- Offizieller Beitrag
Hallo Zusammen,
der Herbst ist eine schöne Zeit, um die Gewittersaison zu rekapitulieren. Hier und da bleiben immer mal Berichte liegen, zu denen man bisher nicht gekommen ist - so auch dieser vom 26.06.2020. An diesem Tag war ich in Tschechien und Österreich im Raum Brünn-Wien unterwegs. Eine Gegend, die mir zum Chasen zunehmend ans Herz wächst .
Die Wetterlage ist eigentlich bezeichnend für die Saison 2020 - ein abgetropftes Höhentief über Tschechien vor dem eigentlichen Haupttrog über Großbritannien bewegt sich langsam nordwärts und killt jedwede Dynamik der deutschen Gewitterlage. Umso interessanter ist es jedoch südlich des Höhentiefs. Eine bodennahe SSO Strömung im Bereich Wien - Brünn überlappt sich mit einer starken Höhenströmung aus WSW. Die Kombination mit moderaten CAPE Werten schafft eine schöne Superzellenumgebung.
Während Rechnungen des Vortags die Gewitter in SW Tschechien platzierten wurde am selben Tag schnell klar - die Sache verlagert sich noch weiter nach Süden.
Estofex bedachte weite Teile meines Zielgebiets jedoch nur mit einem Vorsichtigen Level 1 - Grund: Unsicherheiten bei der Auslöse. Ein Sounding von Wien 12z zeigt schön die gut gescherte, aber auch gut gedeckelte Luftmasse mit einer Absinkinversion in 850hPa, welche zunächst überwunden werden muss.
Temperatur, 850hPa, Messwerte Österreich vom 26.06.2020, 14:00 Uhr | Messstationen Luftqualität
Ich vertraue trotzdem auf die Südoption und platziere mich südöstlich von Wien. Gegen 14 Uhr bildet sich ein vielversprechendes Cu-Feld zwischen Wien und Wien Neustadt - kurze Zeit später erscheinen die ersten zwei Zellen auf Radar:
Radar, Regenradar vom 26.06.2020, 15:20 Uhr - Niederösterreich | Wetter von kachelmann.
Ich setze auf die südliche Zelle, weil ich vermute, dass diese die direktere Energiezufuhr aus SSO bekommen würde. Auch war die südliche Zelle nah am Alpenrand, während die nördliche noch weit im Bergland hing. Frage war nun, schaffen die Zellen den "Sprung" aus den Bergen ins Alpenvorland? Der böige SSO Wind mit 10-15kn strömt direkt auf den Alpenrand und sollte den Zellen beim wachsen helfen.
Im Vordergrund die südliche, im Hintergrund die nördliche Zelle. Beide sind noch elevated und haben sichtbar mit der Inversion zu kämpfen.
Wieder erwarten verstärkt sich die nördliche Zelle, während sich der südliche Aufwind abschwächt, und langsam mit dem der nördlichen Zelle verschmilzt.
Während sich beide Zellen vereinen verschwinden alle Strukturansätze - eigentlich nur noch graue Pampe.
Langsam wird wieder eine Basis sichtbar - trotzdem sieht die Zelle alles andere als gesund aus. Nach wie vor scheint die Basis elevated und der Aufwind nicht sehr kraftvoll.
So wirklich will sie sich nicht berappeln - die Basis wird immer dünner und scheint kurz vorm Zerfall
Die Basis wird wieder etwas dichter und strukturiert sich, gleichzeitig wird der Niederschlagskern aber durchsichtiger. Da die Zelle nicht mehr ausschert stehe ich etwas zu weit südlich für einen optimalen Blick auf die Basis. Aber ich bleibe stehen und genieße den Anblick der vorbeiziehenden Zelle.
Die abziehende Zelle über der kleinen Kapelle ergibt ein tolles Motiv.
Kurze Zeit später beginnt sich die Basis von unten aufzulösen
Noch während die Zelle ihr Leben aushaucht explodiert Richtung Brünn eine weitere Zelle. Zeitgleich bewegt sich ein Leftmover mit starkem Kern aus Süden in meine Richtung. Trotzdem mit der Leftmover näher ist, entscheide ich mich für die Zelle Richtung Brünn, da ich dort auf bessere Strukturen hoffe.
