Kurz bevor der Herbst Einzug hielt, erinnnerten braungefärbte Schlammmassen, die sich rasant durch Thüringer Ortschaften schlängelten und gewaltsam Besitz von Straßen, Grundstücken und Wohnhäusern ergriffen haben, noch einmal an den zu Ende geglaubten "Unwetter-Sommer 2014". Machte Ende April Troistedt im Weimarer Land Schlagzeilen, reihten sich Unterbreizbach, Alterstedt, Birkenfelde und zuletzt Klettbach in die Reihe der extremsten Ereignisse ein. "Rekordverdächtiger Wettercocktail" oder "Wetterjahr der Extreme" titelte die Presse - wie jedes Jahr? Eine Nachbetrachtung.

Übersicht: Gewitterlagen mit Überschwemmungen durch Starkregen 2014

Datum betroffene Gebiete (Landkreise/kreisfreie Städte)
27.04. - 01.05.2014 Weimarer Land, Saale-Holzland-Kreis, Nordhausen, Kyffhäuserkreis, Jena, Erfurt
24.05.2014 Eichsfeld
08.07. - 11.07.2014 Schmalkalden-Meiningen, Eichsfeld, Eisenach, Gera, Kyffhäuserkreis, Weimarer Land, Weimar, Greiz, Saale-Holzland-Kreis
21.07./22.07.2014 Saalfeld-Rudolstadt, Saale-Orla-Kreis
25.07. - 30.07.2014 alle Landkreise
03.08./04.08.2014 Eichsfeld, Unstrut-Hainich-Kreis, Weimarer Land, Weimar, Jena, Saalfeld-Rudolstadt, Wartburgkreis, Gotha
07.09.2014 Weimarer Land
19.09./20.09.2014 Greiz, Saalfeld-Rudolstadt, Weimarer Land, Erfurt

 

Großwetterlagen: Zähe Suppe, die nur schwer umgerührt wurde

Der Witterungscharakter über mehrere Tage oder Wochen wird als "Großwetterlage" klassifiziert. Paul Hess und Helmuth Brezowsky haben hierzu einen Katalog der Großwetterlagen erstellt, der 29 Typen ( Übergang) beinhaltet. Zu den vorgenannten Gewitterlagen herrschte eine flache Luftdruckverteilung und eine teils extrem schwache Höhenströmung über Deutschland. Einem Hoch über Skandinavien, Russland oder den britischen Inseln standen Tiefdruckgebiete über dem Mittelmeer, Frankreich oder Großbritannien gegenüber. So konnten mit südlichen Strömungen feucht-warme Luftmassen nach Mitteldeutschland geführt werden, während einerseits die Küstengebiete von der trockenen Luft des nahen Hochs profitierten und im Süden und Westen eher kühlere und stabile Luft einströmte. Zwischen diesen Luftmassengrenzen bildete sich quer über Deutschland wiederholt eine Tiefdruckrinne.

Im Umfeld der Luftmassengrenze prallen Winde aus unterschiedlichen Richtungen zusammen. Diese können am "Treffpunkt" nur nach oben ausweichen und erzwingen somit Hebung. Solche "Konvergenzen" in der feucht-warmen Luftmasse sind neben Gebirgen und Höhenzügen der ideale Hebungsmechanismus für Gewitter. In der Höhe (5 km und höher) laufen bei Tiefdruckrinnen wie auch bei Höhentiefs kleine Tröge ab, die ebenfalls Hebung auslösen, da sie mit höhenkalter Luft angefüllt sind. Auch die tageszeitliche Erwärmung unterstützt durch den daraus resultierenden Temperaturgegensatz (z.B. im Süden 22°C, im Norden 32°C) die konvektiven Prozesse in der Tiefdruckrinne. Nachfolgend einige Beispiele aus diesem Jahr:

Situation am 27.04.2014:
 
Eine Tiefdruckrinne (hellgrüner Bereich) erstreckt sich quer über die Mitte Deutschlands. In ihr liegt feucht-warme Luft, die zunächst durch Berge, später durch eine Konvergenz gehoben wird. Bei schwacher Höhenströmung bilden sich Multizellen mit "Training-Effekt" (siehe unten), die sich zu Clustern vereinen und langsam nordwestwärts ziehen.
 
Situation am 10.07.2014:
 
Ein Tief liegt über der Mitte/Osten Deutschlands. Wieder findet sich eine Luftmassengrenze zw. feucht-warmer Luft im Norden und kühlerer Luft im Süden über der Mitte Deutschlands. Ein Kurzwellentrog indzuiert die Bildung eines neuen Tiefs über dem Osten, das nach Südwesten ziehen wird. Die feucht-warme Luftmasse gewann so wieder nach Süden an Raum. Die Gewitter zogen von Nordost nach Südwest und waren wieder einmal als Multizellen bzw. Multizellencluster zu klassifizieren.
 
