- Offizieller Beitrag
Es braucht mehrere Dinge für einen Tornadotag:
- Stratus
- Nieselregen
- Geruch nach Scheiße in der Luft (wer Teile Texas' kennt weiß was wir meinen)
- alle tragen die gleichen T-Shirts
- ein Maskottchen
- gutes Essen
Es stehen für heute drei Targets zur Auswahl. Für eins müssen wir uns entscheiden. Die Distanz zwischen den Targets lässt es nicht zu, nochmal zu wechseln.
Target 1: Südwest-Kansas/Südost-Colorado: Colorado Magic in den High Plains. An der Warmfront eines kleinen Tiefs wird es Superzellen und Tornados geben. Gute Sicht, kein Staub, moderate Chaserkonvergenz.
Target 2: Ost-New Mexico/West-Texas Panhandle: Östlich der Dryline wird es zünden und Superzellen werden an einer Outflow-Boundary ostwärts ziehen. Diese bringt den nötigen „Spin“ für große Dinge. Später HP-Modus und viel Staub. Große Chaserkonvergenz.
Target 3: It’s always Fort Stockton or Bust! Diskrete Zellen aus den Davies Mountains ziehen ostwärts. Geringstes Tornadopotential. Wenige Chaser.
Noch am Vorabend war ich persönlich bei Target 1. Auch im Hinblick für die Lage am nächsten Tag in dieser Region. Am Morgen des 05. Juni war allerdings klar, dass Target 2 der Tornado-Bringer werden wird. Eine Zündschnur wie diese Outflow Boundary kann man nicht liegen lassen. Daher heute Dienstkleidung für alle
Der Tag beginnt bereits vielversprechend: Kühl, dichter Stratus und Nieselregen. Ein sicherer Anhaltspunkt für einen Tornado-Tag. Das ist keine Ironie! Und das Target ist nicht mal schwierig zu finden: An bzw. leicht nördlich der Outflow Boundary positionieren und auf Zündung warten.
Wir visieren erstmal Lamesa im Süden an. Dort tanken wir Auto und Mägen nochmal auf, denn heute wird es spät werden. Im mexikanischen Restaurant haben drei Dollar gereicht, um aus einem Automaten unser diesjähriges Maskottchen zu greifen: George (gesprochen „Hoche“).
Ein Blick in die Mesoanalyse zeigt uns, dass wir uns besser etwas nördlicher positionieren sollten. Also zurück nach Brownfield. An der dortigen Tankstelle sind wir nicht alleine. Die Fahrzeuge des ICECHIP Forschungsprojektes haben neben anderen Chasern bereits den Parkplatz eingenommen. Dazu bester Tornadohimmel.
Wir treffen Tim Marshall, der uns ein bisschen was über das Projekt erzählt und die Hageldellen im Auto zeigt. Ebenso „Dummies“ von Dächern im Kastenaufbau des Fahrzeugs. Das Ziel ist es, direkt in den Hagel zu fahren. Das würde uns auch Spaß machen. Ab 10cm Durchmesser wird es richtig gefährlich im Auto, sagt Tim.
Im östlichen New Mexico entwickeln sich nun zwei Zellen.
Die Forschungsteams brechen auf, die Chaser kurz danach, wir bleiben noch stehen. Es deutet sich aber an, dass diese Zellen der Deal des Tages werden. Also fahren auch wir los. Diesmal am Ende der Lichterkette. Das hat den Vorteil, dass wir dann die Ersten sind, wenn wir wieder los fahren müssen.
Während der Anfahrt verstärkt sich die südliche Zelle. Als wir näher kommen, ist bereits eine ausgeprägte Wallcloud sichtbar.
Da die Zelle auf uns zuzieht, halten wir mit Abstand für Struktur und Tornado. Es dauert vielleicht eine Minute und der erste Staub ist auf dem Boden erkennbar, Darüber auch eine Säule. Tornado Nr. 1!
Bilder (2): Thomas Klein
Die schnelle Rotation und große Wallcloud signalisieren bereits, dass hier noch viel passieren wird. Wenige Minuten vergehen und der nächste Tornado ist da. Diesmal mit schöner Form. Nr. 2. Woran man Tornadogenesis auch erkennt: Der Inflow legt massiv zu kurz bevor es losgeht.
Bilder (2): Thomas Klein
Und danach gibt’s den nächsten mit Staubfuß. Nr. 3.:
Bild: Thomas Klein
Im Anschluss wieder eine lange Funnel Cloud:
Moment, auch da ist irgendein Wirbel rechts am Boden. Der nächste! Nr. 4!
Nach diesen ersten Versuchen findet erstmal eine kurze Re-Organisation statt. Auch wir verlagern uns wieder etwas ostwärts. Wir halten kurz und schauen der neuen Wallcloud direkt neben uns zu. Es wird wohl nicht lange dauern.
Noch ein kleines Stück vor und aus dem Inflow-Staub-Sturm raus.
