- Offizieller Beitrag
Eine zweitägige Gewitterlage im Ausland, am Wochenende. Diese doch recht selten vorkommende Kombination löst bei mir immer Vorfreude aus. Besonders wenn das Ziel im Raum Südtschechien, Wien oder weiter südlich in Ungarn liegt. Eine Region die in den vergangenen Jahren als regelrechter Hotspot für, mit unter tornadische, Schwergewitterlagen hervorgetreten ist. Beispielhaft seien nur mal der 11.07.2017 (Tornado Wien Schwechat), der 29.08.2020 (Superzelle Lövö Ungarn) oder der 24.06.2021 (Zerstörerischer Tornado bei Hodonin) genannt.
Sowohl am Samstag (08.06) als auch am Sonntag (09.06) sollten sich entlang der SO Flanke der Alpen im Raum Österreich/Ungarn lokale Bodentiefs ausbilden, bedingt durch für die Region typische orografische Effekte und durch synoptischskaligen Antrieb resultierend aus dem nördlich gelegenen Höhentief. Diese Bodentiefs sorgen für Feuchtekonvergenz und eine Erhöhung der bodennahen Windscherung und sind daher für die Bildung von Superzellen unerlässlich. Samstag tendenziell noch weniger dynamisch, Sonntag dann durch einen wieder in die Westwinddrift integriertes Höhentief über Südfrankreich/Ligurischem Meer deutlich dynamischer und mit erhöhtem Tornadopotential. Estofex daher auch am Samstag mit einem lvl 2 und Sonntag mit dem gefürchteten lvl 3. Gefürchtet sowohl für das Schwergewitter- als auch für das Bustpotential.
08.06.2024:
Ich starte am 08.06 gegen 7 in Leipzig, grobes Ziel Wien. Auf der Fahrt deutet sich bereits an, dass ich gleich bis Wiener Neustadt muss, dort fängt es bereits zur Mittagszeit über den Alpen an zu quellen. Gegen 14:40 hat sich eine der Zellen bei Wiener Neustadt deutlich verstärkt, grummelt dauerhaft und bildet eine schöne Wallcloud aus. https://kachelmannwetter.com/de/regenradar/…0608-1240z.html
Die Zelle intensiviert sich zusehends, jetzt kommen die Erdblitze...teilweise etwas zu nah für meinen Geschmack.
Der RFD wickelt sich mittlerweile schön um die Basis herum und hinter der RFD Gustfront wird eine verdächtige Absenkung sichtbar. Dort ist auch immer wieder Rotation, allerdings kein eindeutiger Funnel sichtbar.
Am nächsten Standort und kurze Zeit später präsentiert sich die Zelle wie erwartet sehr HP-ig aber dennoch mit tollen Strukturen.
Der gewitterrelative Abtransport von Niederschlag in der mittleren Troposphäre ist heute nicht stark ausgeprägt und die Scherung in diesem Bereich eher gering. Im Sounding/Hodographen beträgt die Scherung zwischen 3 und 7km kaum 10kn und der right-mover gewitterrelative Wind zwischen 3 und 7km ist mit max. 15kn auch eher schwach. Im Temperaturbereich zwischen ca. -10 und -20°C (im Sounding also ca. 5-6km) findet aber nun mal die stärkste Niederschlagsbildung über die Mischphase statt (Bergeron Findeisen Prozess). Wird dieser Niederschlag nicht ausreichend abtransportiert i.e. fehlt in diesem Bereich die Scherung oder ist der gewitter-relative Wind zu niedrig ist ein schneller Übergang zum HP Modus oft die Folge.
Der kräftige Jet in der Höhe ist für den Aufwind kaum relevant, da die Labilität nicht so hoch reicht.
Noch erwähnt sei die sehr passable Scherung in den low levels, mit über 90° Winddrehung bis 3km und viel storm relative vorticity bis ca 2.5km.
Auf dem Weg nach Ungarn schwächelt die Zelle nun zunehmend, hier wird die Dynamik schwächer und die Grundschicht zu trocken. Ich besuche noch den Ort bei Lövö wo Sebastian und Ich am 29.08.2020 unsere tolle Superzelle abgefangen haben. Dann gehts weiter nach Szombathely, wo ich mir ein US-Style Motel nehme (https://maps.app.goo.gl/jbw4EDpNVZdppto59) und für nur 25EUR pro Nacht ein sauberes Zimmer mit 3 halbwegs bequemen Betten beziehe ![]()
Abends gehts nochmal raus um die zweite Gewitterwelle zu fotografieren die sich langsam aus den Alpen schält.
