18.08.2017 | Analyse einer Gewitterzelle mit viel Rotation ("Secret Level 3") | bei Merseburg, östlich von Leipzig

  • Guten Tag zusammen,


    zum Saisonstart möchte ich mich mal wieder mit einem Chasingbericht bzw. einer Analyse aus dem letzten Jahr bei euch melden. Leider haben mir zuletzt einige unvorhergesehene Ereignisse und die Arbeit einen Strich durch die Rechnung gemacht, was die Aufarbeitung solcher "Altfälle" betrifft. Den 18.08.2017 kann ich bei dieser Betrachtung jedoch nicht außen vorlassen, da er von Markus intern bereits völlig zu Recht als "Secret Level 3", in Anlehnung an die Vorhersagekategorien bei estofex, betitelt wurde.


    Wie einige von euch vielleicht schon wissen, befindet sich auch meine eigene Webseite momentan im Aufbau. Dabei geht es zur Zeit vor allem darum, die Seite mit Leben zu füllen und einige Inhalte auf die Seite zu bringen. Bedenken, dass ich dann nicht mehr für die TSC schreibe, kann ich hiermit zerstreuen. Für mich kristalliert sich momentan das Prinzip heraus, dass diese Webseite (www.faszination-sturmjagd.de) vorwiegend zur Präsentation unseres "Themas" (Storm Chasing) nach außen genutzt werden soll, was unserer Leidenschaft letztlich allen irgendwo zu Gute kommen soll. Dementsprechend halte ich die Texte auch eher allgemein und kurz. Eine reine Zusammenfassung des Chasings am 18.08. findet ihr daher auf meiner Seite: Chasers Dream.


    Umfassendere und detaillierte Analysen finden nach wie vor hier im Forum ihren Platz und ich denke, dafür ist das Publikum auch prädestiniert.


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    Soviel zur Vorrede und nun zurück zum Geschehen. Nach dem für viele "gefloppten" Level 3 am 01. August ist dieser Monat bei vielen Storm Chasern in wenig positiver Erinnerung geblieben. Bei objektiver Betrachtung findet man nach dem 01.08. jedoch noch mindestens zwei schöne Gewitterlagen im mitteldeutschen Raum.


    Die besten Bedingungen, die einem "Secret Level 3" gerecht wurden, existierten vor allem Richtung Bayern, wo noch etwas mehr Energie bereitstand, aber auch in Mitteldeutschland. De facto vergab estofex hier ein Level 2. Wieder einmal war es die [definition=95,0]Scherung[/definition], die mit zum Teil exorbitanten Werten aufwartete. Die DLS lag, wie Maurice damals zum Mittags-Sounding aus Meiningen schrieb, um 30 m/s, die LLS um 20 m/s.
    Problematisch schien nur die Bereitstellung potentieller Energie, besonders im bewölkten Mitteldeutschland. Im Meiningen-Sounding zeigte sich eine markante [definition=52,0]Inversion[/definition] in der Höhe, die hochreichende Konvektion nicht zuließ. In der Realität waren die Bedingungen jedoch größtenteils etwas günstiger als gedacht und eine erste heftige Südharzzelle entstand zwischen Sondershausen und Nordhausen. Diese sollte es auch sein, die sich schließlich entwicklungsgünstig zur tornadischen(!) [definition=101,0]Superzelle[/definition] über Sachsen-Anhalt mauserte. Ich erwähnte es bereits im letzten Post im Lage-Thread dazu.


    Vom [definition=107,0]Tornado[/definition] in Morungen existieren auch interessante Filmaufnahmen.


    Auch im Rest von Thüringen entwickelten sich bald die ersten Zellen und das war der Startschuss für Christoph aus Halle und mich, um von Leipzig aus loszudüsen und eines dieser Exemplare bei Merseburg abzufangen. Und genau hier startet dann die eigentliche Analyse, da diese Zelle zahlreiche interessante Strukturen aufwies, wie sie auch bei klassischen Superzellen vorkommen. Zunächst beobachteten wir in der Ferne eine Art [definition=15,0]Shelfcloud[/definition], deren nördlicher Teil jedoch eine merkwürdige "Zipfelform" aufwies:



    Zwar wirkt der linke Teil der [definition=16,2]Böenlinie[/definition] recht linear, doch das zum Niederschlag auf der rechten Seite geneigte "Zipfelchen" (frei nach Loriot) gibt dem erfahrenen Storm Chaser zu denken. Der rechte, obere Teil im Bild wirkt außerdem geneigt und die [definition=8,3]Basis[/definition] senkt sich in der Mitte offenbar ab.


