25.07.2022 | TH | Gewitter- und Superzellenjagd durch Thüringen

  • Hallo zusammen! Heute mal der Chasingbericht zum 25.07.22.


    Der anstehende Verlauf der Lage am 25.07. wurde bereits am Vorabend mit Spannung betrachtet. Es handelte sich um eine seltene Konstellation von möglichen Gewittern bei stark ausgeprägter, trockener Grundschicht. Hierbei war besonders eindrucksvoll, dass sich die inverse V-Struktur aus den Vorhersagesoundings am 25.07. auch in der Realität wiederspiegelte.


    Nähere Details dazu auch gerne nochmal an dieser Stelle: RE: 2022-07-25 GEWITTER/WIND


    Aufgrund der trockenen Luft am Boden würde einerseits nicht nur die Wolkenbasis sehr hoch sein, es bestand bei Schauern / Gewittern auch ein erhöhtes Risiko für starke Fallböen sowie Hagel. Als kleiner “Bonus” on-top war dazu noch ein gutes Scherungsprofil vorhanden, was die Entwicklung von organisierten Gewittern begünstigte.


    Es gab allerdings mehrere Probleme, die mitunter auch zu einem Totalausfall (Durchzug in Form von auffrischenden Wind ohne großen Niederschlag) der Lage hätten führen können. Hierbei handelte es sich einerseits um das massive Fehlen von Feuchte in Bodennähe, sowie einen leichten Deckel, der erst noch “weggeheizt” werden musste. Um das ganze noch etwas mehr in ein Chasing-Jenga zu verwandeln: Im Bereich der Konvergenz / Kaltfront *konnte* mitunter noch etwas feucht-warme Luft aus dem Süden zu uns transportiert werden.


    Die vielen Variablen führten erstmal zu verhaltenem Abwarten. Ab etwa 13 Uhr simulierte das neue S(HD)-Now Modell recht gut einige Gewitterzellen im Westen Deutschlands. Diese waren auch auf dem Radar zu erkennen, allerdings ca. 50-100km weiter südlich als berechnet. Dennoch war durch den guten Treffer dieses Modells eine gewisse Voreinschätzung für den Nachmittag möglich. Demnach sollte Thüringen von einigen, möglicherweise linienartig aufgereihten Gewittern getroffen werden.


    Einige neue Zellen entstanden entlang der Konvergenz etwa gegen 14:15 in RLP / Hessen. Der Fakt, dass sich diese beiden Zellen gut entwickelten und aktiv blieben, war Grund genug ein Chasing zu starten.


    Radar 15:40 Uhr


    Markus und ich starteten wieder ab Arnstadt, Zielgebiet: Nordthüringen. Erster Anlaufpunkt war ein Premiumpunkt aus der Chase-Map oberhalb von Sömmerda/Kölleda. Hier verfolgten wir den Verlauf einer starken Gewitterzelle, die sich etwa zwischen Bad Langensalza und Mühlhausen entlang schob.


    Radar 16:50 Uhr





    Am südwestlichen Rand waren dabei, neben den windverzerrten Fallstreifen, dauerhaft aufgewehte Partikel zu erkennen. Resultat des konstant kräftigen Abwinds.




    Je näher die Zelle kam, desto deutlicher wurde diese “Welle”, bis sie über uns hinwegrollte.



    Eine Mischung aus Regen, Staub, Stroh und Blättern flog uns jetzt um die Ohren. Die stärkste am Standort von Hand gemessene Böe erreichte 66 km/h.



    Einige Schauerreste zogen noch über uns bevor der Himmel langsam wieder aufriss:



    Nachdem sich das Gebläse nach einer Weile mit dem Abzug des Gewitters wieder beruhigt hatte, stellte sich die übliche Frage: Aufhören oder abwarten und sehen, was noch möglich ist? Wiederholt schwierig...


    Die Nowcastmodelle ID2 und S-Now :schneefall berechneten entlang der später eintreffenden Kaltfront noch einige kräftige Zellen aus westlicher Richtung. Diese sollten mitunter am Südharz noch die kräftigste Ausprägung haben, ehe sie Richtung Osten zerfielen. Wir beschlossen aufgrund der generell noch vorherrschenden, guten Bedingungen weiter in den Nordwesten des Landes zu fahren. Trotz der durchgezogenen Gewitter war die Warmluft nicht ausgeräumt. Es waren weiterhin ca. 25-30°C, jetzt allerdings mit frisch angefeuchteter Grundschicht. Klang ganz passabel!


    Über Land- und Bundesstraßen ging es nach Mühlhausen. Obwohl es auf der Route sonst keine Auffälligkeiten gab, zeigten sich in Großengottern Schäden durch Starkwind. In der Ortschaft lagen diverse abgerissene Äste am Straßenrand. An den Bürgersteigen räumte man ebenfalls noch die letzten Reste einiger Ziegelsteine auf. Am Nordrand des Ortes wurde sogar ein kompletter Baum abgebrochen. An einem nahegelegenen Supermarkt waren diverse Stücke der Fassade dem Wind zum Opfer gefallen. Zusätzlich lagen einige Straßenschilder (temporäre Bauschilder, nicht fest einbetoniert) umgekippt auf den Wegen. Die Feuerwehr war teils noch im Einsatz.





