20.05.2022 | TH, SA | Flache Superzelle und Gewitterlinie am Abend

  • Hallo zusammen und willkommen zum nächsten Chasingbericht über den 20.05.2022. ;-)


    Eine genaue Lagebetrachtung und die Beschreibung der Ausgangskonstellation findet ihr hier: RE: 2022-05-19-20 GEWITTER (Unwettergefahr)


    Die Gewitterjagd startete zusammen mit Thomas Klein und Markus gegen 13 Uhr bei Arnstadt. Nachdem das Auto vollgepackt und wir somit vorbereitet waren, besprachen wir nochmals kurz die anstehende Lage sowie unsere Chasing-Optionen. Da recht viel Zeit bis zur Ankunft der ersten Front bzw. der Entstehung erster, vorlaufender Zellen war, wollten wir uns noch jede Möglichkeit zur späteren Positionierung offen halten.

    Eine “Gefahr” für freie Sicht und Aufnahmen der Gewitter bestand an diesem Tag vor allem durch die starke Höhenströmung. Die Befürchtung war, dass bspw. die Sicht auf das berechnete Bowecho durch vorlaufenden, ausgewehten Regen verdeckt wird.


    Aufgrund dessen wählten wir vorerst einen Bereich zwischen A38 und A4 aus, um die Flexibilität zu erhalten.


    Während der Anfahrt über die A71 überquerte uns ein schwacher Regenschauer - Überbleibsel eines kleinen Gewitters - und Indikator dafür, dass in der Atmosphäre viel Feuchte vorhanden war.



    Unser erster Aufenthaltspunkt und sonniger Warteplatz wurde ein kleiner Rastplatz südlich von Artern. Hier verbrachten wir die ersten paar Stunden mit regelmäßigen Telefonaten mit anderen TSClern und prüften die Wetterentwicklung über West- und Mitteldeutschland. Die Wartezeit haben wir uns kurzerhand noch mit einem Eis verkürzt.


    Die vielen Windräder in der Umgebung waren ideal zur Beurteilung der bodennahen Windrichtung. Hier war, bis auf eine kurze Varianz im späteren Verlauf, eine fast durchgehende Ostströmung zu beobachten. Das deckte sich somit gut mit den Windbedingungen aus den Vorhersage-Soundings und war ein weiterer Indikator dafür, dass die Modellberechnungen grundsätzlich erst einmal passten.


    Ab ca. 15/16 Uhr war im Windfeld über Thüringen eine Konvergenz zu erkennen, die sich langsam nordwärts verlagerte.


    Windrichtung, Messwerte Thüringen vom 20.05.2022, 16:00 Uhr | Wetter von kachelmann.


    Die Hoffnung, das diese Konvergenzlinie eventuell mit der Orografie am Harz eine Gewitterzelle auslösen konnte, erfüllte sich jedoch nicht. Im besten Fall ermöglichte sie im späteren Verlauf einen kleinen Bonus in der voranschreitenden Entwicklung bestehender Zellen.

    Aus Westen zogen gegen 17 Uhr langsam einige schwache Gewitter über die Landesgrenze nach Thüringen hinein. Für ein gewisses Stirnrunzeln sorgte allerdings ein Blick gen Süden. Unerwartet entstand hier die stärkste Thüringer Gewitterzelle des Tages etwa bei Meiningen.


    RadarHD-Stormtracking vom 20.05.2022, 17:05 Uhr - Thüringen | Wetter von kachelmann.


    Die Zelle lag damit etwas abseits der von den Modellen am Vortag favorisierten Zone und war scharf am südlichen Rand der von Estofex ausgegebenen Level 3 Warnung. Immerhin, sie zeigte, dass die Berechnungen und Erwartungen nicht grundlos waren.