Nach einer schönen Blitzshow gehts nun aber endlich ins Motel, wo ich mir auf der Veranda noch ein Sterni schmecken lasse und das Nachtgewitter genieße. Der Plan für den nächsten Tag ist klar, ausschlafen und dann bei Szombathely auf Auslöse warten. Es scheint relativ sicher, das es dort gegen Nachmittag losgeht. Durch das eindrucksvolle Scherungsprofil dürfte jede Zelle schnell superzellulär werden. Tornados sind nicht ausgeschlossen.
Der Tag beginnt mit einem ernüchternden Anblick. Bei den Gewittern in der ersten Nachthälfte hat es lokal innerhalb von 4h teils 77mm geregnet (https://kachelmannwetter.com/de/messwerte/n…0609-0000z.html). Die folge sind über die Ufer getretene Rinnsale, die ganze Felde überflutet haben.
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Ich stehe ein paar Stunden in der Nähe von Szombathely und schaue den Quellungen beim wachsen zu, gegen 16:30 zündet eine Zelle nord-östlich von Graz entlang des Alpenrandes. Ich entscheide mich noch ein Stück nach Westen zu fahren, um die Zelle westlich von Szombathely entgegenzunehmen.
Die ersten schwächeren, vmtl noch entkoppelten LPs entstehen bereits nördlich der Bodenwarmfront entlang des Alpenrandes.
Hier mal die Position des Bodentiefs 17 und 18 Uhr grob in die Windanalyse von Kachelmannwetter (https://kachelmannwetter.com/de/messwerte/1…l)eingezeichnet.
Sichtbar ist dass die Warmfront bis 18 Uhr noch ein Stück weiter nach Norden vorankommt, dann bleibt sie stationär. Ich befinde mich beim grünen Dreieck, quasi direkt an der Bodenwarmfront. Die Bedingungen für Superzellen sind hier optimal, das Rückdrehen des Windes auf Ost sorgt für mehr streamwise vorticity im unteren 1km, die Feuchtekonvergenz entlang der Warmfront lässt die Taupunkte auf über 20°C steigen. Sobald die isolierte Zelle NO von Graz auf die Warmfront trifft sollte sie nochmal einen ordentlichen push bekommen und vor allem dynamisch deutlich an Intensität gewinnen. So der Plan.
Noch ist keine Basis sichtbar, hinter dem Dunst wird ein diffuser Aufwindturm sichtbar.
Die Basis wird am Horizont sichtbar. Ein neuer Aufwind entwickelt sich gerade darüber, die Zelle intensiviert sich noch.
Die Basis formiert sich zusehends und gewinnt an Breite. Allmählich wird das Dauergrummeln hörbar.
Mittlerweile steht ein wunderbar gerundeter Aufwindteller vor mir, bereits hier ist deutlich sichtbar wie eng sich der RFD unter der Basis rumwickelt.
Der Aufwindteller wächst weiter, die Rotation ist sehr markant. Beunruhigt und fasziniert wandert mein Blick immer wieder zu der sehr eng vom RFD umwickelten Wallcloud. Bei dieser klassischen Superzelle scheinen gerade alle Umgebungsparameter optimal.
Lehrbuchhafter geht es nicht, der RFD wickelt sich immer enger um die Wallcloud, gleichzeitig wird eine kurze und massive Tailcloud sichtbar an der die typischen 'Vorticity-Nudeln' sichtbar werden. Im Video rutscht mir der Satz raus: "In den USA wäre jetzt Tornadozeit, aber hier... ". So ganz will ich es immer noch nicht wahr haben, gleichzeitig ist es aber klar. Diese Zelle wird einen Tornado hervorbringen. Der einzige Unterschied zu den USA ist: Ich stehe ganz allein vor dieser Zelle.
Hier der Zeitraffer vom Aufzug der Zelle:
Und 5min später, gegen 18:50 ist es soweit. Der Tornado ist geboren, zu dieser Zeit hat er Bodenkontakt im ca. 10km entfernten Großpetersdorf auf österreichischer Seite (x.com).
Der Tricher ist wieder weniger auskondensiert und wieder etwas in die Breite gelaufen. An der Basis ist eher ein flacher diffuser Funnel erkennbar. Plötzlich sehe ich es am Boden, Blätter und Trümmer werden aufgewirbelt. Der Tornado ist am Boden! Zeit ist 18:55.