Radar, Regenradar vom 26.06.2020, 18:00 Uhr - Niederösterreich | Wetter von kachelmann.
Bereits auf der Anfahrt ist der mächtige Aufwind der Superzelle zu sehen. Leider bin ich etwas spät dran - glücklicherweise schert die Zelle nach Süden aus, ich stoppe bei der nächsten Gelegenheit, um einen Blick auf die Basis zu bekommen.
Die schön abgerundete Basis sieht toll aus, leider hört der Aufwind abermals auf auszuscheren und bewegt sich mit der Hauptströmung nach Norden.
Die abziehende Mesozyklone über dem Schloss Mikulov mit einem schönen CG ergibt ein tolles Motiv.
Noch während sich diese Mesozyklone abschwächt, entwickelt sich am Südende des Systems ein neuer Aufwind. Diese zyklischen Superzellen erzeugen während ihres Lebenszyklus meist etliche Mesozyklonen, die alle ungefähr der selben Zugbahn folgen. Wie in diesem Fall bleibt das System dabei häufig quasi stationär. In den USA sind zyklische Superzellen mit verantwortlich für die schwersten Tornado-Outbreaks, da mehrere Tornados in kurzen Zeitabständen die selben Gebiete überqueren - häufig sind dabei mehrere Tornados gleichzeitig am Boden.
Diese Gefahr bestand an diesem Tag zum Glück nicht - ich verlagerte mich näher an das System, um einen Blick auf den neuen Aufwind zu bekommen.
Obwohl der neue Aufwind weniger strukturiert ist, sieht der freistehende Eisschirm über der Basis im Abendlicht wirklich schön aus.
Im Zeitraffer sieht man schön die Rotation des gesamten Aufwinds:
Abermals folge ich dem langsam abziehenden Aufwind. Das System wird zunehmen Outflowdominant, die sich an der Südflanke neu entwickelnden Aufwinde werden flacher und zunehmend elevated.
Auch hier schön zu sehen der zyklische Charakter der Superzelle. Der eben im Zeitraffer gezeigte Aufwind im Vordergrund, rechts im Hintergrund der ältere Aufwind - Die Angler lässt das ganze allerdings kalt
Langsam geht die Sonne unter und die südlichen Aufwinde zerbröckeln. Die Zelle bewegt sich nun unter Abschwächung langsam weiter nach NO.
Über zwei Stunden lang war die zyklische Superzelle quasi stationär über der selben Region und sorgte für erhebliche Regenmengen. Während ich der abziehenden Zelle hinterher fahre, sehe ich die Spuren.
Straßengräben haben sich in reißende Bäche verwandelt. Überall auf den Straßen Geröll und Schlamm, Keller sind vollgelaufen und Unterführungen überschwemmt.
Immer wieder kommen Feuerwehrfahrzeuge entgegen.
Manche Straßen sind zugeparkt mit Einsatzfahrzeugen, die am laufenden Band Keller auspumpen.
Ich breche die Verfolgung der Zelle ab, will nur noch einen Schlafplatz finden. Nachdem ich auf zwei durchgeweichten Feldwegen grandios stecken bleibe und mich nur mit großem Aufwand selbst befreien kann, habe ich endgültig genug. Alles voller Schlamm, das Auto und ich sehen aus wie Sau - auch egal. Der lange Tag und die Fahrerei stecken mit in den Knochen. Da stört die Schießerei unweit meines Schlafplatzes mit anschließendem Gegröle und Polizeisirenen auch nicht mehr (außerdem glaube ich, das gehört zu einer guten tschechischen Party dazu!)
Der nächste Tag begrüßt mich warm und mit Sonnenschein, Zeit für ein Bad und etwas Sightseeing... die später anstehende Lage in der Region floppt natürlich
Unten verlinkt findet ihr das ganze Video zu diesem Chasing. Vielen Dank fürs lesen und bis bald
Anton
Chasing Vlog #3: SUPERZELLEN in Österreich und Tschechien 26.06.2020 - YouTube