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16.05.2022 | Superzelle Eisenach - Gotha - Nohra | Analyse

  • Anton
  • 18. Mai 2022 um 12:32
1. offizieller Beitrag
  • Anton
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    • 18. Mai 2022 um 12:32
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    Prolog:

    Wenn bei Vorbesprechungen der Gewitterlage am 16.05.2022 eines nicht in Betracht gezogen wurde, dann mit Sicherheit eine langlebige Superzelle in Thüringen. Zu schwach die Dynamik, zu wenig CAPE vorhanden. Und doch entstand an der Thüringisch - Hessischen Grenze gegen 16 Uhr ein Gewitter, dass in 3h rund 80km bis in die Region Nohra zurücklegte und dabei insbesondere in den unteren 3km fast dauerhaft eine deutliche Rotation aufwies.

    Komposit mehrerer Radarbilder. Quelle der ursprünglichen Radarbilder: Skywarn Deutschland e.V. - IRAS (React App)

    Synoptik:

    Am frühen Nachmittag des 16.05.2022 erstreckt sich am Boden eine Tiefdruckrinne vom Ärmelkanal über Mitteldeutschland bis hinab zur Adria. In der Höhe bewegt sich ein subtiler Kurzwellentrog über Sachsen hinweg, während sich ein gut ausgeprägter Höhentrog von Großbritannien über BENELUX bis nach Südfrankreich erstreckt.

    Während der erste subtile Trog hauptsächlich die mittäglichen Regenfälle in Thüringen begünstigt, sorgt der gut ausgeprägte Trog für die nötige Hebung bei der späteren Gewitterlage.

    Die Warmfront eines ersten Bodentiefs bewegt sich gegen Mittag und am frühen Nachmittag in Form eines schmalen Regenbands über Thüringen hinweg. Dahinter strömt deutlich feuchtere und labilere Luftmasse ein. Die zusätzliche Sonneneinstrahlung sorgt mit der durch den Regen angefeuchteten Luft für günstige Energieverhältnisse. Einstrahlungsbedingt, unterstützt durch die Hebung des aus Westen hereinkommenden Troges, entwickelte sich im Laufe des Nachmittags ein lokales Hitzetief im Bereich des westlichen Thüringer Waldes. Das ist z.B. sichtbar an der 3h Drucktendenz, die deutlich fallende Druckwerte im Bereich Eisenach - Gotha - Erfurt aufweist: Luftdruckänderung, 3std, Messwerte Thüringen vom 16.05.2022, 16:00 Uhr | Wetter von kachelmann.

    Spannend ist auch der Feuchtefluss in Bodennähe (SuperHD Mesoanalyse - Quelle: Feuchtefluss in Bodennähe (10^-7/s) - Wetteranalyse vom 16.05.2022, 16:00 Uhr für Thüringen | SuperHD (Mesoanalyse) | Wetter von kachelmann.). Blaue Werte bedeuten hier Konvergenz und Advektion von Feuchte . Genau in Zugbahn der Superzelle ist eine markante Feuchtekonvergenz auszumachen - etwa von Eisenach bis nach Nohra:

    Markant ist auch die Drehung des Bodenwindes von Südwind südlich der Konvergenz und Ostwind knapp nördlich der Konvergenz. Es ist zu vermuten, dass diese Konvergenz der Bodenwarmfront des lokalen Hitzetiefs geschuldet ist. Eine Superzelle ,die sich entlang der Bodenwarmfront eines Tiefs bewegt, profitiert sowohl von der Feuchtekonvergenz als auch von der erhöhten Windscherung durch die Warmluftadvektion. Sowas klappt für gewöhnlich eher in den Staaten, aber in sehr kleinem Maßstab können wir uns hier auch immer mal darüber freuen. Analysesoundings des ID2 zeigen in Zugbahn der Superzelle ca. 800 J/kg MLCAPE sowie 0-3km SRH Werte von rund 130 m^2s^2. Letzterer Wert ist entscheidend für die Rotation von Gewitteraufwinden. Die magische Grenze für Superzellen liegt bei ca. 150 m^2s^2. In Anbetracht dessen, dass die SRH im Bereich von starken Gewittern aber tendenziell noch etwas erhöht ist und die 150 m^2s^2 eher eine fließende Grenze ist lässt sich sagen: Die Bedingungen für eine Superzelle waren gegeben.

    Ablauf:

    Bereits aus großer Ferne war ab ca. 15:30 eine markante Quellung westlich von Eisenach zu erkennen. Diese wuchs zusehends, gegen 16:00 Uhr wurde die Zelle dann auch durch hohe Radarreflektivität auffällig. Markus war im Anfangsstadium der Zelle zugegen und berichtete bereits da von deutlich sichtbarer Rotation. Entsprechende Bilder zeigen bereits im frühen Stadium eine deutliche Trennung von Auf- und Abwind. Die Bilder finden sich hier: 2022-05-16-17 GEWITTER

    Zeitraffer:

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    Auch ein Blick in die Doppler Radar Daten zeigen in verschiedenen Höhen einen Dipol, der auf Rotation hinweist: Doppler-Sweeps vom 16.05.2022, 16:30 Uhr - Neuhaus (Nordwest) | Wetter von kachelmann.

