01.08.2017 Schwergewitterlage (Unwetterpotential)

  • In der Nacht zum Dienstag und am Dienstag erwartet uns eine Schwergewitterlage mit hohem Unwetterpotential. Im Vergleich zur Lage am 22.06. ist diesmal die Dynamik (Scherung, Lage des Jetstreams) noch ausgeprägter und ermöglicht so langlebige konvektive Systeme aller Art (Superzellen, MCS in Linienform oder Cluster). Ohne jetzt auf die Details eingehen zu wollen (Montagabend dann), erscheinen 2 Phasen für möglich:


    Phase 1 in der Nacht zum Dienstag (2. Nachthälfte), wenn aus Südwest ein erster Schwung Gewitter durchzieht (vermutlich von der Grenzschicht entkoppelt),
    Phase 2 am Dienstag (Nachmittag bis Nacht) mit ggf. mehreren konvektiven System von Südwest nach Nordost ziehend.


    Die Bandbreite der Begleiterscheinungen ist bei der hohen Labiliät und Scherung vielfältig:


    - intensiver Starkregen
    - großer Hagel bis/über 5cm
    - Windböen in Größenordnungen schwerer Sturmstärke (89-102 km/h), orkanartiger Stärke (103-117 km/h) bis hin zu Orkanböen (über 118 km/h), gerade in Verbindung mit Böenfronten
    - Tornados
    - hohe Blitzraten


    Es bestehen aber ebenso noch Fragezeichen im Raum was die Hebung angeht (Kurzwellentröge) wie auch etwaige Restbewölkung, die die Einstrahlung verhindert. Ebenso können Outflow Boundaries der Nachtsysteme einen Einfluss haben.


    Wir besprechen die Lage heute Abend im Vorhersage-Team und melden uns dann mit einem ausführlichen Update.


    Markus

    1. Vorsitzender Thüringer Storm Chaser e.V.
    ESSL Voluntary Observer Person (Qualitätslevel QC1) (European Severe Storms Laboratory)
    Weitere Mitgliedschaften: Member of AMS Weatherband · Premium Advanced Spotter (Skywarn Deutschland e.V.) · Arbeitskreis Meteore e.V.

  • ESTOFEX für heute Abend/kommende Nacht zunächst mit Level 1 (Gewitter von der Grenzschicht entkoppelt, aber ebenso die Möglichkeit, einzelner Zellen vom Gebirge ausgehend):



    Und wie wir schon in der Shoutbox schrieben, könnte es final ein Level 3 werden. Vorerst erstmal 2:

    1. Vorsitzender Thüringer Storm Chaser e.V.
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  • Hallo zusammen,


    es gilt nun Augen und Ohren zu spitzen für die Vorhersage der kommenden Lage. Einige von euch werden sicher bereits mitbekommen haben, dass erneut ein größeres Ereignis ansteht. Wie groß das Potential ist, hat das Vorhersageteam für euch erörtert...


    Großwetterlage


    Wir befinden uns aktuell unter einer relativ glatten und sehr markanten südsüdwestlichen Höhenströmung mit günstiger Platzierung des Jetstreams. Diese Großwetterlage ist relativ selten, tritt aber immerhin ca. alle 2 Jahre auch im Sommer immer wieder regelmäßig auf und ist meist Garant für Unwetterlagen über Mitteleuropa, wenn in die Strömung einzelne Kurzwellen eingearbeitet sind. Die Kombination aus Luftmasse und Scherung sorgt dann für das hohe Unwetterpotential. (z.B. auch am 29. Juli 2005)


    Qualität der Luftmasse


    Die Luftmasse, die aktuell advehiert wird, kann als klassische "Spanish Plume" bezeichnet werden. Durch Überströmen von Pyrenäen und Zentralmassiv entsteht eine EML, die für steile Temperaturabnahmen mit der Höhe sorgt (Lapse Rates) und damit großen Auftrieb ermöglicht. Gleichzeitig sorgt das für einen guten Deckel von um die 100 J/kg, der an sich schwer geknackt werden kann. In Bodennähe findet man durch die vorangegangen, teils unwetterartigen Niederschläge eine hohe Bodenfeuchte, die durch Einstrahlung gehoben wird. Resultierend haben wir PWAT-Werte bis zu 40 (!) mm und hohe Taupunkte um die 20°C, vielleicht sogar noch höher. Summa summarum können so morgen tagsüber ML-CAPE-Werte von 1.500 bis 2.500 J/kg aufgebaut werden, vielleicht auch bis 3.000 J/kg (Soundings geben genaueren Aufschluss).


