08.06.2023 - Starkregen- / Hagelgewitter in Unterfranken

  • Hallo zusammen,

    an dieser Stelle mein Chasingbericht zum 08.06.2023.


    Die Ausgangslage war meinem Empfinden nach etwas knifflig. Schon am Vortrag kristallisierte sich Franken bzw generell die obere Hälfte von Bayern als akzeptable Chasing-Option heraus. Die Frage, ob sich das Chasing einer relativ klassischen Wasserbomben-Lage allerdings als sinnvoll erweisen würde, stand aber auf einem anderen Blatt. Häufig sind die Lagen zwar für größere Schäden durch Hagel und Überflutungen in Staulagen bekannt, der optische Wert ist allerdings meist eher begrenzt. Dazu kommt, dass Planung und Fahrt durch solche "konvektiven Zonen” meist schwierig werden.

    Ich habe noch gemischte Erinnerungen an den 13.06.2020. Damals versuchten Markus und ich bei einem Chasing in Thüringen, kurz nach der Anfangsphase, über einige Stunden aus einem Gebiet mit immer wieder neuen Gewitterzellen zu entkommen.


    Die Zellen tauchen, sobald die Entwicklung einmal in Gang gesetzt ist, überall auf und es bilden sich schnell Multizellen / Gewittercluster. Diese sind mitunter auch nicht gerade ungefährlich, zusammen mit der leichten Unberechenbarkeit der Neuentwicklungen kommt die Gefahr, auf der Strecke von Starkregen, Hagel und heftigen Blitzschlägen eingeholt zu werden. Nicht zuletzt kann man im ungünstigsten Fall auch mal durch eine lokale Überflutung aufgehalten werden.


    Ich wartete lange ab, da ich in die Entwicklung über Thüringen kein besonderes Vertrauen hatte. Einerseits sollte die Entwicklung von Gewittern aufgrund von fehlenden Hebungsimpulsen quasi nur über dem Bergland stattfinden. Die flachen Landesteile hätten also maximal von einem evtl. durch Outflow erzeugten Gewitter(cluster) getroffen werden können - allerdings verabschiedete sich dann ab den Mittagsstunden auch die bodennahe Feuchte. Eigentlich hatte ich die Lage an dem Punkt schon fast abgeschrieben, wollte es dann aber doch noch probieren. Wenn schon mal ein paar Gewitter vorhanden sind, kann man das ja auch nutzen. ;-)


    Meine Wahl fiel nach kurzer Modell- und Radaranalyse vorerst auf die Umgebung von Mellrichstadt. Hier sollte der Antrieb aufgrund der Lage am Thüringer Wald gut genug sein, außerdem war man etwas mehr im Einflussbereich des KLTs. Zusätzlich gab es dort bisher kaum Gewitteraktivität und die Modelle (v.a. ID2) rechneten mit einigen Neuentwicklungen. Nach ca. 1h Fahrt war ich angekommen und bekam einen ersten Blick auf die umliegenden Zellen.


    Radar 17:20 Uhr - Standort war etwas westlich von Bad Königshofen bei Hendungen: https://kachelmannwetter.com/d…ausen/20230608-1520z.html


    Im Westen war ein recht kräftiges Gewitter unterwegs, das ich allerdings nicht mehr erreichen konnte. Der Amboss war allerdings nett anzusehen und Blitze + Donner sorgten für etwas Stimmung.



    Es dauerte nicht lang, bis sich östlich von meinem Standort erste, größere Versuche etablierten.



    Ich brauchte eine Weile, um mich in der relativ unbekannten Gegend zurechtzufinden und irrte etwas die Feldwege entlang. Gegen 18:00 Uhr fand ich dann einen geeigneten Standort. Leicht östlich von Mellrichstadt gibt es einen netten Ausblick (inkl einiger Holzfiguren), der einen nahezu optimalen Blick auf die aus Ost heranziehenden Zellen bot.



    Das Vordere der beiden Gewitter zog mit häufigem Donnergrummeln vorbei, machte aber optisch bis auf die ganz kleine Mammaten-Sammlung an der Vorderseite nicht viel her.