    Der Ort bekam wohl einen Volltreffer ab: Radar HD+, Regenradar vom 25.07.2022, 16:45 Uhr - Unstrut-Hainich-Kreis | Wetter von kachelmann.


    Nach der kurzen Schadensdokumentation machten wir uns dann weiter auf den Weg zu einem Aussichtspunkt nördlich von Mühlhausen, den wir etwa gegen 19:20 erreichten.



    Jetzt bahnte sich ein kleines Forecasting-Drama an, denn die langsame Entwicklung der Schauer/Gewitter entlang der Kaltfront über Hessen nahm doch noch an Fahrt auf. Wir verlagerten uns kurze Zeit später wieder leicht südwärts bis Höngeda.


    Zwischen Bad Hersfeld und Fulda spaltete sich in diesen Minuten eine Gewitterzelle entzwei. (engl. “cell-split”). Nur, auf welche setzt man jetzt? Zu allem Überfluss behielten die Gewitter auch noch ein vergleichbar starkes Radarecho…


    Wir waren sehr unentschieden und versuchten uns nochmal zu sammeln, checkten die aktuellen Messwerte (Temperatur / Taupunkt) und die Berechnungen aus den aktuellen Modellläufen.


    Die Entscheidung nahm uns letztendlich die südliche Zelle ab, die etwa ab 19:30 / 19:40 Uhr einen starken Ostdrift bekam. Das nördliche Pendant schlug dann einen sehr starken nordöstlichen Kurs ein. Für Thüringer Verhältnisse eher ungewöhnlich. Es ging also wieder durch Mühlhausen zum vorherigen Standort, diesen erreichten wir bei schönem Abendlicht.


    Radar-GIF (lädt möglicherweise etwas länger):





    Kurze Zeit später bahnte sich dann die nördlich abdriftende Zelle an - eindrucksvoll kräftig. Im Verhältnis zu den vorherigen Zellen half die Bodenfeuchte jetzt dabei, dass die Gewitter die Grundschicht anzapfen konnten. Somit ergab sich eine auf dem Radar recht gut erkennbare Superzelle.




    Einen extremen Kontrast zu den vorherigen, sehr hochbasigen Zellen bot die in der Entfernung über den Boden schleifende Wallcloud.





    Mit der immer näher herandrängenden Zelle in HP-Charakter war es dann auch endgültig Zeit aus dem Niederschlagsbereich zu flüchten. Noch ein letzter Blick auf die Vorderseite:




    Das Risiko mit größerem Hagel in Kontakt zu kommen war recht hoch: Maximale Hagelgrößen vom 25.07.2022 - , Wartburgkreis | Wetter von kachelmann.


    Die Superzelle schwächte sich jedoch etwas ab und wir ließen uns im Schutz einer Tankstelle überrollen. Das Sonnenlicht fand im Nachhinein leider nicht nochmal durch die recht dichte Bewölkung. Etwa bei Dingelstädt beendeten wir damit die Gewitterjagd und machten uns auf den Rückweg.



    Zugegeben, ein recht unerwartetes, tolles Chasing, das wirklich viele Bereiche der Faszination (Un)Wetter abdeckte, aber auch das Schadenspotenzial vergegenwärtigte. Wirklich ausgefallen und beeindruckend war dabei die Teilung der Gewitterzelle über Hessen sowie die sehr eigenwilligen Zugbahnen der daraus entstandenen Zellen.


    Außerdem: Trotz der Fähigkeit, die Lage am Standort aufgrund der Basiszutaten einschätzen zu können, haben Nowcast-Wettermodelle einen immer größeren Einfluss auf die Lagebetrachtung. Gerade bei stündlicher Aktualisierung lassen sich hier Schlüsse ziehen, die man eventuell selbst nicht treffen würde. Wobei ein gewisser Zufallsfaktor natürlich immer eine Rolle spielen wird und man sich nicht zu 100% auf standortgenaue Berechnung stützen kann. In diesem Fall hatten ID2 sowie S-Now im Voraus einige starke Zellen zum Abend im Angebot. Die exakte Position oder Aufteilung der Gewitter war dabei aber natürlich nicht zu erkennen.


    Die Möglichkeiten sind allerdings schon wesentlich besser als vor einigen Jahren mit weniger frequentierten Modellen (gerade mit Einspeisung von Radardaten).


    Ich hoffe der Bericht hat euch gefallen und ihr wart für einen Moment mit auf Gewitterjagd durch Thüringen. ;-)


    Viele Grüße, Markus & Felix



    Quelle Radarbilder - IRAS - Skywarn Deutschland - IRAS Public - Skywarn Deutschland e.V.