    Das "Zipfelchen" ist recht deutlich zu erkennen. Man erkennt sowohl rechts davon einen Niederschlagsbereich (eher gleichmäßig verteilt), sowie links (mit deutlich differenzierten Fallstreifen). Es fällt schwer, hier nicht die für Superzellen typische Trennung von [definition=36,1]FFD[/definition] und [definition=93,1]RFD[/definition] zu sehen.




    Im vermeintlichen [definition=93,1]RFD[/definition] regnet es stark. Möglicherweise ist auch Hagel dabei. Derweil hängen tiefe Fracti im rechten Teil herunter.




    Nun geschieht etwas Interessantes: Im Bereich des vermeintlichen [definition=93,1]RFD[/definition] fällt Niederschlag downburstartig hinab, man erkennt das an einem Niederschlagsfuß, der sich in Bodennähe vorwölbt. Damit wird von unserer Position aus die typische Horseshoe-Struktur sichtbar. Nur der [definition=24,0]Clear Slot[/definition] fehlt, dafür ist der Bereich des [definition=93,1]RFD[/definition] schon zu sehr mit Niederschlag umhüllt. Lehrbuchartig kann man nun erkennen, wie es im hinteren Teil zyklonal rotiert (dort wo vorher die [definition=103,0]Tailcloud[/definition] erkennbar war). Im vorderen Teil (fast über uns) ist hingegen antizyklonale Rotation festzustellen.


    Im weiteren Verlauf stehen wir etwas ungünstig, um den spannenden Teil (zyklonales Rotationszentrum) weiter zu beobachten. Zweifelsfrei ist weiterhin der Horseshoe zu erkennen, doch der vermeintliche [definition=49,0]Inflow Notch[/definition] verbirgt sich uns. Möglicherweise ist die Zelle auch insgesamt schon zu outflowdominant.





    Wir setzen aufgrund der Straßenverhältnisse lieber auf die nächste Zelle weiter südlich. Diese fangen wir am Abend knapp östlich von Leipzig ab und ließen uns von ihr überrollen. Sie war bereits zu Beginn deutlich outflowdominanter und überquerte zuvor mit Sturmböen, Starkregen, etwas Hagel und einer hohen Blitzrate das Highfield Festival. Hier lief alles recht glimpflich ab, doch die Vorwarnzeit war laut Augenzeugenberichten mit 10 - 15 Minuten sehr kurz und im Zweifel hätte auch Schlimmeres passieren können.


    Glücklicherweise erinnerte mich Christoph während der Beobachtung der Zelle bei Merseburg daran, einen Zeitraffer mitlaufen zu lassen. So konnte ich im Nachhinein eine viel genauere Analyse des Gesehenen erstellen. Den Zeitraffer, samt Erklärungen, und das Chasing zum abendlichen Gewitter östlich von Leipzig, habe ich im Video zusammengefasst:


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    Chasingreflexion:


    - Karten abspeichern, um hinterher schnell wieder alles zusammenzubekommen
    - bei Zeitrafferaufnahmen mitschwenken nicht vergessen und Bildausschnitt ändern (Erfahrungswerte!)
    - günstige Positionierung bei der ersten Zelle -> alles richtig gemacht
    - auch die Entscheidung abzubrechen und die zweite Zelle mitzunehmen, haben wir im Nachhinein nicht bereut


    Viele Grüße
    Chris

    - wetterinteressiert und unwetterbegeistert seit Beginn der 2000er Jahre
    - TSC-Mitglied seit 2007
    - aktiver Chaser seit 2010

    - als Spotter "zur Ruhe gesetzt" seit 2018