    Radar 18:15 Uhr - https://kachelmannwetter.com/d…ausen/20230608-1615z.html


    Blick über Mellrichstadt und auf den Rücken des Gewitters weiter westlich:



    Im Osten zeigte die zweite Zelle erste Zähne.



    Die zweite, leicht südöstlich versetzte Zelle wollte es jetzt wirklich wissen. Innerhalb von kurzer Zeit (ca. 15min) bildete sich eine ansehnliche Shelfcloud / Böenwalze. Ich konnte ehrlich gesagt nicht so richtig glauben, wie stark die Intensität vor meinen Augen zunahm.


    18:16 Uhr:






    18:30 Uhr:




    Es wurde allerdings langsam auch gefährlicher - Blitze zuckten in der Umgebung und der Donner wurde lauter. Zudem machte die Zelle selbst einen wirklich bissigen Eindruck. Der Niederschlagsbereich war extrem dicht und die Walze rückte bedrohlich nahe. Die Zugrichtung hatte sich nicht wirklich verändert, aber die Zelle entwickelte sich zur guten Luft auf der Südseite hin natürlich stärker - und baute in diese (also meine) Richtung auch immer mehr an.



    Letztes Bild vor der Abfahrt:



    Hier machte ich einen kleinen Fehler, den man planungstechnisch beim nächsten Mal eventuell verbessern könnte:


    Ich wollte nach Süden vor der Zelle entkommen. Die Zugrichtung der Einzelzelle ging bisher Richtung Nordwest/West leicht an mir vorbei, allerdings hatte ich nicht in dem Ausmaß mit Neuentwicklungen am südlichen Ende gerechnet.


    Hier bildeten sich innerhalb meiner Standzeit auch einige sehr kräftige Zellen aus, die sofort begannen, mit den bestehenden Gewittern zu einer Linie zu verclustern. Die Autobahn hatte ich mir als schnellste Fluchtoption ausgesucht, anstatt erst nach Mellrichstadt und dann nach Süden zu fahren. Um das von meinem Standort machen zu können, musste ich allerdings ein Stück nach Westen, um dann quasi 180° zurück noch ca. 1,5km auf die Autobahn zu fahren. Also genau in die Zugbahn der Front.


    Die Autobahn erreichte ich noch recht gut, einmal aufgefahren, saß man aber direkt voll im Starkregen. Immerhin war wenig los und mit mittlerer Geschwindigkeit kam man halbwegs gut voran. An der nächsten Abfahrt (Bad Neustadt an der Saale) war ich vorerst wieder in einer freien Zone und konnte kurz durchatmen. Ich parkte etwas abseits der Bundesstraße und checkte Radar & Discord.


    Auf einmal kam zum leichten Regen ein dumpfer, harter Aufschlag auf dem Autodach - und gleich noch der Nächste - Hagel! Ich war davon ausgegangen, aus der permanent größer gewordenen Gewitterzone entkommen zu sein - weit gefehlt. Ich machte mich sofort wieder auf den Weg und suchte schnellstmöglich eine geeignete Unterstellmöglichkeit.


    Es war wirklich verdammt laut im Auto. Auch wenn die Fahrt bis auf den langsam wachsenden Hagelbelag auf der Straße kein Problem war, dachte ich kurzzeitig das einige der Körner auch durchaus einen Schaden hinterlassen könnten... Etwas weiter südlich fand ich dann eine Tankstelle und konnte das Auto sicher abstellen.


    Radar 18:40 Uhr - Die A71 wurde hier auf langer Strecke von dem Cluster erfasst: https://kachelmannwetter.com/d…bfeld/20230608-1640z.html


    Ich wartete eine ganze Weile, bis das Gebiet und die Autobahn wieder frei von Gewittern waren. Auf dem Weg zurück kam ich nochmal an meinem vorherigen Haltepunkt vorbei - es war definitiv die richtige Entscheidung, mich nicht an dieser Stelle überrollen zu lassen. An den Straßenrändern lagen Hageldecken, Blätter und Zweige waren abgerissen, etwas Nebel stieg auf.


