05.06.2016 I Thür. Becken I Multizellen mit heftigem Starkregen, Hagel und Überflutungen

  • Hallo zusammen!


    Das erste Juniwochenende setzte die andauernde Gewitterserie im Land weiter fort. Über Nordthüringen bildeten sich im Harzlee Gewitterzellen, die im Verlauf zu pulsierenden Multizellen heranwuchsen, die im Reifestadium mit ergiebigem Starkregen, Hagel und hoher Blitzrate verbunden waren. Der Outflow triggerte nach Osten hin immer wieder bis zum Sonnenuntergang neue Zellen, die zum Abend mit schönen Strukturen zu bestaunen waren. Direkt darunter wurden allerdings erneut Straßen, Grundstücke und Keller überflutet.


    Gefahrene Strecke: 338 km
    Streckenverlauf:


    Schon zur Mittagszeit waren über den Bergen erste Türmchen zu sehen. Der Harz sollte diesmal im Vorsprung gegenüber dem Thüringer Wald sein und schon bald die ersten Zellen auslösen. Kurz nach 12 startete ich Richtung Nordwesten. Über Eisenach anzufahren verwarf ich. Geht zwar erstmal schneller, aber dann fahre ich den Zellen, die nach Osten entstehen würden, wieder zu weit südlich hinterher. Daher ging es über die A71/B4 Richtung Mühlhausen. Bei Dachwig zeigte sich der typische „gewittrige Schwarm“. Diverse (Multi)Zellen mit prächtigen neuen Türmen davor:


    Bei Bad Langensalza ein schöner Cb direkt vor mir:


    In Mühlhausen angekommen standen 2 kräftige Zellen im Norden der Stadt bereit. In der Stadt wäre es zum Treffen mit dem Zellkern der östlichen Zelle gekommen - niemals. Weiter nach Leinefelde ging aber auch nicht, da die westliche Zelle dort über die Bundesstraße ziehen würde. Zwischendrin zeigte sich eine kleine "Lücke", die ich bei Dachrieden zum halten nutzte:


    Die Strukturen der westlichen Zelle wurden immer besser und die zunehmende Blitzrate bestätigte das gleich obendrauf. An aussteigen war nicht zu denken, da Erdblitze nicht weit entfernt einschlugen und über mir ständig in den Wolken Flackern zu sehen war. Der dichte Niederschlagsskern wurde immer intensiver, die Aufwindbasis markanter, grünliches Schimmern verriet Hagel. Zwischendrin 2 wirklich derbe Einschläge in der Nähe, die das Auto vibrieren liesen.




    Beim letzten Bild holte mich dann der Niederschlag der östlichen Zelle ein. Flucht war angesagt. Ein Stückchen Richtung Westen war ich wieder in der "Lücke" mit wenig Niederschlag und meldete erstmal den Starkregen über die Skywarn-Hotline. Dann wartete ich erstmal ab bis die Zellen vorüberzogen. Ständig schlugen Erdblitze um mich herum ein. Nach einiger Zeit fuhr ich zurück auf den Rastplatz nach dem Abzweig Dachrieden. Die östliche Zelle schwächte sich etwas mehr ab, produzierte aber ständig noch Erdblitze. Mühlhausen wurde dabei ganz schön unter "Beschuss" genommen:




    AUch Wolkenblitze waren dabei:


    Aus Nordwesten war bereits die nächste Zelle auf dem Weg in meine Richtung:


    Ich fuhr über Dingelstädt und die umliegenden Ortschaften die Region wegen Schäden ab. Nebel über einigen Feldern und Tälern verriet den Hagel. Zwischen Küllstedt und Büttstedt war er dann auch zu finden:




    Die Korngrößen betrugen zw. 1 und 1,5 cm im überwiegenden Teil.


