23.09.2018 | Wellentief FABIENNE, Zyklogenese (Sturm/Regen)

  • Pünktlich zum Herbstanfang steht - überspitzt formuliert - die erste wirklich interessante Lage seit April an. Die Kernsaison war ja in diesem Jahr, von wenigen, lokalen Ausnahmen abgesehen, für Storm Chaser und Wetterbegeisterte wie ein zweiter Winterschlaf, nur mit Hitze und beispielloser Dürre. :n8:I


    Nun denn: Es wirkt so, als möchte Petrus ein Trostpflästerchen für Hitzegeplagte, Herbst- und Regenliebhaber servieren. Gewitter für alle sind damit gar nicht mal gemeint, vielmehr handelt es sich um die Kombination eines interessanten synoptischen Gebildes über Deutschland, welches man in dieser Form hier seit Ewigkeiten vermisst hat, mit den zugehörigen Auswirkungen, die sich je nach Region in flächendeckendem(!) Regen, Sturm und / oder Gewitter äußern können. Das zeitliche Fenster umfasst ungefähr den Sonntag und die Nacht zum Montag, wobei hier noch große Unterschiede zwischen den Modellen im genauen Ablauf bestehen.


    Spannend wirkt bereits die synoptische Ausgangslage: Mitten auf dem Atlantik liegt eine sehr markante Luftmassengrenze (LMG), wie sie jahreszeitlich begünstigt wohl häufiger auftritt, in diesem Jahr aber wohl durch die großen Temperaturunterschiede zwischen Arktis und südlichem Atlantik noch verstärkt wird. Diese konnte sich durch wochen- und monatelange ähnliche Witterungsverhältnisse in diesen Regionen entsprechend gut ausprägen, sodass es mich nicht wundern würde, wenn der ein oder andere Herbststurm später noch nachlegt.


    Darüber hinaus ist die Ausdauer der LMG über dem Atlantik beeindruckend, ist man es doch sonst eher gewohnt, dass so "weit draußen" schon Zyklogenese (Intensivierung der Tiefs) stattfindet. Doch die Zone mit dem markanten Kontrast in der äquivalentpotentiellen Temperatur liegt weitgehend strömungsparallel in einer strammen Westströmung, die nun hinter der heute Abend durchziehenden Trogachse (endlich) bis nach Mitteleuropa reicht. Das bedeutet, dass subtropische Luftmassen, die ursprünglich wohl in der Golf-Gegend gelegen haben müssen, fast unbeeinflusst bis nach Mitteleuropa vordringen können. Entsprechend energiereich und feucht sind diese Luftmassen auch noch.



    Luftmassengrenze und Wellentief, Samstag 2 Uhr auf dem Atlantik vs. Sonntag 14 Uhr über Deutschland


    Doch zurück zum eigentlichen Geschehen:


    Am Samstag werden wir zunächst einmal die am Freitag mit der Kaltfront eingeflossene, kühle Polarluftmasse genießen können. Dabei sind durchaus auch mal ein paar freundliche Abschnitte möglich. Schauer bleiben die Ausnahme. Zum Abend kommt dann [definition=116,1]WLA[/definition] aus Westen in Gang, d.h. die typischen (leichten) Aufgleitniederschläge an einer Warmfront beginnen und halten die Nacht zum Sonntag über an.


    Am Sonntag beginnt der interessante Teil. Auflockern würde es nach aktuellem Stand dabei in unserer Region nur wenig bis gar nicht, die Warmluft kann sich zumindest am Boden kaum bei uns durchsetzen. Im Süden Deutschlands dürfte sie aber Fuß fassen können und bei Temperaturen bis 25°C, Warmsektor-Sturm und Taupunkten bis an die 17°C ist karibisch anmutendes Hurrikan-Feeling light angesagt. Weiter nördlich (also voraussichtlich unsere Region) kommen durch die Zyklogenese und den sich in seiner Amplitude ausweitenden Trog immer mehr Hebungsprozesse in Gang, sodass sich der Regen am Nachmittag und Abend erneut verstärkt und später auch in waschechten Starkregen übergehen kann (30-40 mm wären denkbar!).


    Spätabends würde dann das Finale ins Haus stehen. Durch den Einbezug labiler Luftmassen (ein paar wenige hundert J/kg ML-CAPE genügen bei dieser Dynamik) im unmittelbaren Vorfeld der Kaltfront könnte es im Süden bis etwa in die Südhälfte Thüringens zur Ausbildung einer Gewitterlinie (Squall line) kommen, wie es auch vom hochaufgelösten Super HD (kachelmannwetter.com) gezeigt wird. Es bedarf dazu auch keiner zusätzlichen Einstrahlung. Für einige könnte sich der Ablauf also auch so gestalten: Regen > mehr Regen > kurzzeitig weniger Regen mit Warmlufteinschub > starkes Gewitter. Ich denke, ich brauche kaum zu erwähnen, dass mit einer solch wetteraktiven Kaltfront auch Sturm oder vereinzelt schwerer Sturm einhergehen kann.


    Auch dahinter bleibt es noch eine Weile stürmisch, im Trogbereich fällt auch noch etwas Regen in der Nacht zum Montag. Dort, wo es bereits aufklart, wird es empfindlich frisch.