    Für die Analyse machte ich kurz nochmal einen Stopp, die Korngröße dürfte wohl an dieser Stelle im Maximum bei ca. 2-2,5cm gelegen haben. Wobei der größere Teil eher aus kleineren Körnern bis 1cm bestand. Der Hagel taute allerdings schnell ab.








    Die Fahrt zurück war dann wieder ruhiger, an einer Stelle war aber selbst auf der Autobahn noch eine dicke Schicht an Hagel zurückgeblieben. Hier muss man echt aufpassen, nicht einfach gedankenlos durchzufahren. Es war zwar nur ein sehr kleiner Bereich, dafür war die linke Spur aber quasi vollständig bedeckt. Währenddessen warnte Antenne Thüringen über Eisglätte und Aquaplaning-Gefahr zwischen Mellrichstadt und Bad Neustadt a.d. Saale…


    Letztendlich war es eine recht erfolgreiche Jagd. Mein Plan, nicht auf die Thüringer-Option zu setzen, war richtig, denn hier verliefen sich die entstandenen Zellen recht schnell wieder. Mehr als einen guten Standpunkt zu suchen und abzuwarten ist in dem Gebiet nahe Südthüringen bzw in Franken meist eh nicht drin, da die Aussichtspunkte eher schwierig zu erreichen sind und eine schnelle Verbindungsoption “landschaftsbedingt” fehlt.


    Ich denke nur, das man ab dem Punkt der Flucht vermutlich besser direkt einen Unterstand in Mellrichstadt hätte suchen sollen, statt noch nach Süden zu flüchten. Die Jagd war mit Eintreffen des Clusters eh vorbei - für Blitze wäre es mir dahinter ggf etwas zu gefährlich gewesen und ich musste sowieso direkt wieder in die Heimat. Obwohl die Flucht letztendlich wie geplant gelang, habe ich mich durch die Fahrerei eher selbst in Gefahr gebracht, statt den nach Süden verstärkten Cluster geschützt abzuwarten.


    VG, Felix

  • Hallo Felix,


    war das eigentlich das erste (größere) Chasing mit dem eigenen Auto?


    Es freut mich, dass die Planung aufgegangen ist und du diese schöne Böenwalze ablichten konntest.

    Erfahrungen sammeln und Entscheidungen reflektieren gehören zum festen Chasinghandwerk hinzu.

    Ich sehe dich da bestens gewappnet :)


    Und danke für die Umsetzung der Hageldokumentation samt Vergleichsobjekt ;)


    LG

    Markus

    1. Vorsitzender Thüringer Storm Chaser e.V.
    ESSL Voluntary Observer Person (Qualitätslevel QC1) (European Severe Storms Laboratory)
    Weitere Mitgliedschaften: Member of AMS Weatherband · Arbeitskreis Meteore e.V.

  • Hallo Felix,


    war das eigentlich das erste (größere) Chasing mit dem eigenen Auto?

    Jep. War ja klar das es dabei direkt zur Hageltaufe kommen musste, aber ich war ja einigermaßen zügig wieder raus. ;) Ich konnte hier glücklicherweise auch direkt auf die ordentliche Fahrausbildung & frühere Erfahrungen im Starkregen als Beifahrer bauen.


    Ich war bzw bin mit dem Chasing generell recht zufrieden. Die Lage in Thüringen ging sich letztendlich, wie erwartet, nicht wirklich aus. Die Standortsuche bei Mellrichstadt war dann nicht so einfach. Obwohl wir dort ja schon mal vor ein paar Jahren waren, hat es eine Weile gedauert einen Punkt mit gutem rundum Blick zu finden.


    Wir finden demnächst sicherlich auch mal eine Gewitterlage wo du zur Abwechselung mal die Beifahrerrolle übernimmst. ;-)


    Ich muss von den letzten Chasings mal noch ein paar Punkte in der Karte nachtragen...



    VG, Felix