Der Text liegt schon ne Weile rum da einfach zu viel dazwischen kam. Ich möchte aber gern diese Dikussion hier noch starten.
Die festgefahrene Wetterlage Ende Mai/1. Juniquartal brachte in verschiedenen Regionen Deutschlands Tod und erhebliche Sachschäden. Sturzfluten da wo kein Flussbett ist, Tornados da wo keine USA ist, Blitze da wo Rock am Ring ist - was ist nur mit dem Wetter los? Es ist auf einmal überall, so schlimm und nimmt gar keine Rücksicht auf uns? Und wieso konnte das keiner vorhersehen?
In den vergangenen Wochen wurde viel über rechtzeitige Warnungen gesprochen und darüber diskutiert, warum denn trotz aller modernen Möglichkeiten Ereignisse wie in Braunsbach oder Simbach nicht vorhersagbar sind. Auch der Bundestag beschäftigte sich in einer aktuellen Stunde mit den Ereignissen der vergangenen Wochen. Ich persönlich fühlte mich an einigen Tagen ziemlich wütend darüber, dass gerade wegen der heutigen modernen Möglichkeiten solche Ereignisse noch zu Todesopfern führen müssen und dass in den Medien (TV, Radio, Zeitungen, …) einerseits die Wichtigkeit und Dringlichkeit im Ereignisfall kompetent und konkret zu berichten und andererseits die nötige Aufklärung und das Wissen selbst über Wettergefahren noch nicht ausreichend Einzug gehalten haben. Was fehlt noch nach Ereignissen wie am 10.07.2002, 27.03.2006, 09.06.2014 usw.?
Großräumige Ereignisse mit Schadenspotential und Beeinträchtigung des öffentlichen Lebens wie Stürme und Orkane, Flusshochwasser oder Wintereinbrüche erlauben meist noch eine passable Vorbereitungszeit von mehreren Stunden oder sogar einem bzw. manchmal mehreren Tagen. Ebenso gefährlich und häufiger sind kleinräumige Ereignisse, die meist im Zusammenhang mit Gewittern auftreten: Plötzliche Überschwemmungen & Sturzfluten, Hagelschläge, breitflächige Böenfronten um/über 100 km/h, Fallböen, Tornados, Blitzschläge usw. Das tückische dabei ist, dass diese Ereignisse überall auftreten können und nicht komplett durch einen Wetterbericht am Vorabend („lokal kann es heftig werden“) ortsgenau vorhergesagt werden können. Das wird auch niemals der Fall sein. Und hier bedarf es erst wieder einer mehrtägigen Gewitterlage mit Toten, damit ins Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit die Erkenntnis "ups, wir haben ja auch hier Wetter" gelangt? Braucht es wirklich noch irgendwann den Tornado in deutschen Großstädten damit auch wirklich alle wach werden und schreien "jetzt müss'mer was tun, um besser vorbereitet zu sein"?
Es steht heute alles zur Verfügung was das Herz begehrt: Hochaufgelöstes 5-Minuten-Radar und "Super-HD-Wettermodelle", live Blitzortung, Live-Ticker der privaten Wetterdienste, Skywarn, ehrenamtliche, etablierte Projekte wie ESTOFEX, Tornadoliste und Tornadoarbeitsgruppe Deutschland e.V. etc., mehr Kameras, schnellere Verbreitung über Soziale Medien und dennoch fühlt man sich im Rückschritt oder merkt dass nach 14 Jahren, wenn ich das Berliner Unwetter als Ausgangspunkt nehme, immer noch ein deutliches Missverhältnis zwischen verfügbarer Technik und Vermittlung bei der Gesamtbevölkerung besteht. Das Bewusstsein für Wettergefahren ist in der Bevölkerung schon besser vorhanden als früher, nur weiß man es nicht richtig umszusetzen und zu verstehen wie ich finde. Das merke ich an den Gesprächen zu unseren Veranstaltungen, in Mails, Nachrichten, Kommentaren usw. die uns/mich erreichen und die man im Netz liest.
Ich war seit jeher begeistert davon, wie offen in den USA damit umgegangen wird und machte das zum Aufsatzthema in meiner Realschulprüfung (ne ganze Weile her). Und genau diese Lücke gilt es immer noch zu schließen: Warnungen müssen standortbezogen ankommen und alle gesellschaftlichen Welten (online + offline) abdecken, dafür ist Wetter zu wichtig! Dabei sind es nicht nur Warnungen, die auf einen Landkreis bezogen nur dem was bringen, wo die Gewitterzelle gerade ist und der im Norden des Kreises aber weiter beruhigt im Garten sitzen kann. Für solche Fälle wäre eine Live-Verfolgung und Erklärung der Lage wünschenswert wie es in den Staaten gehandhabt wird. Und es geht dabei nicht primär um Tornados, denn die bisherigen gewitterbezogenen Ereignisse in den 2000ern, die bevölkerungsreiche Metropolen hier in Deutschland beeinflussten, waren mesoskalige kovektive Systeme wie Bow Echos oder Derechos mit breitflächigen Winden um/über Orkanstärke von 118 km/h und höher an ihren Böenlinien.