    Hebung


    Auslöser werden zwei Kurzwellen sein. Die eine schwenkt bereits in der zweiten Nachthälfte und in den Morgenstunden durch, die andere folgt in den (späten) Abendstunden des Dienstags. Dazwischen wird es eine Phase mit Wolkenauflösung und reichlich Einstrahlung geben, wobei das besonders in Richtung Grenzregion zu Niedersachsen noch mit Unsicherheiten behaftet ist.


    Scherung


    Alleine die Luftmasse gibt bereits für lokale Unwetter zur Besorgnis Anlass. Doch es kommt noch heftiger: Die Scherungswerte erreichen morgen AUSSERORDENTLICH HOHE WERTE!! Die DLS liegt um 30 m/s, auch die LLS erreicht 10 m/s, was für die Tornadobildung bei Superzellen ausreichend wäre. Lediglich das Veering (Rechtsdrehung mit der Höhe) bildet zumindest bei der 2. Welle einen limitierenden Faktor. Die 1. Welle am Morgen profitiert aber auch davon. Hingegen ist bei der abendlichen Welle die Geschwindigkeitsscherung wiederum etwas stärker ausgeprägt.


    Ergebnis


    Wenn man 1 + 1 zusammenzählt, dann ergibt das morgen eine Lage, die man unter dem Begriff "Heimsuchung" vielleicht zusammenfassen könnte, auch wenn noch die ein oder andere Unsicherheit besteht.


    Wir rechnen in der Nacht von Frankreich ausgehend mit einem oder mehreren MCS, die sich verstärken werden und Bow-Segmente enthalten können. Dann wären nicht nur Sturm- sondern auch orkanartige Böen möglich. Die außerordentliche Scherung erlaubt auch eine Eindrehung am Nordende, ein sog. "Comma Head". In diesem Bereich ist auch die Tornadogefahr erhöht. Im Falle diskreter Zellen, die sich schnell zu Superzellen entwickeln können (auch schon in der Nacht!) käme größerer Hagel als Gefahr hinzu, obgleich die CAPE-Werte der 1. Welle noch keine außerordentlichen Werte aufweisen.


    Am Vormittag sollten die Cluster noch einiges an Restbewölkung hinterlassen, welche aber nach Lesart der meisten Modelle weggeheizt wird (wie gesagt, kleine Unsicherheiten) und der zweiten Welle am Abend den Weg ebnen. Dann kann es noch einen Tick heftiger werden, was die Böen anbelangt (bis Orkanstärke!). Bei Auslöse würden sich rasch Superzellen formieren, die sich aber zunehmend zu einer Squall line zusammenschließen. Dieses Szenario könnte dann auch Thüringen betreffen. Auch ein Derecho kann nicht ausgeschlossen werden, bei dem verbreitete Schäden die schlimme Folge wären und dem Chasing morgen einen faden Beigeschmack geben würden.


    Unsicherheiten


    Es ist nicht auszuschließen, dass einige Faktoren der 2. Welle einen Strich durch die Rechnung machen, z.B. Restbewölkung durch die 1. Welle am Morgen, besonders Richtung Nordwesten, oder die genaue Position des Kurzwellentrogs. Mit etwas Glück bliebe Thüringen dann von diversen Aufräumaktionen verschont. Die abgehenden Outflow Boundaries könnten somit das Gegenteil bewirken und über einer großen Fläche Konvektion unterdrücken, aber das ist Nowcast.


    Gefahren


    BITTE PASST AUF EUCH AUF! Nicht jede Gewitterlage ist (abgesehen vom Blitzschlag) extrem gefährlich, die morgige Lage ist es aber definitiv! Bei Superzellen besteht die Gefahr von Hagel > 5 cm (auch 6, 7, 8... je nach Labilität nicht ausgeschlossen!), auch Tornados sind u.U. möglich. Dazu kommt wie bereits erwähnt die Gefahr von Orkanböen, die bei Linien auch verbreiteter auftreten können. Desweiteren erschweren hohe Zuggeschwindigkeiten das Chasing. Hohe Blitzraten und Starkregen mit Überflutungsgefahr gibt es gratis dazu.


