14.08.2015 Schkölen/Graitschen (SHK) - umgestürzte Freileitungsmasten

  • Am Freitagabend, dem 14.08.2015, kam es im nördlichen Saale-Holzland-Kreis im Bereich Schkölen/Graitschen/Aue (letzteres Burgenlandkreis) bei einem schweren Gewitter zu erheblichen Schäden auf lokaler Ebene durch Überflutungen und Wind. Der Stadtkern wurde durch eine Flutwelle von Schlamm und Geröll heimgesucht, nördlich der Kleinstadt knickten 5 Hochspannungsmasten um und eine größere Fläche Hopfenanbau wurde dem Erdboden gleichgemacht. Besonders auf die von Wind verursachten Schäden soll der Fokus der folgenden Analyse liegen.
    Zur Vereinfachung habe ich die Schäden kartiert und die schwersten Schäden mit Bildern versehen (auf die Symbole klicken):


    Auf meiner Anfahrt aus Richtung Poppendorf war am Ortseingang von Schkölen ein erster beschädigter Obstbaum zu sehen, der in Richtung Nordost gefallen ist. In der Stadt waren eher Schäden durch die Flutwelle vom Vortag zu sehen. Am Westrand der Stadt (Sportanlage) waren wieder mehr Äste (klein bis mittelgroß) auf dem Boden zu finden, wie auch ein größerer entwurzelter Baum auf einem privaten Anwesen, der Richtung NO gefallen ist. Am Ortsausgang Richtung Aue lagen ebenfalls an einer Baumgruppe mittelgroße Äste am Boden.
    Der schwerste Schaden ereingete sich eindeutig nördlich der Stadt in Richtung Aue und Graitschen. Hier wurden insgesamt 5 Freileitungsmasten umgeknickt, wobei 4 Masten in sich zusammenfielen und ein weiterer in Gänze nach Norden gekippt ist. In welche Reihenfolge die Masten gefallen sind, ist unklar.
    Beginnend am 1. Mast startete ich die Analyse. Hier befindet man sich auf einer Anhöhe, Schkölen selbst liegt nach Süden im Tal. Auf den Feldern zwischen Stadt und Ereignispunkt ist Mais angebaut. Die Maisfelder weisen keine größeren Schäden oder niedergedrückte Bereiche auf. Lediglich punktuelle Gruppen liegen flach (Die Gewächse sind im untersten Drittel abgeknickt) in Richtung Nord oder Nordost. Eine kleine Baumgruppe entlang der Landwirtschaftsstraße wurde beschädigt: Jeder Baum hat gelitten, dabei lag bei zwei Exemplaren die Hälfte vom Stamm am Boden (nach NNO weggeknickt, aber nicht verfrachtet):



    Gegenüber der Baumgruppe nach Norden ist der erste Mast zu Boden geknickt, er zeigt nach NNO/NO:



    Blick von WNW nach OSO auf den gleichen Mast:




    Die nächsten Bäume an der Landstraße nach Aue sind offensichtlich durch die Hochspannungsleitungen beschädigt worden:



    Beim Blick nach WNW sind die übrigen Masten zu sehen:


    Der 2. Mast ist ebenfalls in sich eingeknickt und zeigt nach Nordosten:



    Dieser Mast ist inmitten einer Hopfenanbauanlage gefallen. Von diese Anlagen gibt es im Schadensgebiet 2 Stück. Die rechte Plantage (nach Osten) ist scheinbar komplett unversehrt, während die größere nach Westen hin nahezu vollständig niedergewalzt ist:


    Man muss sich vorstellen, dass zwischen dem Feld, von dem die Fotos gemacht wurden und der gegenüberliegenden Seite mit der Plantage ein kleines Tal verläuft. Vom Feld aus geht es bergab, ehe es zur Plantag wieder bergauf geht, etwas gemäßigter als auf dem Feld.

    Die Plantage wird von ca. 7m hohen Stahlbetonmasten "gehalten", die mit Drahtseil an den äußeren Enden im Boden verankert ist. Die Masten liegen auf breiter Fläche der Plantage und zeigen einheitlich nach NNW... (Perspektive des Bildes ist SW - NO)


    ...mit Ausnahme im unteren rechten Drittel der Plantage, wo die Masten nach Nordosten oder gar ONO zeigen. Fraglich ist, ob hier die Hochspannungsleitungen einen gewissen Falleffekt dieser Betonmasten asübten und nicht der Wind, da die Leitungen an dieser Stelle genau über die anders gefallenen Betonmasten laufen bzw. liegen, was sonst nicht der Fall ist. Auf diesem Bild zeigt der Blick nach NNW:


    Die Stahlbetonmasten weisen auch ganz eigene Fallmuster auf. Ähnlich wie bei Bäumen sind diese in gänze am Fundament unten abgeknickt oder aber auch im unteren Drittel abgebrochen. Zur Verdeutlichung zunächst ein Vergleichbild von der intakten Plantage:


    ...und von den zerstörten Masten:









    Der rechte Rand der Plantage blieb verschont:


    Auch das obere Ende ist stehen geblieben:


    Die übrigen Bäume in unmittelbarer Umgebung hatten eher weniger Schäden, oftmals lagen gar nur kleine Äste am Boden, teils auch mal mittelgroße Äste. Einzig dieser Baum rechts im Bild zeigt vergleichsweise mehr Astbruch, wobei zumindet außen auch die Stromleitungen eingewirkt haben können


    Ein Stück weiter lag Mast Nr. 3, der als einziger nicht in sich kollabiert ist, sondern quasi in Gänze zur Seite gekippt ist:




    Weiter nach WNW verlaufend ist der 4. Mast umgeknickt:


    Der letzte Mast (Nr. 5) schließlich kurz vor Graitschen, geschätzt in der Mitte eingeknickt:


    Ich bin das Schadensgebiet im Kreis noch abgefahren. Vereinzelt waren mal ein paar kleine Äste zu sehen, bei Seidewitz auch mal ein größere Ast am Rande einer Baumgruppe. Von Seidewitz nach Graitschen waren in einer Allee insgesamt 6 Bäume umgeknickt, die verteilt entlang der Straße lagen. Die zersägten Teile deuten darauf hin, dass diese Bäume auch nach Norden, also über die Straße gefalle sind..
    Augenzeugenbefragungen ergaben folgendes:

    Augenzeuge Nr. 1 berichtete, dass er zum Ereigniszeitpunkt unweit des Geschehens knapp nördlich der Schäden an der Hopfenplantage unterwegs war. Die Sichtweite betrug etwa 20 Meter, es gab intensiven Starkregen und Wind. Einen Tornado konnte er nicht sehen.

    Augenzeuge Nr. 2 aus dem benachbarten Graitschen verpürten Druck auf den Ohren und berichteten von Windgeräuschen wie bei einem Güterzug, haben aber auch nichts tornadisches sehen können, da die Sichtweite zu gering war.

    Weitere 3 Befragungen bestätigten grundsätzlich alle die äußerst geringe Sichtweite mit intensiven Regen und auch Windböen, die sie an einen Orkan erinnert hätten (meinten 2 Befragte). Einen typischen "Tornadorüssel" hätte man nicht gesehen, auch sonst nichts außergewöhnliches beobachtet. Eine Befragte gab an, dass sie mehrmals sehr grelle Blitze mit "Kanonenschlägen" gesehen/gehört hat.

    Der Ereigniszeitpunkt war recht schwer einzugrenzen, oft wurde mir "zwischen 5 und 7", also 17:00 bis 19:00 Uhr berichtet. Vergleiche mit dem Radar bestätigten dabei wohl die verantwortliche Zelle innerhalb der Gewitterlinie über Ostthüringen/Sachsen-Anhalt:


    Die verantwortliche Zelle entstand wohl gegen 16:45 Uhr an der A9 bei Lederhose, unterhalb von Stadtroda. Zu dieser Zeit waren schon 2 weniger starke Zellen über Schkölen gezogen:

    http://kachelmannwetter.com/de…kreis/20150814-1450z.html
    Ab 17:35 Uhr zeigen sich über der Stadt und deren Umfeld sehr hohe Radarreflektivitäten:


    http://kachelmannwetter.com/de…kreis/20150814-1535z.html
    http://kachelmannwetter.com/de…kreis/20150814-1540z.html
    http://kachelmannwetter.com/de…kreis/20150814-1545z.html
    http://kachelmannwetter.com/de…kreis/20150814-1550z.html
    http://kachelmannwetter.com/de…kreis/20150814-1555z.html
    Ob der Haken im Radarbild von 17:45 Uhr eine nähere Bedeutung hat, möchte ich gern offen lassen. Wenn man das Ereignis unbedingt als tornadisch will, kann man sicher genügend hineininterpretieren ;)


    Zweifelsohne wurden die Gewitter über Ostthüringen durch eine Konvergenz ausgelöst, wie wunderbar anhand der Analysekarte von 18 Uhr zusammen mit der äquivalentpotetiellen Temperatur zu sehen ist:
    Zusammenfassend ergeben sich nach meiner Meinung für einen "Tornado-Hintergrund" noch zu viele Fragezeichen und weniger bekannte Schadensmuster. Die Mehrzahl der Indizien deutet eher auf Fallböe hin. Das darf aber gern die TAD näher bestimmen. Gern lese euch auch eure Meinung dazu.
    Markus
    Ergänzende Links zum Ereignis:

    http://www.nonstopnews.de/meldung/21112

    http://www.mdr.de/nachrichten/…utschland100.html#anchor1

    http://eisenberg.otz.de/web/ei…llionenschaeden-906516055

    1. Vorsitzender Thüringer Storm Chaser e.V.
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  • Ach ja, es kursiert in den bekannten Thüringer Medien wieder einmal der niedliche, scheinbar harmlose "Mini-Tornado". Für alle, die diesen Begriff gelesen haben, können wir sicher sagen, dass es kein Mini-Tornado war, der diese Zerstörungen bei Schkölen angerichtet hat:



    (Bild: Ronny Wesche)


    Fehlt nur noch, dass die Überschwemmung in der Kleinstadt eine "Wasserhose" als Ursprung hätte. Die altbekannten medialen Fabelwesen -der "Mini-Tornado" als bekanntester Vertreter-, sind wieder einzig in den Schlagzeilen groß, deklarieren teure Sachschäden offenbar verharmlosend und sind immer noch Relikte einer längst vergangenen Zeit - wo wir doch offen über Klimawandel reden sollen (Leitartikel: Der Klimawandel ist schon da) und die (angeblichen) Tabus doch bitteschön brechen, wäre es an der Zeit gewesen, den Wortschatz den aktuellen klimatischen Bedingungen (die so neu nicht sind) längst anzupassen - vergebens. Daher an dieser Stelle nochmal ein paar Begriffserklärungen:


    Mini-Tornado(s): Gibt es nicht/gab es nie, als Speiseeis ja.
    Windhose(n): Synonym für Tornado, vom Begriff her akzeptabel und allemal besser als "Mini-Tornado".
    Tornado(s): Gibt es (hier in Deutschland, hier in Thüringen) in unterschiedlichsten Formen und Stärken (glücklicherweise nicht so viel starke Exemplare wie zB in den USA).
    Wasserhose(n): Sind Tornados auf Gewässern (Seen, Meeren). Wasserhosen haben nichts, nichts, nichts, nichts mit Überschwemmungen zu tun, wenn eine Flutwelle durch einen Ort rauscht.
    Windschäden durch Gewitter können u. A. auch verursacht sein durch: Böenfronten (breitflächige Winde/-böen in Sturm- bis Orkanstärke an der Vorderseite von starken Gewitterkomplexen (Pfingsunwetter NRW 2014) oder auch Fallböen (Downbursts) in unterschiedlicher räumlicher Ausdehnung (wenige Meter bis mehrere Kilometer).

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  • Hallo Markus,


    vielen Dank für den umfangreichen Bericht. Was nun wirklich passiert ist, lässt sich nicht so einfach sagen. Derzeit sehe ich aber keine Indizien, die eindeutig für einen Tornado sprechen.


    Eine kleine Ergänzung noch: Im Bereich Thüringen und Sachsen sowie die nahe Umgebung war früher tatsächlich der Begriff Wasserhose für ein eng begrenztes Starkregenereignis mit Überschwemmungen gebräuchlich. Auch heute kommt der Begriff daher ab und zu noch in diesem Zusammenhang vor.


    Grüße, Thomas

  • Hallo Markus,


    vielen Dank für den umfangreichen Bericht. Was nun wirklich passiert ist, lässt sich nicht so einfach sagen. Derzeit sehe ich aber keine Indizien, die eindeutig für einen Tornado sprechen.


    Danke Thomas! Mir haben auch einige Indizien gefehlt, zu sehr sieht es nach Böen als Tornado aus. Wenn ihr das in der TAD näher betrachten solltet bin ich natürlich über das Ergebnis gespannt. Ich kann notfalls auch noch weitere Bilder liefern.


    Eine kleine Ergänzung noch: Im Bereich Thüringen und Sachsen sowie die nahe Umgebung war früher tatsächlich der Begriff Wasserhose für ein eng begrenztes Starkregenereignis mit Überschwemmungen gebräuchlich. Auch heute kommt der Begriff daher ab und zu noch in diesem Zusammenhang vor.


    Ja, das ist bekannt. Ich hatte extra vor 2 Jahren mal näher deswegen recherchiert und bin dabei auf die "alten Überlieferungen" gestoßen, die schlichtweg falsch sind wie wir wissen.


    Ich melde mich auch nochmal per E-Mail bei dir.


    Gruß

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  • Nach den Bildern von Ronny und Luise bezüglich der Zellstrukturen zu urteilen, sowie den ergänzenden Infos von Frank Heyner, der meine Vermutung stützt, würde ich den Fall auf Downburst-Schaden klassifizieren:


    Zitat

    Ich würde auch eher zu einer Fallbö tendieren, statt auf eine Tornado tippen. Der Niederschlag war sehr stark und vor allem sehr dicht, wodurch viel Luft mitgerissen wird. Dazu kommt noch, dass die untersten Luftschichten noch sehr trocken waren, was die Produktion von Verdunstungskälte stark fördert und die Fallbö zusätzlich beschleunigt. Die Bedingungen für eine extreme Fallbö, die Hochspannungsmasten umknicken kann, waren daher durchaus vorhanden. Ein Tornado wäre vermutlich auch eher nach Osten abgedriftet, wenn man vom einem Rightmover ausgeht (bei der Wetterlage mit warmer Luft im Osten sehr wahrscheinlich), und hätte bei der östlich von Skölen verlaufenden Stromtrasse nicht 5 Masten in Folge (die auch noch entlang der allgemeinen Zugrichtung der Gewitter lagen), sondern vermutlich nur einen oder zwei erwischt.



    Quelle: WetterOnline

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