Bild: Thomas Klein
Zu diesem Zeitpunkt bildet sich unter der Wallcloud ein größerer Tornado. Wir realisieren noch gar nicht, dass gleich neben uns ein großer Wedge-Tornado sein wird (Wedge = Keilform).
Als die Kante sichtbar wird, können wir es kaum glauben. Was für ein riesiges Teil! Eine gigantische rotierende Staubtrommel auf dem Boden. Tornado Nr. 5. Wedge Nr. 1.
Bild: Thomas Klein
Bild: Thomas Klein
Wir müssen weiter - wenn wir denn gelassen werden. Die Lichterkette gibt uns keinen Platz. Ein freundlicher Chaser lässt uns dann aber rein. Wie üblich möchten wir erstmal Abstand gewinnen und dann eine Weile zuschauen. Touch and go (für die Insider - haha).
Bild: Thomas Klein
Nach einer interessanten Fahrt über Feldwege gelangen wir wieder vor die Zelle. Kurzes Bild von einem Zwischenhalt:
Bild: Thomas Klein
Eine mystische Stimmung erwartet uns am nächsten Halt. Die Superzelle ist so hoch und mächtig, dass es dunkel wird als bricht die Nacht ein. Dazu Geflacker, Donner und Staub, der zur Zelle gezogen wird.
Bild: Thomas Klein
Wir müssen wieder weiter. Die Superzelle ist sehr groß und zieht recht schnell. Wir müssen auch bedenken, dass sie Kurs auf Lubbock nimmt. Das ist für die Stadt sehr schlecht. Ein Tornado in solch einer großen Stadt ist der Worst Case. Aber auch ohne gibt es großen Hagel, ergiebigen Starkregen und kräftige Windböen über 100 km/h. Unsere Probleme dagegen sind eher marginal. Wir müssen einfach vor der Zelle bleiben und die Stadt umfahren.
Zuerst halten wir aber nochmal für die Strukturbilder. Da diese riesige Superzelle enormen Inflow hat und die Felder trocken sind, kommt als Challenge dazu, etwas staubgeschützt zu stehen. Grüße an Christoph Geissler – es wäre ein großer Tag für dich gewesen!
Im „Inflow-Lee“ eines Pferdestalls klappt es. Vor uns: Das Mutterschiff:
Bild: Thomas Klein
Inspiriert von unserer Staub-Sand-Strahlung am ersten Tag in Colorado gönnt sich Felix auf dem Feldweg nochmal die volle Inflow-Dröhnung. Im Hintergrund heulen die Sirenen aufgrund der Tornadowarnung. Welch eine Stimmung. Es handelt sich immer noch um die gleiche Zelle. Mehrere Tornados, darunter ein großer Wedge, jetzt noch das Mutterschiff. Was kommt denn bitte heute noch alles?
Wir verlagern uns über den Norden von Lubbock auf die Ostseite und warten ab.
Wir stehen unter einem breiten Inflow-Band. Vor uns hohe Blitzfrequenzen. Die Sirenen heulen ununterbrochen.
Da wir nicht viel sehen, fahren wir nun nach Südwesten. Unsere Superzelle verlagert sich nun deutlich nach Südosten. Wir möchten auf die Südseite mit freier Sicht. Das dauert etwas. Es ist noch eine Stunde Zeit bis Sonnenuntergang. Wo die Superzelle ist, ist es tiefschwarz wie in der Nacht.
Glücklicherweise gab es in Lubbock keinen Tornado. Schäden durch Starkregen, Hagel und Wind aber allemal.
Als wir wieder Platz haben, sehen wir etwas mehr Dominanz des Abwinds. Der MCS-Mode ist on. Es ist dennoch fotogen. Und wie in Nebraska vor wenigen Tagen haut es hier wieder böse Erdblitze raus. Einer ist recht nah. Wir gehen mal ins Auto und fahren weiter.
Videostandbild: Thomas Klein
Das südliche Ende macht noch einmal etwas Rotation. Wir stehen ein letztes Mal davor. Dann entscheiden wir uns für das Ende der Jagd.
Zurück nach Lubbock für die Nacht. Unterwegs gibt’s noch eine mystische Stimmung, die auf den Fotos nur schwer einzufangen war.
Und tatsächlich kommt eine weitere Superzelle aus der gleichen Region der ersten auf uns zu! Es hört heute nicht auf. Unser Motel liegt aus unerklärlichen Gründen direkt in der Zugbahn.
Während wir versuchen mit Nachos das heutige Erlebnis zu verarbeiten zieht die Zelle knapp an uns vorbei. Viele Blitze, Regen und kleiner Hagel werden vom Wind durch die Gegend geschleudert. Das obligatorische Abendgewitter halt. Das Equipment ist voller Staub und Sand, die Kleidung ebenso, die Haare erst recht, das Auto – naja egal.
Noch voller Eindrücke ist schlafen nicht so schnell möglich. Ein Tag der Superlativen. Was soll jetzt noch kommen?