04.08.2013 I TH, BY, SN, SA I MCS bei Amberg, Superzellen, Analyse (großer Bericht!)

  • Hallo miteinander,


    am Sonntag, dem 04.08.2013, unternahm ich mit Marco und Ronny aus Jena ein umfangreiches Chasing in Thüringen, Bayern, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Wir chasten in Bayern einen MCS und erlebten eine imposante Superzelle im Abendlicht im Thüringer Holzland. Die Jagd war geprägt von einschneidenden Erlebnissen bei Amberg, als uns der MCS in einem bewaldeten Gebiet traf, Äste flogen und Bäume umknickten. Auf der Autobahn gerieten wir mehrfach in heftigen Starkregen, das Fahren gestaltete sich durch umhergewirbelte Äste, Laub, Stroh und Aquaplaning schwierig. Die Jagd zog sich bis in die späten Abendstunden hin, als wir nahe der Landesgrenze zu Sachsen-Anhalt noch eine Superzelle im Abendlicht betrachteten. Der Beitrag soll die meteorologischen Ausgangsbedingungen, den Verlauf der Jagd und insbesondere die Gefahren in Verbindung mit falschen Entscheidungen betrachten und auswerten.


    Den Bericht von Ronny und Marco findet ihr hier: KLICK


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    1. Wetterlage (Termin der Karten 12 UTC = 14 Uhr MESZ)


    Ein umfangreicher Langwellentrog erstreckt sich vom Europäischen Nordmeer bis zu einem Bereich westlich der Biskaya. Das steuernde Tief befindet sich zwischen Island und Nordskandinavien. Der zuvor maßgeblich wetterbestimmende Höhenrücken ist weiter nach Osten gezogen und liegt nun auf einer Achse Italien - Polen östlich Deutschlands. Somit befindet sich Deutschland im Bereich der Trogvorderseite unter Zufuhr einer subtropischen, labilen Luftmasse.

    Quelle: wetter3 Archiv


    Am Boden liegt von Südwesten nach Nordosten verlaufend eine Luftmassengrenze über Deutschland unter gradientschwachen Bedingungen. Besonders im Südwesten, Süden und Osten Deutschlands liegt bedingt durch die Südwestströmung eine labile und feucht-heiße Luftmasse.

    Quelle: wetter3 Archiv


    In 9000 m Höhe zeigt sich ein Kurzwellentrog über Südwestdeutschland, der neben der Warmluftadvektion (WLA) mit positiver Vorticityadvektion (PVA) für entsprechende Hebung sorgt:

    Quelle: wetter3 Archiv


    Die prognostizierten CAPE-Werte liegen zw. 1.200 und 1.600 J/kg mit Spitzen bis 2.000 J/kg am Alpenrand. Der Lifted Index (LI) liegt zw. -4 und -6, am Alpenrand bis -8.

    Quelle: wetter3 Archiv


    Die 2m Temperatur zeigt Werte zw. 29 und 31°C, teilweise bis 34°C bei Taupunkten zw. 15 und 18°C:

    Quelle: wetter3 Archiv


    Taupunkt:

    Quelle: wetter3 Archiv
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    2. Nowcasting




    09:00 Uhr MESZ:

    Quelle: EUMETSAT, Text: Auszug Estofex Outlook 04.08.2013


    12:00 Uhr MESZ:

    Quelle: EUMETSAT, Text: Auszug Estofex Outlook 04.08.2013


    14:00 Uhr MESZ:

    Quelle: EUMETSAT, Text: Auszug Estofex Outlook 04.08.2013


    19:00 Uhr MESZ:

    Quelle: EUMETSAT, Text: Auszug Estofex Outlook 04.08.2013


    3. Jagdverlauf bis Amberg


    Zur Mittagszeit trafen wir uns bei Marco, machten das Auto fertig und fuhren los. Um uns herum türmten sich bereits zahlreiche ansehnliche Cumuli in stark vertikalem Ausmaß. Schon hier begann ein gewisser Zwiespalt, der sich bis ins Fränkische fortsetzen sollte. Wir wussten um die Möglichkeit von Superzellen im Osten/Südosten Thüringens, hatten aber eigentlich als Priorität den MCS festgelegt. Kaum auf der A4 fuhren wir Stadtroda wieder ab, um vom Gewerbegebiet Bollberg aus die Türme (nicht die Jenaer auf dem Erdboden) besser zu sehen:




