Lokales Unwetterereignis am 03.07.2015 - Eine Nachbetrachtung für den Ilm-Kreis

  • Hallo zusammen,

    ich möchte mich heute mal an einer Nachbetrachtung für das Unwetterereignis das mich ursprünglich hier ins TSC-Forum / Verein geführt hat versuchen. Bilder gibt es dazu jedoch (leider) nicht, allenfalls habe ich damals ein paar kurze Schadensaufnahmen gemacht, während des Durchzugs war an fotografieren o.ä. aber absolut nicht zu denken.


    Ich vermute hier wird nur Einigen noch bewusst sein, welche Wetterlage & Bedingungen damals herrschten. Noch dazu war die lokale Abgrenzung der Gewitter letztendlich recht stark, die Zellen am Nachmittag des 03.07. befanden sich quasi nur entlang des Thüringer Waldes bzw. westlich von Erfurt.


    Wie komme ich nun dazu, bald 6 Jahre im Nachgang etwas dazu schreiben zu wollen?


    Auf längere Zeit gesehen, war die Lage wohl die Einzige, bei dem ein wirklich starkes Gewitter meine Region erfassen konnte. Gerade nach einigen aufschlussreichen Lageanalyse anderer Mitglieder hier im Forum, auf Discord und / oder Zoom, wurde mein Interesse dieses Gewitter nochmal genauer unter die Lupe zu nehmen geweckt. Letztendlich wusste ich über lange Zeit nicht genau was eine derartige Entwicklung überhaupt möglich machte. Andererseits ist weiterhin Lockdown und Gewitter gibt es auch (noch) keine... da kann man schon mal in der Vergangenheit schwelgen. ;)


    Das Wipfratal (östlich von Arnstadt) befindet sich bei W/SW Anströmung im Lee des Thüringer Waldes. Die meisten Gewitter auf Basis von Westwetterlagen fallen deshalb, aufgrund der Berge / Erhebungen, in unserer Region zusammen. Sie spalten sich auch hin und wieder in Nord- und Südteil auf oder legen hier ihre ersten Quellungen an bevor sie im Tiefland bessere Bedingungen vorfinden (selten). Einzig die stationären Wasserbomben über dem Thüringer Wald kann man im Sommer regelmäßig sehr gut beobachten, diese erreichen jedoch fast nie äußere Gebiete.


    Wie konnte es nun also am 03.07. bei einem typischen, eventuell leicht modifizierten, Hitzegewitter-Setting hier zu einem Unwetter kommen?


    Hitzegewitter...? Laaaannnnngweilig. :sleeping: Optisch größtenteils sicherlich, die Entwicklung bzw. das betroffene Gebiet machen die Lage (zumindest für mich) dennoch zu etwas besonderem.


    Ich beziehe mich im weiteren *nur* auf die Gebiete in der Mitte Thüringens und beachte somit den Gewittercluster am Morgen des Tages nicht weiter. Outflow der Linie aus Nordthüringen / Niedersachsen spielt denke ich eher eine untergeordnete Rolle. Anhand der Winddaten ist dieser zwar in den Morgenstunden zu erkennen, verläuft sich aber am Vormittag.


    Großwetterlage:



    Quelle: 2015070312_1.gif


    Quelle DWD / Wetter3 Archiv: 2015070312_0.gif


    Wirft man einen Blick auf die Druckkarten, wird erstmal auffällig das die Auslöse nicht durch eine "klassische" (Kalt-)Frontlage erzeugt wurde. Auf der Bodendruckkarte des DWD fand sich um 12z (14 lokal) ein Tiefdruckkomplex noch recht weit über dem Atlantik, eine Okklusion verlief etwa von der iberischen Halbinsel, entlang der nördlichen Küste Frankreichs bis zur Südspitze / Küste Norwegens. In 500hpa war eine starker Höhenrücken östlich dieser Okklusion erkenntlich. Über dem Schwarzen Meer befand sich dazu noch ein kleines Höhentief. Die Strömung aus südwestlicher Richtung erlaubte währenddessen die Heranführung von heißen Luftmassen aus Südeuropa.

    Die Bodenströmung über dem Osten Deutschlands ist am Morgen des 03.07. noch größtenteils aus öst/südöstlicher Richtung dominiert und wird dann kurzzeitig durch das Outflow Boundary der nördlichen Linie gestört. In der 500hpa Karte sind auch ganz gut die Windrichtungen zu erkennen, während der Wind am Boden nur leicht aus O/SO weht, dreht er in der Höhe auf eine schwach bis mittelmäßig ausgeprägte SW Strömung.


    Quelle: 10548 Meiningen Sounding


    Das Ganze spiegelt sich auch recht gut im 12z Sounding aus Meiningen wieder. Bodenströmung leicht aus Südost, darüber drehend auf West, später Südwest. Das Kondensationsniveau liegt bei ca. 775hpa und damit noch recht hoch, darüber ein Deckel für die Luftmasse bis etwa 680/690hpa. Ein CAPE Wert von rund 356 J/kg stellt sich im Verhältnis zu den hohen berechneten Mengen um 1500 - 2000J/kg auch noch recht moderat dar. Der Wert für niederschlagbares Wasser (PWAT) ist bei 32,3 aber ordentlich.


