20./21.06.21 | TH/BY | Erwartungen, 180° Wende, Blitzshow und massiver Squall-Aufzug

  • Moin!


    Am 20.06. ging es gemeinsam mit Birgit, Andre und Markus auf Gewitterjagd.


    Zur Lageübersicht verweise ich hier gerne nochmal auf den Thread: Ab 18.06.2021: GEWITTER (Unwettergefahr)


    Wir trafen uns am Nachmittag an der Anschlussstelle Arnstadt Süd - A71. Nachdem Gepäck und Verpflegung umgeladen waren, konnten wir uns erst noch einer entspannten Gesprächsrunde widmen, bevor wir nochmals die Entwicklungen auf Radar und Modellen betrachteten. Nicht nur für uns, sondern generell für viele Chaser stand fest: „Einheitlich modelliertes Bow-Echo aus Südbayern/Ba-Wü und gegebenenfalls noch einige vorlaufende Zellen. Wer die Linie noch im Abendlicht erwischen will, muss nach Süden.“ Die Gewitteraktivität über Frankreich, der Schweiz und beginnend auch im äußersten Südwesten Deutschlands machte Hoffnung. Die Blitzzahlen der Zellen waren mit >500 innerhalb von 10 Minuten enorm.


    RadarHD-Stormtracking vom 20.06.2021, 17:45 Uhr - Baden-Württemberg | Wetter von kachelmann.


    Aufgrund der aus dem Sat-Bild erkenntlichen, besseren Einstrahlungswerte, höheren Temperaturen und dem Fakt das ggf. noch Feuchtigkeit durch die vorherigen Regenbänder (durch den durch die Linie generierten Ostwind) heran getrieben werden könnte, entschlossen wir uns zum Aufbruch nach Würzburg. Die Anfahrt durch den Thüringer Wald und seine Tunnel, sowie wegen der generellen Distanz, zog sich eine Weile. Nicht mehr weit vom Zielort entfernt jedoch eine erste, ungute Nachricht.

    Die zwar weiterhin sehr kräftige, nun Gewitterlinie, im Südwesten, bildete vorlaufenden, stratiformen Regen (auch Frontregen genannt) aus. Dies würde einerseits die Sichtbedingungen stark einschränken und für schlechtere Grundzutaten sorgen. Erste Aufnahmen der Linie im Süden waren strukturell bis auf die Superzelle(n) recht enttäuschend.

    Zusätzlich hatte sich hinter der eigentlichen Gewitterfront eine weitere, blitzarme aber sehr definierte Front ausgebildet. Diese kam ohne vorlaufenden Niederschlag aus und war bedingt durch eine höhere Zuggeschwindigkeit jetzt auf Verfolgungskurs.


    Radar HD+, Regenradar vom 20.06.2021, 18:55 Uhr - Baden-Württemberg | Wetter von kachelmann.


    Bei Poppenhausen ging es daher auf einen Parkplatz nahe der Autobahn. Man merkte allerdings bereits beim Aussteigen das irgendwas nicht so richtig passte… Es war zwar warm, aber nicht heiß und die Luft machte keinen allzu schwülen Eindruck. Noch dazu war der Himmel über uns doch stärker bewölkt, als man aus den Satellitenaufnahmen erwartete. Nicht so gut…



    Aber wie dem auch sei, es hieß abwarten. Die Front war weiterhin erst über Baden-Württemberg und integriert bzw. dahinter auch die ein oder andere Superzelle. Die Linie sollte eigentlich zum Abend hin durch die Ausbildung des Coldpools einen richtigen Antrieb bekommen und dann mit ca. 80-100km/h über das Land ziehen.


    Etwa 18:20 angekommen, warteten wir bis kurz nach 20 Uhr. Es passierte? Nichts. Die Linie im Süden kam einfach nicht in Fahrt, war daher noch weit entfernt und zerlegte sich mittlerweile in Teilen selbst.


    Auch beim Blick auf das Wetterradar und das Feuerwerk im Süden wurde die Lage vor Ort leider nicht viel spannender. ^^



    Währenddessen gab es dennoch mal eine schöne Phase mit leichten Asperitas:



    Bereits zu einem guten Stück mit dem Verlauf der Lage abgeschlossen, bot sich jetzt doch noch ein kleiner Lichtblick. Ein paar kleinere Schauer hatten sich in der Region gebildet: Radar HD+, Regenradar vom 20.06.2021, 20:10 Uhr - Schweinfurt | Wetter von kachelmann.


    In der Spekulation auf Neuentstehungen vor der eintreffenden Front, machten wir uns auf den Rückweg nach Thüringen. Nach der wiederholten Tunnel-Passage, ließ sich doch endlich mal leichte Gewitteraktivität ausmachen! ;) Die in Linien angeordneten Schauer über Thüringen begannen zu Blitzen: RadarHD-Stormtracking vom 20.06.2021, 22:15 Uhr - Thüringen | Wetter von kachelmann.


    Wir trafen kurze Zeit später wieder an unserem Ausgangspunkt, dem Parkplatz bei Arnstadt, ein und machten uns nach kurzer Absprache auf den Weg Richtung Stadtilm. Etwas oberhalb der Kleinstadt bot sich eine akzeptable Sicht auf die Schauer, die jetzt allerdings auch keine Blitze mehr produzierten… Milde Begeisterung brach dann etwas später doch noch aus, als ein schlagartig bei Coburg entstandenes Gewitter gute Blitzaktivität brachte und anscheinend nicht mehr nachlassen wollte.


    RadarHD-Stormtracking vom 20.06.2021, 22:35 Uhr - Thüringen | Wetter von kachelmann.


