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Zwei aufregende Tage liegen hinter uns. So intensiv, dass wir schon gar nicht mehr alles von den Tagen zuvor wissen. Die Tage sind lang und es passiert so viel, dass der Kopf zwar aufnimmt, aber nicht alles verarbeitet. Unter einer sehr schnellen Mesozyklone als sie sich entwickelt, neben einem großen Wedge-Tornado, dann in einem Wirbel, dann weitere Tornados, Struktur, Mutterschiff, Burger und Pancakes. Puh.
Der 07. Juni ist ein Verlagerungstag nach Norden für die Lage am Folgetag (08. Juni). Die Modelle haben auch für heute eine einzelne Zelle im Programm, die quer durch das Panhandle zieht. Wir lassen erst die Option offen, verwerfen sie aber dann zugunsten der Regeneration. Wir wählen Pampa in Texas für die Übernachtung. Im Pool entspannen und später Burger essen. Zum Abendessen tauchen die ersten Bilder der Zelle auf. Struktur im Abendlicht – und das nicht zu knapp. Wir haben uns heute anders entschieden.
Für den heutigen Chasingtag (08. Juni) stehen mal wieder mehrere Optionen zur Auswahl. Im Panhandle kann es im nördlichen Bereich diskrete Zellen geben, wie auch im östlichen Panhandle oder südlicher in Texas. Im östlichen Panhandle und südlich wird sich später eine große Gewitterlinie entwickeln. Das ist für uns eher weniger interessant. Wir wählen das nördliche Oklahoma/Texas-Panhandle (blauer Kreis). Dort sind die Bedingungen unmittelbar vor der Kaltfront noch am besten für langlebige, diskrete Zellen.
Wir fahren erstmal nach Guymon. Östlich von uns blubbern seit den Vormittagsstunden Zellen an der Outflow Boundary. Von diesen darf man sich nicht triggern lassen, nur weil sie schon da sind und die Mesoscale Discussion des SPC diese auch im Verlauf als Option für tornadische Superzellen sieht, sobald sie aus der Grundschicht zutschen (ihr kennt das Geräusch dazu😉).
Der Himmel sieht schon mal vielversprechend aus:
Bild: Thomas Klein
Nördlich von uns, bei Elkhart, bildet sich eine erste einzelne Zelle. Die fahren wir mal an. Auf der Fahrt bildet sich rasch eine weitere weiter westlich bei Boise City. Diese sieht robuster aus. Wir fahren gleich dort hin weiter.
Während der Fahrt können wir die Entwicklung einer Wallcloud beobachten.
Wir müssen die Taktik zur Anfahrt kurz vor der Zelle anpassen. Entweder eher nach Süden und wieder nach Westen, um davor zu bleiben oder es reicht noch knapp daran vorbei zu fahren und sich dann weiter nach Süden zu positionieren. Ich persönlich favorisiere die zweite Variante. Die Zelle ist noch weiter in der Entwicklung. Niederschlag ist kein Problem und so schnell kommt noch kein Tornado. Weiterer Vorteil: Wir stehen auf der Rückseite im guten Licht.
Wir halten mit etwas Abstand zur Zelle am Straßenrand. Wir sind komplett alleine hier. Keine anderen Chaser sind da. Keine Locals. Kein Verkehr auf Straße. Es herrscht Stille. Ein paar Vögel zwitschern. Entspannung.
Nach ein paar Minuten sagt der Erste „Ist das ein Funnel“? Alle schauen hin, fokussieren mit den Augen den Rand und tatsächlich: Es rotiert! Es ist wirklich ein Funnel.
Hatten wir in den letzten Tagen oftmals zuerst Aufwirbelungen am Boden und keinen Trichter aus der Wolke, ist es diesmal genau andersherum. Und das Ding wächst noch weiter nach unten!
Jetzt beginnt es unglaubwürdig zu werden.
Wir können es nicht fassen, was hier vor uns geschieht. In dieser absoluten Leere formt sich dieser Tornado ganz sanft nach unten. Still und anmutig. Ein Traum könnte es nicht besser darstellen. Und dann ist er da:
Positiv geschockt und nicht begreifend, was sich hier abspielt stehen wir angewurzelt da und saugen diesen wunderschönen Tornado in uns auf. Ich hatte kurz Bedenken, dass er zu nah kommt, aber er zieht in ca. einem Kilometer an uns vorbei. Wir können bleiben.
Der RFD kommt nun mit Windböen und ein paar Tropfen. Er möchte einen leichten Vorhang vor den Tornado ziehen. Das lassen wir bestimmt nicht zu. Schnell ins Auto und ein paar Meter weiter.
So still wie die Szenerie waren auch wir alle. Alle haben gefesselt zugeschaut und den Moment genossen. Erst im Auto entlädt sich ganz kurz das Emotionsgewitter.
Er ist immer noch da. Wir realisieren die Zeit gar nicht mehr. Von uns aus kann es noch lange so weiter gehen. Er ist über der Prärie im Nirgendwo.
Wir können einige Minuten stehen, ehe wieder der rückseitige Abwind (RFD) mit Wind und Regen zunimmt.
Ein letztes Mal ein paar Meter weiter. Währenddessen hat er seine Zeit überschritten und geht ins Roping out (er löst sich auf). Und dieser Moment kann noch einmal dahingehend spannend werden, weil der Bodenwirbel doch nah bei uns sein kann. Die vertikale Säule wird nun wieder in die Horizontale gebracht.