Situation am 29.07.2014:
 

 
Erneut besimmt eine feucht-warme Luftmasse bei geringen Luftdruckgegensätzen das Wettergeschehen. Eingelagerte Konvergenzen fachen die Gewitterbildung immer wieder an. Es bilden sich Multizellen, die rasch zu Clustern heranwachsen und sehr langsam von OSO nach WNW ziehen.
 
Situation am 20.09.2014:
 
Zum nahenden Herbstanfang liegt Mitteldeutschland noch einmal unter schwachen Luftdruckgegensätzen, in der sich eine Tiefdruckrinne mit feucht-warmer Luft ausbilden konnte.
 
Umgerührt wurde der große Topf der schwül-warmen Luftmasse allerdings nur schwer. Wie sonst häufig geschehen, beendeten entweder nur schwach ausgeprägte Kaltfronten die gewitterträchtige Zeit und sorgten für einen Tausch der Luftmassen, viel mehr aber sorgte Hochdruckeinfluss für eine Stabilisierung der Atmosphäre, was die Luftmasse aber nicht komplett ausräumte, sondern nur altern lies.

Das gefürchtete "T" über Mitteleuropa

Regenschwer, unwetterträchtig und gefürchtet ist das "T" über der Mitte des europäischen Kontinents. Es war an Ereignissen wie dem Elbehochwasser 2002 und dem Hochwasser in Thüringen 2013 beteiligt. Allein im Juli 2014 herrschte an 9 Tagen die Großwetterlage "Tief Mitteleuropa". Betrachtet auf eine Zeitreihe von 1950 bis 2011 hat sich die mittlere Anzahl der Tage mit dem Einfluss des "Tiefs Mitteleuropa" um 20% erhöht, so der Deutsche Wetterdienst in einer Pressemitteilung vom 07.08.2014. Im Jahr 2012 trat wiederum eine Häufung der Großwetterlagen "Tief Britische Inseln" bzw. "Trog Westeuropa" auf, die gerade im Juni/Juli eine Höhepunkt laut Thüringer Klimaagentur/DWD erlebte. Übrigens trat die Großwetterlage "Tief Mitteleuropa" im Jahr 2012 nicht an einem Tag auf.

Diverse statistische Auswertungen zeigen über verschiedene Zeiträume (30 Jahre und mehr) eine Verändung der Großwetterlagen. So ist ein Anstieg der Wetterlagen abzuleiten, die mit tropischen und Feuchtigkeit angereicherten Luftmassen Deutschland beeinflussen (u.A. Trog Westeuropa, Tief Britische Inseln, Tief Mitteleuropa). Gerade in den Sommermonaten besteht dann die Gefahr von Starkniederschlagen, die regional begrenzt in hoher Intensität niedergehen und für schadensträchtige "flash floods" (Schlammlawinen/Sturzfluten) sorgen. Auch eine Zunahme bei den Großwetterlagen "Brücke Mitteleuropa" sowie Hochdruckgebieten über Fennoskandien mit zyklonaler Prägung (=von Tiefdruck beeinflusst) wird statistisch ausgewiesen.

Gerade in den großräumigen atmosphärischen Strömungen spielen zahlreiche weitere Faktoren eine bedeutende Rolle, deren Aufzählung den Inhalt dieses Berichtes sprengen würde. Tendenziell lässt sich aus diversen Veröffentlichungen ableiten, dass mit einem Anstieg der Wetterlagen zu rechnen ist, die prädestiniert für Starkregenereignisse sind. Klimamodelle simulieren bis 2100 einen weiteren Anstieg der mittleren Häufigkeit dieser Wetterlagen, was ergo ein vermehrtes Auftreten dieser Ereignisse bedeuten würde.

Training-Effekte und Verclusterung

Viel feuchte Luft und wenig Höhenströmung begünstigen ortsfeste und sich langsam verlagernde Gewitter, die zu Clustern zusammenwachsen. Gebirge oder Höhenzüge sorgen alsbald für nötige Hebung, insbesondere entlang des Thüringer Waldes. Kommen Einflüsse aus der Höhe (höhenkalte Luft durch Kurzwellentröge) oder Konvergenzen am Boden hinzu, können sich die Gewitter besser organisieren als chaotisch verteilt aufzusteigen. Am 27.04. konnte man besonders gut den "Training-Effekt" erkennen, als sich entlang der Ladesgrenze zu Sachsen-Anhalt an einer Konvergenz Multizellen bildeten. Bei diesem Effekt ziehen wiederholt Gewitterzellen über den gleichen Ort bzw. gleiches Gebiet, die sich wie in diesem Fall an einer Konvergenz entwickelten. Die absterbenden Zellen bildeten zudem ein umfangreiches Regengebiet, das die betroffende Region weiter traktierte. Die folgende Radaranimation zeigt diesen Effekt:

War das Grundmuster der Großwetterlage in groben Zügen gleich, so gab es Unterschiede bei einigen Gewitterlagen, was in der Natur der Sache liegt. Besonders der Zeitraum vom 10.07. - 12.07.2014 war von einer nordöstlichen, bzw. fast schon nördlichen Strömung dominiert, in der sich die Gewitter(cluster) nach Südwesten verlagerten. Zum Vergleich das Radarbild vom 11.07.2014, an dem es auch einen Tornado im Weimarer Land gab.