    Da wir unter einer der zahlreichen Wolkenbasen standen und leicht beregnet wurden, bezogen wir nochmals bei Dornheim leicht nordöstlich von Arnstadt Position. In der Ferne war das Flackern bereits gut sichtbar und auch weitere Neuentwicklungen in unserer Nähe produzierten hin und wieder einige Erdblitze. RadarHD-Stormtracking vom 20.06.2021, 23:10 Uhr - Thüringen | Wetter von kachelmann.


    Nachdem die ersten Gewitter jetzt Richtung Erfurt/Gotha abzogen waren, gab es erstmal eine ordentliche Dusche… Radar HD+, Regenradar vom 20.06.2021, 23:30 Uhr - Ilm-Kreis | Wetter von kachelmann.


    Danach gab es allerdings endlich einen schönen, klaren Bereich und wir konnten die Blitze des ehemals bei Coburg entstandenen Clusters mitnehmen.





    Wir blieben noch etwa bis 0:30 Uhr am Spot, bis wir die Jagd beendeten. Man bemerkte bereits leichte Strukturen an der Front im Süden, allerdings noch zu verwaschen um eine klare Aussage über Qualität und Stärke machen zu können.


    Etwa kurz vor 1 Uhr beobachtete ich die Front dann noch von zu Hause aus… und es offenbarte sich das, was wohl alle von diesem Tag beziehungsweise dem Bow-Echo erwartet hatten: Eine lange, äußerst definierte Shelfcloud zog heran, inklusive einer mächtigen Böenwalze die fast den Boden erreichte. Es war zu spät und kurzfristig um nochmal über einen anderen Beobachtungspunkt nachzudenken, daher nahm ich als Abschluss kurz noch den wunderbaren Eindruck des Frontaufzugs mit.




    Fazit?


    Der Beinahe-Bust blieb glücklicherweise aus und selbst wenn, wäre es ein zumindest ganz spaßiger Sonntagsausflug gewesen. ;-)


    Für die Entwicklung während unserer Standzeit bei Würzburg hätte man allerdings gut das Anti-Gewitter-Memory auspacken können… Fehlende Einstrahlung, vorlaufender Niederschlag, zu wenig Antrieb. Allerdings muss man sagen, wer auf die Frontankunft in der Nacht vorbereitet war, dessen Erwartungen dürften quasi vollends erfüllt worden sein. Anhand der Nachbetrachtung des Radarbildes könnte man vermutlich sagen, weder die anfängliche Option West- noch Ostbayern wären schlecht gewesen. Allerdings war das Timing zu spät. Die Hoffnungen auf eine schnelle Verlagerung nordwärts ebenfalls einfach zu groß. Vermutlich hätte man auch in Bayern bleiben können und den ursprünglichen Plan des einfachen „Überrollen lassen“ einhalten können. Damit wäre uns jedoch die Blitzshow im Vorfeld über Thüringen verloren gegangen. Problematisch wäre vorlaufender Regen jedoch quasi in allen Bereichen bis auf das südliche Endstück gewesen. Eine vollständige Verlagerung von Würzburg, bspw nach Bayreuth oder Amberg, wäre aufgrund des zeitlichen Aufwands knapp gewesen und die Entwicklung war vorher schlecht abzuschätzen. Man muss allerdings festhalten das das ID2 Modell, gerade mit der Ausbildung der nördlich verlaufenden Gewitterflanke und der nachziehenden Front ab dem frühen Nachmittag äußerst präzise lag.


    Letztendlich hätte ein langes Abwarten in Thüringen auch nicht geschadet. Die Entscheidung oberhalb von Würzburg zu bleiben und später abzubrechen war etwas inkonsequent, allerdings war eine solche Entwicklung auch nur schwer zu erahnen. Entweder hätte man deutlich früher nach Süden aufbrechen müssen, oder gleich auf die lokal berechnete Aktivität setzten sollen. Somit war es gewissermaßen lehrhaft und letztendlich bei der Blitzshow über Mittelthüringen und gerade der wahnsinnigen Shelfcloud am Ende dennoch ein voller Erfolg!


    VG, Felix

  • Vielen Dank für diesen ansprechenden und ausführlichen Bericht! Die Ablichtung der Blitze und der nächtlichen Shelfcloud ist dir gelungen!


    Mit diesen Systemen ist es wirklich so eine Sache... kleine Unwägbarkeiten können die ganze Lage zu Fall bringen und in der Tat sah es zwischenzeitlich ganz danach aus (vorlaufende Bewölkung / Regen, ein schwacher Push durch das ausgebliebene Bow Echo im Süden), aber letztlich hat sich das System oder viel mehr Komplex (vermutlich reicht es für die Kriterien eines MCC) im Laufe der Nacht immer besser durchorganisiert - mit einigen Auf und Abs, bis es letztlich so gekommen ist, wie es vor allem das ICON D2 im Detail schon prima erfasst hat. Solche präzisen Vorhersagen wären vor Jahren für uns noch undenkbar gewesen!


    Entscheidend schien mir hier das Rückdrehen des Windes auf Nordosten auf breiter Fläche vor dem sich ausprägenden Mesotief und (für die fotogene, tiefe Shelfcloud) auch die hohen Taupunkte. Ich denke, hier hat es der Komplex auch aufgrund seiner unfassbaren Größe (in dieser Ausdehnung in Deutschland extrem selten) fertig gebracht, noch sehr viel Restenergie aus Osten anzusaugen.

    - wetterinteressiert und unwetterbegeistert seit Beginn der 2000er Jahre
    - TSC-Mitglied seit 2007
    - aktiver Chaser seit 2010

    - als Spotter "zur Ruhe gesetzt" seit 2018