen und Intensität. Extreme Starkniederschläge die Sturzfluten verursachen, Großhagel über 5 cm, im Extremfall über 10 cm Durchmesser, Tornados mit verheehrenden Windgeschwindigkeiten zwischen 100 und 300 km/h, in den schwersten Fällen bis 500 km/h (!), Gewitterfallböen über 100 km/h und hohe Blitzintensitäten können kombiniert auftreten.

Superzellen lassen sich noch einmal in 3 Typen einteilen: Die klassiche Superzelle, die LP-Superzelle ("low precipitation" = wenig Niederschlag) und die HP-Superzelle ("high precipitation" = viel Niederschlag). Bei der HP-Superzelle sind besonders intensive Niederschläge mit blitzartigen Überflutungen und schwere Hagelschläge zu erwarten. Der Tornado kann vom Regen verhüllt sein ("rain wrapped"), was ihn noch gefährlicher macht, da er nicht eindeutig sichtbar ist. Bei der LP-Superzelle herrscht meist nur wenig Niederschlag, dafür kann großer Hagel niedergehen. Die Strukturen bei solchen LP-Superzellen sind meist klar und scharf abgegrenzt.

Um eine Superzelle als solche zu identifizieren, bedarf es einerseits Vor-Ort-Beobachtungen nach den äußeren Merkmalen sowie der Betrachtung der Zelle auf dem Doppler-Radar (das normale Niederschlagsradar gibt keine hinreichende Sicherheit und kann nur Indizien liefern). Der mittlere Westen der USA bildet ideale Bedingungen für die Superzellen- und Tornadobildung. Hier in Deutschland sind Superzellen auch keine Seltenheit, doch sind sie längst nicht so einfach zu bestimmen und zu identifizieren. Der eingangs erwähnte Vergleich Vor-Ort-Beobachtung und Dokumentation verbunden mit Auswertung eines Doppler-Radarbildes gibt häufig (doch nicht immer) Aufschluss. Häufig bilden sich Superzellen hierzulande im Vorfeld von Kaltfronten oder Konvergenzen.

Eine "LP-Superzelle" am 30.06.2012 in Südthüringen (Bild: Dany Knoethig-Thieme).

Indizien dafür, dass man eine Superzelle vor sich hat:

Verdrehter Aufwindturm: Besonders in der Entwicklung von Superzellen oder bei LP-Superzellen länger sichtbar ist eine verdrehte, vertikal mächtig entwickelte Quellwolke.

Einströmende Wolkenbänder: Während der Entwicklung der Superzelle sind meist mittelhohe, laminare Wolkenbänder zu sehen, die in Richtung Superzelle strömen. Häufig nehmen diese durch die Rotation eine entsprechende Krümmung an.

Regenfreie Basis (rain-free Base): Dunkle Wolkenbasis ohne sichtbaren Niederschlag (was dicke Regentropfen und Hagel nicht ganz ausschließt) die den Bereich des Aufwinds markiert. Hier kann sich eine Wallcloud bilden.

Wallcloud (Mauerwolke): Unter der regenfreien Basis der Superzelle findet sich oft eine sehr tief hängende Wolke in Form einer "Mauer" bzw. eines "Blocks". Sollte diese Wallcloud rotieren, ist die Entstehung eines Tornados wahrscheinlich. Es rotieren jedoch längst nich alle Wallclouds! Ihr Vorhandensein spricht jedoch für einen rotierenden Aufwärtsstrom innerhalb der Superzelle. An dem Ende der Wallcloud, die zum Niederschlagsbereich gerichtet ist, zeigt sich eine nach unten gerichtete Spitze.

Tailcloud (Schwanzwolke): Diese Wolkenform hängt an der Unterseite der Wallcloud zum vorderen Niederschlagsbereich (FFD) hin. Dabei strömt die Tailcloud "in die Wallcloud" hinein.

Abwärtsstrom an der Vorderseite (forward flank downdraft = FFD): Niederschlagsbereich an der Vorderkante der Superzelle.

