Kurze Verifikation
Da schon die nächsten Lagen anstehen, möchte ich es kurz & knapp halten: Ja, für große Teile Thüringens hat es mit der Gewitterlage gestern nicht geklappt. Es ist auch insgesamt (zum Glück) nicht so heftig geworden, wie vor zwei Tagen vermutet. Dennoch zeigen die Unwetter in München und im Erzgebirge wie es auch in Thüringen hätte ablaufen können. Die Ausläufer davon haben dann zum Teil noch Schmölln und andere Regionen im Osten Thüringens erreicht.
Entscheidend wird dann - neben einigen anderen Faktoren - sein, wie schnell sich die Restbewölkung am Montag auflösen wird. Für die Auslöse dürfte die Einstrahlung eine wichtige Rolle spielen. Von Bayern her sollte sich ab dem Mittag der Himmel über Sachsen und Ostthüringen lichten. Dann können nach aktuellen Schätzungen am Abend bis zu 2.500 J/kg ML-CAPE aufgebaut werden mit den höchsten Werten in Ostsachsen. Im Detail sollte die Qualität der Luftmasse aber dann noch einmal im Nowcast (Temperatur- und Feuchteverhältnisse, Lapse Rates) bestimmt werden. Hilfreich dürften die Soundings aus München und Kümmersbrück werden, bedingt auch Prag, Meiningen weniger.
Man kann nicht oft genug betonen, wie wichtig es ist, bei solchen Lagen die tatsächlichen Verhältnisse nochmal kurz vorher genau zu beobachten und mit der Modellsimulation abzugleichen. Die kurzfristigen Änderungen im Rapid Update HD, wie es kachelmannwetter.com anbietet und die Mesoscale Discussion bei estofex.org bieten manchmal schon gute Hinweise.
Mich erinnerten die Parameter etwas an den 01.08.2017, wenn auch mit Unterschieden im Detail. Schon bei dieser Lage spielte sich das Geschehen letztlich weiter in der Warmluft ab. Nur sehr selten führt in Mitteleuropa etwas zur bodennahen Auslöse, wenn sich [definition=59,0]Labilität[/definition] und [definition=95,0]Scherung[/definition] so gut überlappen. Am 01.08.2017 wurde Auslöse verhindert, da ein [definition=25,0]Cold Pool[/definition] aus morgendlichen Clustern das Erreichen der Auslösetemperaturen verhinderte. Am 10.06.2019 war es hingegen die zu trockene Luftmasse über weiten Teilen Ost- und Mitteldeutschlands im Vergleich zu den Modellen.
Das Zünglein an der Waage - also was die Sache besonders spannend macht - dürfte das Leetief sein, welches tagsüber nördlich der Alpen entsteht und zum Abend mit der südlichen Höhenströmung nach Norden wandern soll. Es sorgt an seiner Nordflanke bodennah für Ostströmung, wodurch recht großflächig ein sehr interessantes Windprofil ensteht ([definition=89,1]Veering[/definition]). DLS könnte auf weit über 20m/s steigen, die SRH-Werte überschlagen sich fast und schießen in hierzulande kaum gekannte Höhen von 400 oder gar 500 m²/s² (laut modellzentrale.de).
Der Föhn im Süden Deutschlands konnte die Auslöse wiederum nicht verhindern. Dadurch hat sich auch das Bodentief etwas anders entwickelt, war weiter östlich positioniert und hat die feuchtwarme Luft kaum bis Thüringen herangeführt. Hingegen wurde Sachsen mit dieser Luftmasse aus Osten noch weitgehend geflutet.
Doch auch in Sachsen reichte es nicht mehr für diskrete Zellen. Die starke Hebung + Orographie am Erzgebirge hat die Zellen recht schnell in die Clusterform geführt. Die Auswirkungen waren entsprechend großflächiger, aber nicht ganz so extrem, wie es bei einer einzelnen [definition=101,0]Superzelle[/definition] (vgl. München) passiert wäre.
Zum späten Abend rechnet GFS dann auch zunehmend mit einer Verstärkung des Low Level Jets. Wolkenuntergrenzen würden nach meiner ersten Einschätzung auch passen, sodass die Gefahr von (starken) Tornados erhöht wäre.
Die Tornadoentstehung ist noch komplizierter. Hier steht und fällt alles mit winzigen Details. Mehr als vage Wahrscheinlichkeiten können hier nicht prognostiziert werden (auch in 100 Jahren noch nicht).
Im weiteren Verlauf würden sich die diskreten Superzellen dann zu mesoskalig-konvektiven Systemen ([definition=74,1]MCS[/definition]) zusammenschließen, die äußerst blitzaktiv sein dürften. Die Gefahren dürften sich dann in Richtung schwere Sturmböen, Starkregen mit Überflutungsgefahr und zu Beginn auch noch Hagel verlagern.
Das hat gepasst, zumindest für Ostthüringen und Sachsen. Je mehr Energie, desto blitzaktiver.
Zumindest nach aktuellem Stand dürfte estofex.org hier Lila (Level 3) zücken.
Das wäre das einzige, was ich nach heutigem Stand anders schreiben würde. Die Kriterien waren im Prinzip schon in der Vorbetrachtung nicht ganz erfüllt. Was generell fehlte, war ein großflächiges Forcing mit starken Höhenwinden, die beispielsweise flächige Orkanböen an Gewittersystemen verursachen könnten.