Hier mal eine von vielen Live-Berichterstattungen die man bei Yotube findet:
Und genau darum geht es: So ist es jetzt - es zieht dort hin, es ist gefährlich, es kann Regen, Hagel bis x cm auftreten, Rotation ist da, Tornado ist da, zieht da hin. Befinden Sie sich in der Zugbahn tun sie das: ...
Ich habe mir die aktuelle Stunde des Bundestages angesehen und fand dabei diesen Vorschlag schon in die richtige Richtung gehend:
Bitte zu 39:19 gehen oder Link zur betreffenden Minute 39:19: https://youtu.be/WCZSOrp91So?t=39m19s
Ok, flächendeckende Unwetterwarnungen bei Starkregen würde mehr auf ergiebigen Dauerregen bezogen sein, da Gewitterstarkregen zu lokal niedergeht. Die flächendeckende Warnung in diesen Fällen wäre eher eine Vorwarnung/Watch die es bereits gibt. Und da geht auch erstmal nicht mehr zu machen als ein Gebiet in Alarmbereitschaft zu versetzen und dann wartet man (wie wir Chaser) ab was passiert und wo die Zellen entstehen. Dann kann man auch genauer sagen was als nächstes passiert und wo es hnzieht. Ich sehe auch bei den DWD-Warnungen noch Möglichkeiten. Der einzelne Bürger möchte wissen wann es unangenehm wird und was er dann tun muss. Dafür sind die DWD-Warnungen m.E. noch ausbaufähig. Es liegt in der Natur der Sache, dass Gewitter sich nicht über einen ganzen Landkreis erstrecken müssen (Ausnahme größere Cluster, Fronten, ...). Bei der "Scharfschaltung" auf Unwetterwarnung wäre anhand eines Stormtrackings (KONRAD) sinnvoll einzubauen, wie es auch in den USA gehandhabt wird: Das Gewitter befindet sich dort und zieht mit x km/h nach Nordosten. Die nächsten Orte auf der Zugbahn sind Ort 1, Ort 2, Ort 3 und dann die damit verbundenen Gefahren und Handlungsempfehlungen etwas erweitert als sie schon sind setzen. Das Stormtracking steht mittlerweile bei kachelmann. frei zur Verfügung!
Ich sehe da auch für Storm Chaser noch viel Potential, einen wichtigen Part zu leisten. Den Lückenschluss den ich oben erwähnte könnten wir mit unserem Wissen und unserer Erfahrung ebenso schließen, wenn man es seriös angeht. Auch hier bestehen noch Missverständnisse und teils belächelnde Bilder bzw. ebenso unschöne falsche "Action-Rumschrei-Ansichten". Freaks die sich über Unwetter freuen und denen es um Sensation geht. Das bekannte Doppeltornadovideo aus Schleswig-Holstein macht es nicht besser und bewirkt mehr mediale Unterhaltung über die Autoren. Doppeltorando in Deutschland, was ist das schon wenn die Spaßgesellschaft über Leute reden kann - ich fasse es einfach nicht. Und schon sind die beiden natürlich Sturmjäger. Ganz klasse. Schaut man sich die geschichtliche Entwicklung der Chasingszene in den USA an, waren die frühen Jahre (etwa 1950 - 1970) geprägt vom Verstehen was man sieht, wie es funktioniert, dem Melden und Dokumentieren um Warnprozesse zu optimieren und an der Forschung teilzuhaben und somit seinen Part zu leisten. Das wurde und wird auch hier in Deutschland bzw. Europa geleistet. Ich finde, die Chasing-Community im Lande kann da noch viel mehr leisten.
Bleiben wir mal bei der vermeintlichen Maxime der Gewitterjagd: Ein Chaser beobachtet hierzulande einen Tornado wie er auf eine Ortschaft zu zieht: Was macht er? Was würdet ihr machen? Ich melde den Tornado über die Skywarn-Meldehotline und möglicherweise gibt der DWD noch eine Tornadowarnung für den betroffenen Landkreis heraus. Ich würde ggf. noch den Notruf wählen und bei aller Verwunderung des Disponenten schildern was ich sehe. Radio wäre auch ne Option. Facebook wäre ne Option. Forum wäre ne Option. In der Zeit ist aber auch alles schon vorbei. Ich habe quasi vor Ort getan was ich als Chaser konnte, aber was bleibt am Ende außer Trümmern übrig? Das stimmt nach all den Jahren des Fortschritts sehr nachdenklich, denn: Es ist nach wie vor niemand vorbereitet! Und das ist nicht nur der Tornado, das ist auch die Sturzflut da wo 1km weiter der Starkniederschlag fiel und der Ort hangabwärts am Bachbett liegt oder der Blitz, der eine Veranstaltung trifft, weil ihm die Einmal-im-Jahr-Veranstaltung egal ist. Höhere Gewalt, Elementarschäden, Wiederaufbau - Begriffe die existenzielle Dinge umfassen und immer wieder Thema werden, wenn völlig überraschend und unvorhersehbar das Wetter zuschlägt - auch in 2016. Information, Aufklärung und Wissensvermittlung um das Bewusstsein gegenüber Wettergefahren zu schärfen, ist wichtiger denn je.
Eure Meinung bitte!
Markus