Die Hauptgefahr bei solchen Gewittern geht von ergiebigen Starkregen aus, da dieser schnell zu Überschwemmungen führt, welche mit brachialer Gewalt und über einen Meter Höhe zuschlagen können. Nicht umsonst werden diese als "flash floods" (=Sturzfluten) bezeichnet. In der Umgebung der ersten Gewitterzelle bilden sich neue Zellen, die im gleichen Gebiet noch einmal für Starkregen sorgen können, ehe der Verbund aus absterbenden Zellen als Regengebiet übrig bleibt und die Regenfälle anhalten, jedoch im Verlauf an Intensität schwächer werden (siehe Radaranimationen).

Diese Gewittertypen treten in jedem Jahr mal mehr, mal weniger auf. Die Verclusterung und langsame Verlagerung fördert die rasche "Rudelbildung" unter den Gewittern. Dieses Phänomen ist besonders über dem Thüringer Wald jedes Jahr zu beobachten und sorgt immer wieder für Schäden durch plötzliche Überflutungen. Die Besonderheit in diesem Jahr lag darin, dass dieser Gewittertypus von April bis September häufiger auftrat und Gewitterlagen mit mehr bzw. hoher Dynamik (u. A. starke Windscherung, schnelle Zuggeschwindigkeit) fehlten. Mögliche Ursachen dafür wurden bereits im Thema Großwetterlagen betrachtet.

 

Lokale Effekte sind entscheidend

Gerade bei Gewittern in einheitlicher Luftmasse spielen Faktoren wie Relief, Landnutzung, Hangausrichtung zum Sonnenstand u.v.m. eine bedeutende Rolle. Zahlreiche Regionen Thüringens sind aufgrund lokaler Effekte wie Gebirgen, Höhenzügen oder Tälern anfälliger für Gewitterentwicklungen als etwa das Thüringer Becken (siehe auch Gewittertool der Thüringer Klimaagentur). Leina im Landkreis Gotha traf eine der vielen flash floods in diesem Jahr Ende Juli. Die folgende Arbeitskarte der TLUG zeigt die modellierten Oberflächenbereiche, die bei einem entsprechenden Wasserangebot schnell mobil werden. Die Tiefenlinien (pink) leiten bei großen Niederschlagsereignissen das Wasser oberirdisch ab. Bereiche mit Wasserüberschuss/-abfluss (sehr hoch bis niedrig) zeigen Bereiche, in denen das Sättigungsvermögen der Böden schnell erreicht ist und das Wasser oberflächlich stehen bleibt oder abfließt.

Mit freundlicher Genehmigung bereitgestellt von Dr. Ralf Bischoff (TLUG)

Es wird deutlich, dass großräumige Änderungen auf lokaler Ebene ganz eigene und spezielle Auswirkungen haben und unterschiedliche Faktoren eine Rolle spielen. Die Häufung an gradientschwachen Wetterlagen unter Einbeziehung subtropischer Luftmassen in diesem Jahr war förderte Gewitter mit enormen Regenmengen. Schwache Höhenströmung sorgt für langsame Verlagerung der Gewitter - was keine neue Erfindung - jedoch unter diesen Bedingungen förderlich für Sturzfluten ist. Spielt dann noch die Orographie mit (Gebirge, Höhenzüge, ...), passen die Zutaten für flash floods. Gerade auf lokaler Ebene sind daher Anpassungsmaßnahmen anhand entsprechender Gefährdungsanalysen hilfreich und für die Zukunft von großer Bedeutung. Präventive Maßnahmen können Schäden vorbeugen und mindern.

Ob häufiger und/oder intensiver - Starkregenfälle in Verbindung mit Gewittern werden auch zukünftig immer wieder Überflutungen auslösen. Anders wie bei einem Hochwasser, dass flussabwärts fließt, können nicht noch vor dem Ereignis noch präventive Maßnahmen ergriffen werden, da Sturzfluten plötzlich und nahezu überall auftreten können. Prävention muss hier deutlich früher erfolgen, damit sie greift, wenn das nächste Ereignis kommt.

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