    Von 17-18 Uhr MESZ hatte ich von meinem Standpunkt östlich von Gotha die Möglichkeit, die heranziehende Zelle zu Zeitraffern. Schön sichtbar sind die dauerhaft rotierende Basis und die darüber neu hochgehenden Aufwinde. Auch die bodennahe Südströmung wird durch die flachen Cumuli sichtbar:

    Raffer_SZ_komplett.mp4

    Kurz nach 18 Uhr ereignete sich genau über meinem Standort eine mehr oder weniger bilderbuchartige RFD Surge, wobei der Rear Flank Downdraft (RFD) die Aufwindbasis unterläuft und diese in eine Art Hufeisenform bringt. Dieses Stadium ist besonders relevant für die Tornadoentstehung, da durch den oft rabiaten Vorstoß des RFD verstärkt bodennahe Rotation erzeugt wird. So waren auch bei dieser Superzelle deutliche Wirbel und ein RFD Clear Slot erkennbar:

    Rotation.mp4

    Um 18:45 an der Autobahnabfahrt Nohra zeigt sich die Zelle bereits deutlich geschwächt, die Basis verliert an Größe und die Zelle wird in den folgenden Minuten zunehmend outflowdominant:

    Das Leben der Zelle würde ich somit gegen 19 Uhr für beendet erklären. Alles in allem eine tolle, langsam ziehende Superzelle, mit der an diesem Tag wohl niemand gerechnet hätte. Umso mehr erweist sich mal wieder der Nowcast als entscheidend. Besonders die Mesoanalyse des Feuchteflusses auf Kachelmannwetter (unter Rubrik Live-Wetter) kann ich ja nur jedem ans Herz legen.

    Schließen möchte ich diese Analyse mit dem, von mir während der Besprechung am Vorabend so in etwa geäußerten, Satz: "Mit guter Struktur muss man morgen nicht rechnen".

    6 Mal editiert, zuletzt von Anton (18. Mai 2022 um 12:45)

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    • 18. Mai 2022 um 16:48
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    • #2

    Hallo Anton,

    vielen Dank für die ausführliche Analyse des überraschenden Tages!

    Ich habe meinen Zeitraffer noch in deinen Beitrag ergänzt.

    2 Dinge möchte ich noch in den Raum werfen:

    1. Die lokale Orographie hatte sicherlich auch einen gewissen Einfluss auf die Entwicklung, Die Bergländer oder Höhenzüge wie beispielsweise Hainleite/Hohe Schrecke sorgten in anderen Fällen auch schon für örtliche Konvergenz.

    2. Im Vergleich zur flachen Superzelle vom 05.08.2019 war diese Zelle in der Entwicklung ein Stück weiter. EInerseits ist sie hochreichender in den Seitenaufrissen (8-10km) zu erkennen, die Rotation ist permanenter vorhanden und auch die elektrische Aktivität war hier deutlich mehr vorhanden als beim 2019er-Exemplar. Was meinst du? Was meint ihr?

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    • 18. Mai 2022 um 16:56
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    • #3
    Zitat von Markus

    Hallo Anton,

    vielen Dank für die ausführliche Analyse des überraschenden Tages!

    Ich habe meinen Zeitraffer noch in deinen Beitrag ergänzt.

    2 Dinge möchte ich noch in den Raum werfen:

    1. Die lokale Orographie hatte sicherlich auch einen gewissen Einfluss auf die Entwicklung, Die Bergländer oder Höhenzüge wie beispielsweise Hainleite/Hohe Schrecke sorgten in anderen Fällen auch schon für örtliche Konvergenz.

    2. Im Vergleich zur flachen Superzelle vom 05.08.2019 war diese Zelle in der Entwicklung ein Stück weiter. EInerseits ist sie hochreichender in den Seitenaufrissen (8-10km) zu erkennen, die Rotation ist permanenter vorhanden und auch die elektrische Aktivität war hier deutlich mehr vorhanden als beim 2019er-Exemplar. Was meinst du? Was meint ihr?

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    Danke für die Ergänzung deines Zeitraffers. Ich denke orografisch spielte der westliche Thüringen Wald bzw das Eichsfeld besonders in der Entstehung eine Rolle.

    Flach war diese Superzelle in dem Sinne, dass die Rotation besonders auf die unteren 3km oder so begrenzt war. Sieht man ja auch schon dass der obere Bereich des Aufwindes nur wenig Rotation zeigt. Die Aufwinde waren dabei aber trotzdem sehr hochreichend, also in dem Sinne Low Topped war sie nicht.

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