    [warnbox]Bitte parkt nicht unter Bäumen und nicht in Senken, bei Superzellen Fluchtroute nach Osten offen halten, Linien nur an sicheren Standorten passieren lassen. Wer wenig Erfahrung hat -> Mitfahrer suchen oder zu Hause bleiben.[/warnbox]


    Fazit


    Ein All-you-can-chase-Buffet, das seinesgleichen sucht... kommt so wie berechnet vielleicht mal alle 5 -10 Jahre vor. Wir rechnen mit einem Level 3 bei Estofex, evtl. auch "nur" ein Level 2 aufgrund der unsicheren Positionierung, dann aber mit Mesoscale Discussion nach der 1. Welle.



    Viele Grüße und stay safe


    Chris + Markus

    - wetterinteressiert und unwetterbegeistert seit Beginn der 2000er Jahre
    - TSC-Mitglied seit 2007
    - aktiver Chaser seit 2010

    - als Spotter "zur Ruhe gesetzt" seit 2018

  • Es zeichnet sich aktuell ein Bereich über Ostthüringen, Sachsen, südliches Brandenburg ab, wo die Bodenwinde aus Südost kommen. Generell gilt, dort wo Bodenwind aus Südost, umso bessere Chancen auf organisierte Systeme, speziell Superzellen. Aus dem sterbenden Cluster, der von RLP nach HE zog, ist eine Outflow Boundary südlich von Thüringen auf einer Linie Fulda-Frankfurt-Oberrheingraben hervor- bzw. herausgegangen. Diese dürfte aber vorerst keine Relevanz für uns haben.


    Das Gefahrenpotential bleibt wie gestern angekündigt bestehen. Gerade im Bereich von Superzellen sind großer Hagel und Tornados möglich.
    Bei Linienbildung (was zum Abend mit der 2. Phase simuleirt wird) teils Böen in Orkanstärke.


    Mehr ist für den Moment erstmal nicht zu sagen, man muss weiter abwarten.


    Update #2: Entwicklung im Gebirge (Thür Wald, Schiefergebirge, Frankenwald, Erzgebirge, ggf. Harzlee) im Auge behalten, da noch größtes Potential.


    VG
    Markus/Chris

    1. Vorsitzender Thüringer Storm Chaser e.V.
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  • Die 12Z-Soundings zeigen einen starken Deckel, der ohne kräftigen Hebungsantrieb derzeit noch nicht gebrochen werden kann. Weiterhin ist erwartungsgemäß die EML sichtbar. Generell ist mehr und mehr anhand Windfeld und Temperaturen erkennbar, dass sich die Zone mit Schwergewitterpotential mehr ostwärts verschiebt. In Thüringen halten wir derzeit eine Region östlich Jena-Leipzig für favorisiert. Je weiter ostwärts nach Sachsen und südliches Brandenburg, umso besser. Ebenso deutet sich ein weiterer Schwerpunkt für Bayern verlagernd nach Tschechien/Sachsen an.


    Die Auslöse von einzelnen Superzellen ist fraglich, aber noch nicht ganz vom Tisch. Eher erscheint es derzeit plausibel, dass erst mit dem "Deckelbruch" eine intensive Gewitterlinie mit Sturm-/ bis Orkanböen entsteht, die rasch ostwärts zieht.


    Für West/Nordwestthüringen, grob gesagt westlich Artern - Erfurt deuten Temperatur und Wind eher darauf hin, dass hier die Unwettergefahr mehr und mehr abnimmt.
    Wir meinen grob, dass das Estofex-Level 3 im Grunde einen "Fingerbreit" nach südostwärts verschoben werden müsste. Es dürfte wohl auch bald eine Mesoscale Discussion erscheinen.


    Man kann nur peu a peu weiter verfolgen und schauen wie sich die Gewitter nun entwickeln.