    Wir beschlossen aufgrund der kleinen Entwicklungen an der westlichen Landesgrenze jetzt kurzum die nördliche A38-Option einzuschlagen. Damit erreichten wir die TSC-Chaserkonvergenz an einem Beobachtungspunkt nördlich von Allstedt. ;-)



    Gegen 17:45 Uhr erreichten die ersten vorlaufenden gewittrigen Schauer den Standort. Währenddessen bahnte sich in Südthüringen eine Bilderbuch-Superzelle seinen Weg… Es hofften wohl alle am Aussichtspunkt nur noch auf eine ebenfalls noch rasche Verstärkung der aufziehenden Gewitter.


    Superzelle in Südthüringen: Radar HD+, Regenradar vom 20.05.2022, 17:45 Uhr - Hildburghausen | Wetter von kachelmann.


    Entwicklung im ganzen Bundesland: Radar HD+, Regenradar vom 20.05.2022, 17:45 Uhr - Thüringen | Wetter von kachelmann.


    Es begann die heiße Phase, wer verlagert sich zuerst?


    Vorderseitig der Gewitter sorgte der erste Regen für eine sehr fahle Lichtstimmung:



    In der Ferne ließ sich gegen 18:20 aber immerhin ein erstes Indiz für eine gewisse Dynamik an den Zellen in Nordthüringen erkennen. Richtung Südwesten ragte kurzzeitig eine Aufwindbasis mit tiefer Wolkenuntergrenze durch den Regen, ehe sie durch den Beinahe-Zusammenschluss beider Gewitter wieder verschwand.



    Das Leipziger Team entschloss sich daraufhin als Erstes zum Standortwechsel aufgrund der erwarteten, weiteren Entwicklungsmöglichkeiten in der besseren Luftmasse im Osten. Die südlichere der beiden Zellen zog kurz darauf das bessere Los und baute sich wie erwartet weiter aus. Die nördliche Zelle zerfiel in dem Zuge kurz hinter Sangerhausen.


    Radar 18:25 Radar HD+, Regenradar vom 20.05.2022, 18:25 Uhr - Thüringen | Wetter von kachelmann.

    Radar 18:50 Radar HD+, Regenradar vom 20.05.2022, 18:50 Uhr - Thüringen | Wetter von kachelmann.


    Wir ließen die Gewitterzelle südlich von unserem Standort passieren und beobachteten die Rückseite.


    Hierbei wirkte der Anblick im ersten Moment schon fast bizarr und sorgte für Gesprächsstoff. Der Aufwind war derart weit von der eigentlichen Zelle getrennt, das man rein optisch fast vermuten konnte, dass das Wolkenband schon fast nicht mehr zur eigentlichen Gewitterzelle gehört. Es wirkte eher so als blickte man auf die gekrümmte, regenarme Unterseite einer Schauerlinie.





    Es handelte sich jedoch unweigerlich um den Aufwind der südlichen, organisierten Gewitterzelle. Dies wurde im weiteren Verlauf noch deutlich besser erkennbar.


    Bild - Thomas Klein



    Kurz nach 19 Uhr verabschiedeten wir uns von der restlichen verbliebenen Chasergruppe und verlagerten unsere Position über die A38 so schnell wie möglich nach Osten.


    Bild - Markus Weggässer


    Wir schossen an der Einfahrt zum nächsten Beobachtungspunkt bei Merseburg an der Leipziger-Chasinggruppe vorbei und trafen am Aussichtspunkt noch auf Marco und Chris. Gemeinsam beobachteten wir, wie die flache Superzelle über das Kraftwerk Schkopau zog und dabei kurzzeitig die Abluft einsaugte.


    Bild - Thomas Klein




    Bild - Thomas Klein


    Die Superzelle wirkte generell zwar beständig, unser Eindruck war jedoch, dass ihr die nötige Energie für eine Verstärkung fehlte. Außerdem ließ das Straßennetz keine schnelle Verlagerung mehr zu. Wir genossen somit den frühen Abend noch recht gemütlich. Unser zweites Ziel, die Gewitterlinie aus Westen, war noch ein gutes Stück entfernt.



    Bild - Thomas Klein


    Radar 19:35 Radar HD+, Regenradar vom 20.05.2022, 19:35 Uhr - Saalekreis | Wetter von kachelmann.