Abwärtsstrom an der Rückseite (rear flank downdraft = RFD): Bereich absinkender, trockener Luft, die an der Rückseite des rotierenden Aufwindbereiches (Mesozyklone) zu finden ist. Neben Niederschlägen kann der Wind hier noch einmal deutlich auffrischen. Oft ist zwischen Wallcloud und RFD ein heller Fleck (clear slot) zu finden. Im Konfliktbereich zwischen Mesozyklone, clear slot und RFD bildet sich der Tornado.

Versorgungslinie (flanking line): Bereich im Südwesten des Gewitters, an der mehrere Quellwolken (Cmulus) aneinandergereiht zu einer Linie in die Superzelle einströmen.

Rückwärtsziehender Amboss (häufig mit Mammati): Bedingt durch den kräftigen Aufwind breitet sich der Amboss des Cumulonimbus entgegen der Höhenströmung nach hinten aus. Häufig zeigen sich an ihm sack- oder beulenartige Wolken, die nach unten hängen (sog. Mammatus-Wolken).

 

Superzellen auf dem Niederschlagsradar:

Am Besten lassen sich Superzellen auf einem Doppler-Radar erkennen. Mithilfe dieses Radars kann gemessen werden, ob sich Objekte zum Radar hin oder sich von ihm fort bewegen (Radialgeschwindigkeit). Die hierzulande angebotenen Radarbilder im Internet sind keine Doppler-Radarbilder (nur wenige Doppler-Radarbilder sind frei verfügbar). Die dargestellten Niederschläge in den "normalen" Radarbildern werden durch Mikrowellen erzeugt, die das Radar aussendet und durch Reflektivität bei Wassertropfen, Eiskristallen etc. wieder empfängt. Auf diesen Radarbildern kann die Existenz einer Superzelle nur vermutet werden. Eine Kombination aus Vor-Ort-Beobachtung und Radaranalyse kann Aufschluss geben.

Es gibt ähnlich wie bei den optischen Merkmalen ähnlich viele Radarmerkmale. Wir möchten nachfolgend nur einen Teil wiedergeben:

Hook-Echo (Haken-Echo): Eingehdrehter, bzw. gekrümmter Bereich am Ende einer Gewitterzelle in Form eines Hakens. Im Bereich des Hakens findet sich häufig eine Mesozyklone sowie ein möglicher Tornado.

V-Notch: Eine Einkerbung in der Form eines V's im Abwindbereich der Superzelle.

Im Loop des Radarbildes kann man außerdem folgende Merkmale als Indiz für eine Superzelle werten:

Ausscheren von der Hauptströmung: Superzellen bewegen sich oft nicht mit der allgemeinen Hautpströmung mit, sondern scheren nach Ost bzw. Südost aus.

 

Beispiel vom 19.06.2012: Am südlichen Ende eines Niederschlagsbandes überquerte eine klassische Superzelle Thüringen von WSW nach ONO, während sich das gesamte System von Südwest nach Nordost verlagerte (Radarbilder und -animation: WetterOnline).

 

Storm Split mit Left-Mover und Right-Mover: Es kommt vor, dass sich eine Superzelle aufteilt ("Split Storm"). Es entstehen aus der Ursprungszelle also 2 einzelne Zellen. Eine Zelle schert nach links aus ("Left-Mover") und bewegt sich meist nach Norden oder Nordosten (häufig unter Abschwächung). Der "Right-Mover" bewegt sich nach rechts und zieht weiter nach Osten. Er büßt kaum an Intensität ein.

 

 

Beispiel vom 06.08.2013: Über Ostthüringen entstanden an diesem Tag gleich mehrere Superzellen. Besonderes Augenmerk soll dabei auf einer Zelle liegen, die sich südlich von Gera gegen 14:45 Uhr entwickelt und nordostwärts zieht. Eine gute Stunde später kommt es zum Storm Split im Altenburger Land. Der Leftmover zieht nordwärts nach Leipzig, der Rightmover weiter nach Osten (Radarbilder und -animation: WetterOnline).

Nähere Infos zu Superzellenmerkmalen im Dopplerradar sind z.B. hier zu sehen: Wikipedia - Hook Echo

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