    Man sollte beachten das die Temperaturen und Taupunkte erst gegen 16/17 Uhr ihren Höchstwert erreichten, das 12er Sounding deckt die Entwicklung daher nicht vollständig ab. Zum Nachmittag ging es aufwärts bis 34°C (TP 15-16°C). Es bildete eine High-Energy / Low Shear Lage, die dennoch durch ihr Auftreten außerhalb des recht restriktiven, üblichen Gebiets für Wasserbomben (tiefer TH Wald - Ilmenau / Suhl...), nicht komplett stationär gelähmt sein sollte.


    Für einen etwas verzögerten Überblick der Luftschicht bietet sich auch das 00z Sounding vom 04.07. an:

    Quelle: 10548 Meiningen Sounding


    Berechnetes CAPE-Profil:


    Quelle: 2015070318_48.gif


    Bis kurz vor 14 Uhr waren noch einige kleinere Schauer südwestlich von Thüringen, knapp bis vor Meiningen, unterwegs. Reste der Linie vom Morgen. Zum Nachmittag zeigte sich über ganz Thüringen dann ein klarer Himmel und die Temperaturen stiegen weiter.


    Bedingt durch die Aufheizung des TH Walds bildete sich dort am Nachmittag ein Hitzetief aus, das durch seine Strömung die passende Konvergenz zur Entstehung der Gewitter bereitstellte. Durch die zusätzliche O/NO Anströmung aus der Landesmitte zeichnete sich im Vorland des TH Walds (im Kreis Gotha sowie im Ilm Kreis) eine kleinräumige, explosive Mischung für Gewitterzellen ab.


    Die Entwicklung gut auf den Sat-Bildern zu erkennen:



    Interessant ist das (nord)westlich von Gotha gar keine Auslöse mehr zustande kam. Es fehlte in der Region an Hebung durch zusammenströmende Windfelder. Die leichte Umströmung des Harzes spielt hier eventuell auch noch eine untergeordnete Rolle.


    Windkarte 17 Uhr: Windrichtung, Messwerte Deutschland vom 03.07.2015, 17:00 Uhr | Wetter von kachelmann.


    Neben der reinen Ostwärts-Bewegung der Zellen, entwickelte sich gegen 18:15 Uhr auch ein leichtes Abdriften nach Norden, angetrieben durch den jeweiligen Outflow.

    Radar HD+, Regenradar vom 03.07.2015, 18:15 Uhr - Thüringen | Wetter von kachelmann.


    Etwa gegen 18 Uhr traf uns der erste Teil der Zellen, die sich ebenfalls von ca. 17:50 bis 18:20 leicht nordwestwärts voran arbeiteten. Kurz darauf zerfielen die Gewitter im Flachland langsam wieder, während sich der Cluster bei Erfurt noch bis ca. 19:40 halten konnte. Die Zellen am Thüringer Wald bewegten sich für den Rest des Tages weiter an den Bergen entlang, bis etwa 21 Uhr Schluss war.


    Die Auswirkungen der Gewitterzelle hier waren verglichen mit dem bisher erlebten recht stark. Während des Ereignisses drückte es an mehreren Fensterrahmen / Türen Wasser durch die Dichtungen(!). Kleinere Äste, diverse Zweige und Laub wurden teils abgerissen, die Sichtweite fiel zeitweise auf wenige Meter. Es hagelte auch, aber “nur” mit einer Korngröße bis max. 1cm. Durch die generell hohe Wolkenbasis der Zellen, dürfte dafür ein Downburst verantwortlich gewesen sein. Ein beeindruckendes wenn auch nicht ganz angenehmes Schauspiel...


    Die DWD Radarsummen erreichten in den betroffenen Gebieten für dieses recht kurze Zeitfenster von ca. 45min bis zu 60l/m²!


    Niederschlagssumme Ilm-Kreis (1std) vom 03.07.2015, 18:50 Uhr | Wetter von kachelmann.


    Die Lage war wohl nur durch ein Zusammenspiel der Konvergenz mit der restlichen Anströmung aus Ost/Nordost, dem Outflow der Zellen selbst und den orografischen Gegebenheiten möglich. Daher auch der (aus dieser Richtung recht seltene) Fall das es die Luft im Vorland regelrecht zusammengequetscht hat, für eine Auslöse über dem Thüringer Wald selbst reichte es aufgrund fehlender Hebung nicht.


    Eine kurze Übersicht des Tages von Markus (mit einem Video aus Dachwig) findet man hier: RE: Thread Hitzewelle + Schwergewitterlagen ab 03.07.2015 Anhand der Strömungskarte zeigt sich dort auch nochmal hervorragend die Konvergenz.


    Ronny konnte die Entwicklung im Bereich Erfurt an dem Tag ebenfalls dokumentieren: 03.07.2015 |Weimar-Erfurt| - Gewittercluster mit Starkregen und Hagel


    Insgesamt (zumindest während meiner aktiveren Zeit) ein bisher recht einzigartiges und einprägendes Ereignis.


    Ein Dank geht noch an Anton, der den Beitrag nochmal Korrektur gelesen hat und mir bei ein paar fachlichen Fragen helfen konnte. :thumbup:


    Viele Grüße,

    Felix