Auf der anderen Seite der Baumkette habe ich klare Sicht auf die Basis und den Trichter. Der Tornado hat Bodenkontakt auch wenn er nicht voll auskondensiert ist, Entfernung ca. 2-3km.
Auf
Filmen, Fotos, Meldung abgeben, Fluchtroute checken, Zugbahn im Auge behalten - jetzt wird es stressig und ich muss sehr viele Sachen gleichzeitig bedenken. Der Tornado scheint sich derweil zu intensivieren und kondensiert bodennah zum erste mal stärker aus. Lasst euch vom Weitwinkel nicht täuschen, Entfernung hier noch ca 1km.
Es scheint als driftet der Tornado nach links (süden), ein Effekt der häufig in der Anfangsphase von Tornados während der initialen RFD surge zu beobachten ist. Kurz habe ich Hoffnung, der Tornado würde südlich vorbeigehen und Narda verfehlen. Doch ziemlich genau als dieses Bild entstanden ist macht der Tornado plötzlich eine schnelle Wende nach Norden. Auch das ist nichts ungewöhnliches während die Okklusion des Tornados voranschreitet - aber musste das gerade jetzt passieren??! Entfernung ca, 500m,jetzt nichts wie weg! Einziger Fluchtweg der nicht den Pfad des Tornados kreuzt ist nach Westen Richtung Narda - Ironischerweite noch näher dran, aber aus der Zugbahn raus.
In Narda orientiere ich mich kurz, ist der Tornado noch am Boden? Ich sehe zwar Blätter wirbeln, bin aber quasi direkt unter dem Trichter der nicht voll auskondensiert ist. Plötzlich bildet sich vor mir, vielleicht 200m entfernt, eine Trümmerwolke, teile von Dächern werden weggerissen und Trümmer fallen vom Himmel. Der Tornado ist noch da - und ich bin viel zu nah dran!
Rasch fahre ich noch 500m nach Westen und drehe um, jetzt bin ich aus der Zugbahn und bin weit genug weg. Nach dem kurzen Touchdown ist der Tornado wieder ein nicht auskondensierter Funnel, die Rotation ist nach wie vor da und es fliegen noch Trümmer durch die Luft.
Der Kontrast durch den Regen ist schlecht und ich muss mich aufs fahren Konzentrieren. Hier ein Kontrastverstärktes Bild der Dashcam. Der Tornado ist nach wie vor da! Nur ist er von Regen umwickelt, schwer zu sehen und zieht auf Szombathely zu.
Allmählich wird der Funnel kürzer, ich folge der Superzelle weiter Richtung Szombathely.
Gegen 19:15 dann endlich der Ropeout, ca. 4km vor Szombathely und den nächsten größeren Orten.
Ca. 25min war der Tornado vermutlich auf dem Boden, die stärksten Schäden dabei in Narda. Ein ungarischer Fernsehbericht hat die Schäden und den Tornado gut dokumentiert, auch wenn man kein Wort versteht scheint klar, dass der Schreck bei den Einwohnern tief sitzt:
Am Ende hinterlässt das Chasing bei mir gemischte Gefühle. In den Chasingerfolg mischt sich der unschöne Beigeschmack, dass ein Ort getroffen wurde. Auch wenn glücklicherweise nichts von Personenschäden vermeldet wurde werden die Aufräumarbeiten in Narda sicherlich lange andauern. Besonders gruselig ist für mich die Vorstellung, dass dieser Tornado sich von Narda aus genauso gut weiter hätte verstärken können, und dann rainwrapped Szombathely, eine Stadt mit 78 Tausend Einwohnern getroffen hätte. In einem Land wo es kein Cell Broadcasting vor Unwettern und kein hochauflösendes Dopplerradar gibt...besser nicht drüber nachdenken was hätte passieren können.
Persönlich nehme ich mit, auch europäische Superzellen ernst zu nehmen und sich dem Tornadopotential jederzeit bewusst zu sein. Für meinen Geschmack kam ich dem Tornado zu nah, was den Straßenoptionen aber vor allem meinem zu langen Ausharren und der plötzlichen Richtungsänderung des Tornados zuzuschreiben ist. Alles in allem ein Tag, der mit in Erinnerung bleiben wird.
Hier findet ihr einen kurzen Zusammenschnitt von Videos des Tornados von mir:
Heute Abend kommt außerdem noch ein 60min Vlog zu den zwei Tagen Chasing auf meinem Youtubekanal online (BeautifulPower - YouTube). Schaut gerne mal rein wenn ihr Zeit und Lust habt.
Vielen Dank fürs lesen!
Anton