    Nach einigen Minuten Aufenthalt doch wieder ostwärts und am Hermsdorfer Kreuz gen Süden. Neben alternden Schirmen erster Aufstiegsversuche auf der Superzellen-Karriereleiter auch neue Cumuli, teils mit markanten Quellungen. Hinter Triptis der erste Starkregenschauer, ein weiterer direkt voraus, die Tropfen wurden dicker und zahlreicher. Diese Zelle zog beim Erreichen des Reifestadiums über die Autobahn hinweg und lies auch gleich mal ein bisschen Hagel fallen. Subjektiv geschätzt waren die größten Exemplare 2 cm groß.


    Die Abfahrt Hirschberg nutzten wir erneut für einen Zwischenstopp. Vor Blintendorf mussten wir uns einfach noch einmal diese beeindruckende Zelle anschauen. Die Bilder dazu machten Ronny und Marco, ich schätzte anhand Radar und weiterem Fahrtweg grob das Timing für das Erreichen des MCS ab. Auf der Fahrt durchs Frankenland noch einmal 2 "Zellchen" ohne nennenswerte Vorkommnisse. Die Navigation übernahmen unlängst Marco und Ronny, welche sehr gut funktionierte! Ein Lob an dieser Stelle, denn gerade Marcos Geopgrahiekenntnisse lassen mich nicht selten im Unklaren, ob Nordfriesland ein Tal in Oberbayern ist. Der hiesige Tag jedoch brachte weiteres Vertrauen wie schon in der Vorwoche zurück. Klappte das Zusammenspiel zwischen Routenplanung in Abstimmung mit den aktuellen Staumeldungen, der zu erwartenden Staumöglichkeiten aufgrund der MCS-Einwirkung auf den Straßenverkehr und natürlich der Zugbahn selbigen Systems.


    Darauf aufbauend fuhren wir an der AS Pegnitz ab und folgten von nun an der B85 weiter Richtung Amberg. Wir kamen zügig voran, wurden unterwegs zwar mit dem Fernglas beobachtet, jedoch nicht abgeschossen :zwinker Der MCS kam nun immer näher, lag bereits südlich von Nürnberg. Kritikpunkt an der Navigation: Die Fahrt durch die Stadt, in diesem Falle Amberg. Das kann die letzten Minuten kosten, die man noch hat (6 sollten es am Ende sein). Doch auch hier zügiges vorankommen, schnelle Ampelschaltungen, es läuft noch. Die Herzen schlagen aber längst schon höher und die erhitzte Suche nach einem Beobachtungspunkt ist in vollem Gange. Wir verlassen Amberg südostwärts und bogen nach Penkhof ab. Waldstück, klein und gemein, hier müssen wir unbedingt noch vor dem Core auf der Rückfahrt durch war mein erster Gedanke... Wir fuhren der aufziehenden Front entgegen, Böenfrontstrukturen, grünlicher Himmel, Gegrummel in schwül-heißer Luft, kurze Momente, die ein Leben lang gespeichert bleiben. Nach dem Waldstück eine Lichtung vor dem Ort, noch weiter auf keinen Fall, wir halten.


    Unvergessen die Kommentare von Marco an dieser Stelle: "njaaaa, so toll iss'es nicht", "wir fahren einfach wieder weg oder?". Fotografisch hat er sich den Anblick des Vordergrundes etwas anders vorgestellt, während Ronny das komplette Gegenteil ausspricht. Jeder packte die Kamera und rannte auf eine andere Stelle vom Feld.