    Markus/Chris

    1. Vorsitzender Thüringer Storm Chaser e.V.
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  • Gefahrenpotential Thüringen in Anlehnung an die aktuelle Entwicklung:


    - durch Südverschiebung vermutlich größte Gefahr gebannt
    - weniger Veering, weniger ML-CAPE im Großteil Thüringens durch Outflow von Westen -> geringere Tornado- und Großhagelgefahr
    - Gefahr durch Sturmböen und heftigen Starkregen bleibt bestehen, Orkanböen etwas weniger wahrscheinlich
    - Südosten Thüringens muss trotzdem noch wachsam sein in Bezug auf mgl. Rückdrehung des Windes

    - wetterinteressiert und unwetterbegeistert seit Beginn der 2000er Jahre
    - TSC-Mitglied seit 2007
    - aktiver Chaser seit 2010

    - als Spotter "zur Ruhe gesetzt" seit 2018

  • Sehr schöne Gewittervorboten die Schäfchen - aber leider die Auslöse etwas zu weit im Osten und als dann aus NW/W
    die tiefen Cu kamen war alles gegessen. Es gab noch mammatus und virga, das war es...






    Einmal editiert, zuletzt von Loni A. () aus folgendem Grund: Leerzeichen gesetzt zur besseren Bildbetrachtung

  • Diese E-Mail erreichte mich gestern Abend:


    Auf den letzten Absatz werden wir nochmal eingehen. Jetzt müssen wir uns aber kurz noch selbst sammeln und mal Verschnaufpause einlegen.

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  • Kurzes Resümee aus Chasing-Hinsicht: Erste Nacht MO/DI Eisenach/Mihla in Erwartung der Zellen/Cluster aus Hessen. Standen direkt am trockenen Rand der ersten noch aktiveren Zellen die es schafften. Dabei zahlreiche Wolkenblitze, später Erdblitze. Verlagerung nach Erfurt zurück als Linienbildung über dem SW Thüringens einsetzte. Haben uns Erfurt-West überrollen lassen und Schluss gemacht.




    Dienstagnachmittag nach Osten aufgebrochen (Vorgeschichte wegen Änderungen im Ablauf steht weiter oben) und in Chemnitz abgewartet um notfalls noch ausschwenken zu können (A4 nach O/W oder A72 nach S/N) und auf Gebirgsauslöse gehofft um dann diese weiter ostwärts zu verfolgen. Über Mittweida auf A4 nach Osten und bei Wilsdruff mehrere hochbasige Superzellen abgefangen. Strukturen und Lichtstimmung sehr schön, später noch Blitze einer weiteren Zelle bei Dresden fotografiert, anschließend bei Stollberg den Cluster aus Südwesten von Franken kommend abgefangen und erneut Blitze fotografiert. Einem Erdblitz (Mehrfachentladung) folgte unmittelbar nach Einschlag ein Lichtblitz ("Power flash"). Rückverlagerung nach Chemnitz und überrollen lassen und noch Blitze fotografiert. Dann nach Mitternacht Ende.
    Mit dabei: Thomas Klein, beim ersten Chasing Marco und gestern noch Kevin Förster.





    Screenshots vom Display müssen erstmal ausreichen.


    Besonderen Dank an Chris für die permanenten Lagebesprechnungen und den fachlichen Austausch dazu. Dafür geht ein Großteil unserer Zeit drauf, die nicht unbedingt für jeden sichtbar ist.


    VG
    Markus

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  • Von mir auch noch mal etwas vom Nachmittag in Sömmerda


    was ich zu sehen bekam, würde ich mal als eine zusammengefallene Zelle bezeichnen.
    Temperatur war 30,5° Wind (kühl) 10 Km/h 18°°



    Auf der Rückfahrt auf der A71 bin ich noch mal nach Braunsroda abgefahren und habe mir bei einem Windpark die schönen Fallstreifen über dem Kyffhäuser im Abendlicht angesehen.



  • Hallo, ich möchte Euch
    noch ein paar Bilder der oben genannten "hochbasigen Supenzellen" aus Sachsen nachreichen. Ich bin arbeitsbedingt vor den Toren Dresdens unterwegs gewesen und konnte zwischen Wildsdruff und Dresden diese Aufnahmen machen. In meinem Blickfeld befanden sich zwei der Zellen, erstere mit Blickrichtung SW/Wildsdruff, zweitere mit Blickrichtung N/ Meißen.





    Für eine längere Betrachtung fehlte mir leider die Zeit. MfG.