    Ergänzende Karten zu Temperatur, Spitzenwind und Gesamtniederschlag (GFS):




    (Quelle aller Karten: www.wetterzentrale.de)


    Grüße
    Chris

    - wetterinteressiert und unwetterbegeistert seit Beginn der 2000er Jahre
    - TSC-Mitglied seit 2007
    - aktiver Chaser seit 2010

    - als Spotter "zur Ruhe gesetzt" seit 2018

    Einmal editiert, zuletzt von Chris ()

  • Wenn sich die Kaltfront heute Nachmittag formiert, sollten aufgrund der hohen [definition=95,0]Scherung[/definition] in allen Bereichen, niedrigem KKN und durch lokal begünstigende Orographie auch kurzlebige rotierende Zellen mit Tornadopotential möglich sein. Südthüringen bleibt hier weiter mit im Fokus und alles was südlich davon liegt.


    Siehe auch Estofex:



    Marcus Beyer hat gestern Abend in der Synoptischen Übersicht ebenfalls darauf hingewiesen:



    Hinzu kommt eine vorübergehende Labilisierung, die zwar nicht exorbitant ist, entlang der Front (die sich übrigens durch eine markante Feuchteflusskonvergenz auszeichnet) aber ausreicht, um CAPE-Werte von rund hundert J/kg oder etwas mehr zu generieren. Dies führt u.a. dazu, dass nicht nur der Wind vor und mit Frontpassage deutlich zunimmt (bis Stärke 10 Bft, vereinzelt auch 11 Bft (u.a. durch Leitplankeneffekt im Alpenvorland), in höheren Lagen 12 Bft), sondern sich auch vermehrt Gewitter bilden. Verschiedene hochauflösende Modelle (darunter COSMO-D2, WRF, SuperHD) rechnen eine diskrete und sehr schmale Linie, die offensichtlich die Kaltfront markiert und eine organisierte Schauer- und Gewitterlinie darstellt. Somit sind
    auch bei kräftiger Konvektion schwere Sturmböen oder orkanartige Böen (10 bis 11 Bft) aufgrund des Impulstransportes von oben sehr gut vorstellbar, und nicht nur das. Bei sehr guter [definition=95,0]Scherung[/definition] (LL und DL), einem durch vorherige Regenfälle niedrigen HKN (teils bei 600 bis 400 m) sowie einem gewissen Maß an [definition=45,0]Helizität[/definition] sind sogar einzelne Tornados nicht ausgeschlossen.

    1. Vorsitzender Thüringer Storm Chaser e.V.
    ESSL Voluntary Observer Person (Qualitätslevel QC1) (European Severe Storms Laboratory)
    Weitere Mitgliedschaften: Member of AMS Weatherband · Premium Advanced Spotter (Skywarn Deutschland e.V.) · Arbeitskreis Meteore e.V.


  • Verregnete Landschaft an der Landesgrenze TH/BY (ca. 9:45 Uhr), ziemlich ungewohnt.


    Grüße aus dem ICE

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  • UPDATE: Die genaue Lage der Fronten am Abend ist noch nicht ganz klar. Fest steht, dass ab dem Mittag von Westen her verstärkt Regen aufzieht. Später könnte dann eine regenfreie Zone von Süden her eine "Delle" im Regengebiet hinterlassen - das wäre dann der Bereich, in dem der Warmsektor entsteht und sich etwas nach Norden vorarbeitet, bevor die Kaltfront hinter dem Tiefzentrum die Zone eilig wieder nach Süden zurückdrückt.


    Nach aktuellem Stand (Rapid Update HD 06z) würde der Scheitelpunkt etwa bis mindestens zur Mitte oder sogar bis in den Norden Thüringens reichen, wobei etwa 16 - 17 Uhr die Warmluft ihren nördlichsten Punkt über Thüringen gefunden hat. Die Kaltfront sollte sich ebenfalls bereits ab dem Mittag mit starken Schauern / Gewittern über Belgien bemerkbar machen. Die Lage der Konvektion im Nowcast könnte bereits Indizien dafür liefern, wieweit die [definition=59,0]Labilität[/definition] vor der Kaltfront wirklich nach Norden ausgreift. Die Gewitter ziehen dabei zunächst von West nach Ost und sollten dann sowohl in Richtung Okklusionspunkt, als auch nach Südwesten hin anbauen, sodass irgendwann am Abend eine nahezu geschlossene Linie von Frankreich bis zum Tiefzentrum entstanden sein sollte.


    Wer beobachtet, sollte sich der Gefahr durch Wind bewusst sein. Vereinzelt sind schwere Sturmböen oder sogar orkanartige Böen an der Kaltfront möglich, die Bäume sind durch die Trockenheit geschwächt, aber zum Teil noch belaubt. Fototechnisch könnte es vor der Linie kurzzeitig interessant werden, wenn eine sehr tiefhängende [definition=17,0]Böenwalze[/definition] über das Land zieht. Andererseits könnten aber Nieselregen und tiefe Wolken jegliches Fotomotiv versauen. Entsprechend muss jeder selbst wissen, ob es sich lohnt, sich ein erhöhtes Plätzchen zu suchen. In jedem Fall wird die [definition=16,2]Böenlinie[/definition] ein sehr kurzes Vergnügen. Der schmale Schauer-/Gewitterstreifen mit Starkregen wäre in etwa 5 - 10 Minuten durch, bevor dann hinter der Kaltfront / im Trogbereich neuer Regen aufzieht.

    - wetterinteressiert und unwetterbegeistert seit Beginn der 2000er Jahre
    - TSC-Mitglied seit 2007
    - aktiver Chaser seit 2010

    - als Spotter "zur Ruhe gesetzt" seit 2018

  • Schäden in Saalfeld:
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    Wer kann, bitte Schadensanalyse machen!

    1. Vorsitzender Thüringer Storm Chaser e.V.
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