Und plötzlich ist er statt eines Kegels ein langer, schmaler, filigraner Schlauch. Diesen Anblick hatte keiner von uns bisher so nah. In diesem dünnen Schlauch sehen wir ein wildes, rasantes wirbeln. Ein Schleudergang der den Boden nach oben in die Wolke saugt. Hypnotisierend.
Und der Bodenwirbel kommt wirklich rechts neben uns auf dem Feld in unsere Richtung. Wir fahren nochmal vor. In der kurzen Zeit ist er dann vollständig verschwunden.
Bilder (3): Thomas Klein
Radarloop:
Durchatmen. Was war das bitte?
Jetzt kommt der Teil, wo das fokussierte Funktionieren im Kopf sich mit dem emotionalen Übereindrücken mischt. Die Augen sind groß, „holy shit“, „Alter!“, Kopfschütteln, „wir müssen weiter“, „die probierts nochmal“, schnelles gucken auf dem Handy oder der Kamera.
Nur wenige haben ihn gesehen. In Anbetracht der riesigen Chaserkonvergenz an manchen Tagen ein zusätzliches Geschenk.
Neupositionierung etwas weiter südlich am Straßenrand. Mit Abstand im Sinne der Distanz schaltet der Kopf auch kurz auf emotionalen Abstand. Eine Teamumarmung zur Feier! Was für ein Erlebnis! Für alle ist es ein besonderer Moment und ein Highlight fürs Leben.
Die Realität holt uns aber schnell ein. Ein dumpfer Aufschlag in unserem Umfeld. Noch einer. Hagel! Nicht jener der kleinen Sorte. Sofort wird zusammengepackt. Denn diese einzelnen Teile fallen direkt aus dem rotierenden Aufwind. Einerseits ein gutes Zeichen dafür, dass der Aufwind noch funktioniert und stark ist, andererseits schlecht weil es weh tun kann.
Neuen Abstand gewinnen. Wir sind weiter alleine. Unsere Zelle möchte wieder neuen Anlauf nehmen. Sie organisiert sich neu, Inflow kommt dazu, Wallcloud bildet sich.
Der neue Zyklus hat begonnen. Sie ist aber noch nicht bereit den nächsten Tornado zu bilden. Das gibt uns Zeit weiter nach Süden zu fahren, denn die Straßenoptionen werden etwas dünner und wir möchten gern davor bleiben.
Als wir den nächsten Halt erreichen, ist für wenige Sekunden ein Wirbel nur am Boden sichtbar und genauso schnell weg wie er da war. Da geht aber noch was.
Bilder (3): Thomas Klein
Über trockene Feldwege geht’s nun weiter nach Süden. Die Straße ist stark von LKW’s befahren. Viel Staub, Ersatz für die Chaserkonvergenz heute – haha.
Während der ersten Meilen ist die Zelle wieder soweit. Wir sehen wieder einen Funnel links neben uns. Und dann ist er am Boden. Etwas schwierig hier zu halten. An einer Einfahrt klappt es.
Bilder (4): Thomas Klein
Wieder ein Erfolg. Und mit der Whales Mouth Struktur darüber auch etwas, was wir bisher noch nicht gesehen haben.
Bild: Thomas Klein
Es dauert eine Weile, bis wir wieder auf befestigter Straße sind. Meilen müssen erstmal gut gemacht werden, um sie auf ihren Südostkurs abzufangen.
In der Zeit verpassen wir nichts. Am nächsten Halt hat sie sich wieder neu organisiert. In der Ferne ist kurz ein Funnel zu erkennen.
Bild: Thomas Klein
Wir fahren wieder weiter als der Outflow bei uns ankommt.
Bild: Thomas Klein
Auf der Fahrt fällt nun immer mehr die Abwinddominanz auf. Das ging dann doch recht schnell. Wir checken erstmal die Lage. Unsere Superzelle wird in Kürze von dem großen Cluster östlich von uns mit „gefressen“. Damit ist an dieser Stelle auch Schluss mit der Jagd. Wir quartieren uns in Tucumcari ein. Haben wir uns heute was verdient! Mexikanisch wird in einem Restaurant in der Stadt gegessen.
Was fehlt noch? Richtig, das obligatorische Abendgewitter. Ist bereits da. Thomas und Felix schauen vom Motel-Parkplatz noch etwas zu. Andre und ich schauen die Videos des Tornados an. Nur zur Vorsicht, ob auch alles wirklich passiert ist 😉
Es ist aber wirklich passiert. Wir haben die beste Zelle des Tages erwischt mit einem fotogenen Tornado über offenem Land. Nun haben auch Andre, Felix und Thomas ihr persönliches „Milnesand“. Hätte ich 2015 nicht dieses überwältigende Ereignis gehabt, wäre dieser Tag die neue Nummer 1. Unabhängig von diesem Ranking sind wir alle stolz, glücklich und demütig. Und sicher noch etwas überdreht. Ohne Erwartung oder nur der geringsten Ahnung was uns heute erwarten wird, sind wir in den Tag gestartet. Wie auch schon 2015 in Milnesand. So entstehen Momente fürs Leben.
Und nach drei intensiven Tagen nach fast 3 Wochen sieht man es uns vermutlich auch an