    Ich hielt dabei folgende Eindrücke fest:




    Panorama 1:


    Panorama 2:


    Die Front kommt immer näher:


    Es blieben 6 Minuten bis wir wieder so zum Auto rannten, wie wir davon weggerannt sind:


    Den ganzen Ablauf auch nochmal im Video von Marco:
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    4. Flucht


    Beim hastigen Einpacken kam aus dem Ort (wo ich eigentlich wenden wollte) noch ein Mähdrescher die Straße hinauf, auf die inklusive des Fahrbahnrandes gerade so zwei PKW aneinander vorbei passen. Wenn der vor uns sein sollte, gute Nacht. Rückwärtsgang rein, im Spiegel nichts zu sehen, und zurück in die Waldwegeinfahrt. Wir drehen und hauen ab.


    An der Kreuzung angekommen 2 Optionen: Entweder zurück in die Stadt (nicht ungefährlich durch Trümmer) oder weiter südostwärts durch ein weiteres Waldstück um wieder auf die A6 zu kommen. Die Entscheidung fiel auf den Südosten, das Waldstück sollte man noch schaffen bevor es ungemütlich wird. Doch das Gegenteil war der Fall. Kaum reingefahren auffrischender Wind, Böen drücken bereits ans Auto, Blätter und Äste spreißeln, selbige liegen auf der Bundesstraße, die Böen nehmen zu, Bäume biegen sich, erste Äste liegen, Angst ist unlängst aufgekommen. Weiter vorn eine Einbuchtung mit Waldeinfahrt auf der anderen Seite. Die Winde kommen von der gegenüberliegenden Seite, die Bäume reichen wenn sie kippen über die gesamte Fahrbahn, theoretisch nicht weiter. Wir sind im Core, Regen peitscht, Bäume werden vom Wind gevoltert. Nach einiger Zeit merken wir, dass wir im stratiformen Niederschlagsbereich sind. Bekanntlich lässt der Wind hier deutlich nach und so sollte es auch sein. Ferner müssen wir weiter, da für Aufräumarbeiten die Straße bald gesperrt werden würde. Zurück können wir nicht mehr, das verrät das Radio. Also geradeaus, vorbeischlängeln an umgestürzten Bäumen, die rettende Autobahn in Sicht. Wir beschlossen mit dem Niederschlag weiter nordostwärts und dann nordwärts auf der A93 zu fahren. Die Jagd schien insgesamt gelaufen, wir 3 waren zwar noch tief im Funktionsmodus, aber erwarteten nicht mehr als jede Menge Regen bis wir irgendwo vor Hof sein sollten.


    Wir sahen auf dem Weg nach Norden von den Feldern verfrachtetes Heu auf der Autobahn:


    Immer wieder erreichten wir die vordere Front mit den starken Zellen. Wo der Core gerade durchging, verriet uns auch die Gegenspur, denn hier standen etliche Autos mit Warnblinkanlagen. Verdeutlicht wurde uns das Ganze noch durch ansehnliche Wasserfontänen von der gegenüberliegenden Seite, dem bekannten Geäst auf der Fahrbahn und der schlechter werdenden Sicht:


    Nach einer Weile sah man einen kleinen helleren Streifen am Horizont der Autobahn, der immer größer wurde, die Wolken über uns dagegen immer dunkler und bedrohlicher. Haben wir tatsächlich das Ding nochmal überholt? Wir konnten es gar nicht fassen und kamen in eine andere Art "Bärenkäfig": Über uns schwarze Wolken, darunter wild von links nach rechts tänzelnde Virgas, wir waren im Bereich der Shelfcloud und im Begriff, selbige zu druchbrechen:



    Es gelang uns auch und wir konnten einen ersten Blick auf das Monster werden, incredible:


    Aus dem Regen mussten wir aber noch raus, denn diese Strukturen müssen festgehalten werden. Es gelang an der AS Falkenberg, wo wir auf einen nahen Feld stoppten und den abziehenden MCS genossen:


    Blick nach Norden:


    Genug Zeit war vergangen den abziehden MCS zu bewundern, jetzt sollte es aber nach Hause gehen. Wir näherten uns Hof, Marco und Ronny beobachteten gespannt eine Gewitterzelle vor den Toren Chemnitz's. Über die A72 sollten wir diese erreichen, also Kurswechsel und volle Fahrt voraus, zumindest für die ersten Kilometer bis zum Stauende :grins Das TDS aktualisierte das Navi zu spät, sodass der Stau nur auf der Gegenseite angezeigt wurde und leider befanden wir uns zusätzlich zwischen voller Stunde und halber Stunde wegen den Verkehrsmeldungen. Die Zelle ging uns unlängst durch die Lappen, also Abbruch. Reichenbach fuhren wir wieder runter, es war Zeit sich zu sammeln und das Auto aufzuräumen. Gemächlich ging es über Greiz (wo vor uns noch ein Mopedfahrer stürzte) und Zeulenroda zurück auf die A9 bei Dittersdorf. Im Norden ein schöner TCU, den könnte man noch mitnehmen. Ich verneinte das erstmal, fuhr am entscheidenden Punkt -dem Hermsdorfer Kreuz- dann aber doch geradeaus, the chase goes on....


    Eisenberg runter und nordostwärts ins Holzland. Wir stoppten in Dothen und sahen diese beeindruckende Zelle im Westen:


    Auch im Osten Cumulus congestus:


    Wir fuhren ihr entgegen und erwischten die imposante Unterkante zw. Schkölen und Seidwitz:



    Man beachte die eindrucksvolle "Turbulenz":
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    Erst jetzt fing es an zu donnern, vorher nichts. Nochmal ein Stück nach Osten hinterher, hier sollten wir den finalen Punkt des Chasings erreichen: Casekirchen im Burgenlandkreis :grins Habt ihr sicher schon mal gehört...


    Die letzten gewittrigen Versuche nahmen wir noch bis zum Einbruch der Nacht mit. Marco erwischte noch ein paar Blitze einer fernen Zelle bei Leipzig. Irgendwann nach Mitternacht war ich dann auch wieder in Weimar.


    5. Gedanken danach


    Für jeden waren es Eindrücke und Erfahrungen, die wir in dieser Intensität sonst bewusst vermieden haben, wenn es denn ginge. Persönlich empfand ich an den Tagen danach (bis zum Bow Echo am 06.08.2013) ein Wechsespiel der Gefühle, denn man bringt Freunde absichtlich in Gefahr. Das gehört zum Hobby dazu, doch sollte die Gefahr bei Kenntnis über die Ausgangslage allgegenwärtig und nicht zu unterschätzen sein. Entscheidungen sollten zu gunsten der Sicherheit erfolgen. Auf der anderen Seite schärfen eben diese Erfahrungen den Blick für die Zukunft und versetzen der Gewohnheit "bis jetzt ist immer alles gut gegangen" einen Dämpfer und machen wieder "wach".


    Was das Timing vor Ort anbelangte, hätten wir theoretisch wieder aufbrechen müssen, als wir ankamen um das Waldstück gefahrlos zu passieren. Die schweren Böen treten eben vor dem Niederschlag schon auf:


    Der MCS ist unter die Kategorie "trailing stratiform" einzureihen (erste Grafik in der Reihe):


    Zur Verdeutlichung auch noch einmal das Radar dazu:


    Danke für die nachträgliche Betrachtung auch an Martin!


    Kommentare und Meinungen, Fragen etc. immer gern!


    Markus

    1. Vorsitzender Thüringer Storm Chaser e.V.
    ESSL Voluntary Observer Person (Qualitätslevel QC1) (European Severe Storms Laboratory)
    Weitere Mitgliedschaften: Member of AMS Weatherband · Arbeitskreis Meteore e.V.

  • Wie auch schon beim Treffen... Super Bericht :zwinker

    "Sein wir realistisch, versuchen wir das Unmögliche" Che Guevara


    Alles so geschriebene bin ich als Moderator, und alles so geschriebene ist meine freie Meinung...