    Etwa 20:15 positionierten wir uns dann abermals neu und bezogen auf einem Feld zwischen Weißenfels und Naumburg Stellung.


    Leider trafen wir hier exakt den Bereich der Linie, der nicht mehr die kräftigste Entwicklung aufwies. Nördlich von unserer Position zog eine aus der Distanz noch recht gut erkennbare Böenwalze / Shelfcloud vorbei.


    Bild - Thomas Klein



    Nach nur wenigen Minuten am Standort wurden wir dann von der Gewitterlinie mit ca. 90 km/h Zuggeschwindigkeit eingeholt.


    Wir packten die Ausrüstung zusammen, stiegen wieder ins Auto. Während der Starkregen auf die Landschaft preschte, befanden wir uns auf dem Weg zurück zur Autobahn. Die Rückseite wirkte auf dem Radar weiter südlich etwas weniger regenverhangen. Allerdings verdeckte eine weitere Gewitterlinie, die sich noch weiter westlich etwa in der Landesmitte befand, bereits das Sonnenlicht. Wir wurden kurze Zeit später vollständig von der Linie passiert, rein optisch gab es nichts mehr von Relevanz.



    Das Chasing fand somit sein Ende und wir traten die Rückfahrt an. Auf der A9 gerieten wir noch für kurze Zeit in einen Stau. Die Gewitterlinie, die trotz Ausbleiben starker Böen über das Land zog, hatte es dennoch geschafft einen einzelnen Baum auf die Autobahn stürzen zu lassen…


    Ein Teil des Chasings ist auch noch in bewegten Bildern festgehalten. Insbesondere die Fahrt unter dem Aufwind der Superzelle hindurch war sehr spannend anzusehen:

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    Fazit (Felix):


    Für mich war es grundsätzlich das erste Level 3 Chasing in Thüringen. Der bestehenden Erfahrung über die Entwicklung und den damit verbundenen Unsicherheiten bewusst, war es von Beginn an schwierig, ein klares Ziel für den Tag festzulegen.


    Würden vorlaufend der Front (Super-)Zellen entstehen? Wird das Bowecho tatsächlich wie berechnet eintreffen und wo wird sich der Kern befinden? Lassen sich Faktoren ausmachen, die die Entwicklung stören könnten?


    Mit diesen Fragen startet man in eine solche Jagd und wie sich auch hier zeigte, gewinnt man bis zum Ende nur zögerlich Klarheit über den wahren Ablauf.


    Klar ist - für Thüringen gab es, abgesehen von der Südthüringen-Superzelle, *keine* Level 3-würdige Wetterentwicklung. Aus manch einer Sicht dürfte das auch für Ernüchterung gesorgt haben. Auf der anderen Seite ist es eine gute Nachricht für jeden, der deshalb nicht von Schäden durch Orkanböen, Großhagel, Downbursts oder sogar einem Tornado betroffen war. Besonders interessant ist dabei das fast vollständige Fehlen der im Vorfeld erwarteten, hohen Windgeschwindigkeiten im Zuge des Bowechos. Diese beeinflussten die Gefahrenbewertung am Vortag stark, spielten zuletzt aber fast keine Rolle mehr.


    Es wird interessant sein in der Nachbesprechung zu erörtern, welche Grundlagen für die veränderte Situation gesorgt haben. Mitunter dürften wohl vorlaufende Regengebiete (ggf fehlende Einstrahlung und zusätzliche Abkühlung), das Ausbleiben einer klaren “Dryline” sowie die Entwicklung der erst schwachen Gewitter vor der eigentlichen Gewitterfront einen Einfluss gehabt haben.


    Es bleibt nur festzuhalten - einem Level 3 liegt meist weiterhin eine schwer zu bewertende Ausgangssituation zugrunde.


    Viele Grüße, Thomas & Felix

  • Guten Abend, schöne Aufnahmen sind das. Die Superzelle welche ihr abgefangen habt, schätze ich als klassische ein. Übrigens standen wir etwas weiter rechts von den Windrädern und hatten die Böenfront gut erwischt.