    Den Starkniederschlag fand ich in der Luhne in Bickenriede wieder:



    Das nächste Ziel sollte die Zelle sein die mittlerweile Richtung Sondershausen unterwegs war. Über die B249 ging es ostwärts. Kurz vor Ebeleben kam der letzte Starkregen runter, der aber längst nicht mehr meldewürdig war. Anders war das noch ein paar Minuten eher, wo die Gullies im Ort nach oben sprudelten. Dann kehrte erstmal Ruhe ein. Ich fuhr noch bis Toba und machte erstmal Pause. Im Umkreis sah es erstmal wenig vielversprechend aus:


    An meinem Standort wehte der Outflow der alten Zellen Richtung Osten. Dieser gab die Marschrichtung vor. Da es eh der Nachhauseweg ist, umso besser. Bei Weißensee war dann auch schon die erste potentielle Quellung zu sehen. Hier dürfte sich die Konvergenz aus Outflow und Hebung an der Finne, Hohe Schrecke und Schmücke getroffen haben, die rasch zur Multizellenbildung führte. Das hier war Nummer 1:


    Auf meinem Weg nach Osten lies ich bei Kölleda die inzwischen 3 Mulitzellen vorüberziehen und fuhr die Rückseite an. Ihre Spur war unverkennbar:


    Die westliche Zelle hatte noch den längsten Atem:


    Dann war auch hier das Ende besiegelt und der Cb war nur noch ein kläglicher Rest am Himmel. Von Norden her versuchte eine Cumulustreppe ihren Erfolg. Was zumindest mit dem 1. Cumulus noch klappte (siehe den Fallstreifen):


    Eigentlich wäre jetzt Schluss gewesen... Doch ein erneutes Stück ostwärts wollten nun die nächsten Cumuli nach oben.. Und impulsiv wie sie nun mal sind waren sie gerade mal im Übergang zum Cb, als sie schon blitzten und donnerten:
    Radar:


    Und so in Echt:


    Im Süden triggerte die nächste Konvergenz vom Thür. Wald bis in die Orlasenke neue Gewitter. Hier 2 Cb's davon:


    Die neue Zelle aus Nordosten zog auf mich zu, ging dann aber spätestens bei Buttstädt kaputt, da hier schon zu viel kalter Outflow der vorherigen Gewitter rumlag.
    Und auch nach 13 Jahren chasen gibt es immer wieder neue Dinge, die die Fahrt verzögern ;):)


    Zeit für Pizza - da das Mittagessen eh so gut wie ausgefallen war. Dazu schaute ich mir weitere Cb's Richtung Süden an:




    Nun war ich aber wirklich rundum gesättigt. Hat gereicht.


    Reflektion:
    - aus 2014: Pulsierende Zellen zur maximal Entwicklung anzufahren ist Blödsinn, da sie ganz schnell zusammenfallen -> besser die Gebiete potentieller Outflowregionen im Auge behalten (in diesem Falle nach Osten zu) -> geht doch!
    - unbedingt auf die Blitze beim Sterben der Zellen achten und diese nicht unterschätzen. Die Zellstruktur mag noch so kläglich sein, es kamen Blitze zum Boden und in der Wolke über einem als hätte man eine intensive Zelle vor sich!
    - Hohe Blitzrate beim 1. Mühlhausen-Stop wäre meldepflichtig gewesen -> beim nächsten Mal lieber einmal mehr aus Vorsicht melden
    - Kartierung der Chasingpoints aus dem Winter hat sich bewährt
    - der Italiener in Buttelstedt ist zu empfehlen


    VG
    Markus

    1. Vorsitzender Thüringer Storm Chaser e.V.
    ESSL Voluntary Observer Person (Qualitätslevel QC1) (European Severe Storms Laboratory)
    Weitere Mitgliedschaften: Member of AMS Weatherband · Arbeitskreis Meteore e.V.

  • Toller Chasingbericht. Die Reflektion sollten wir alle verpflichtend schreiben, hehe :)
    Man kann es wirklich nicht oft genug sagen. Selbst kürzeste Strecken von einer halben Stunde können mitunter bei diesen kurzlebigen bzw. unberechenbaren Zellen umsonst gefahren werden (so mir passiert). Trotz Positionierung im feuchtwarmen Ostthüringen (erschien mir vielversprechend) kam dort von den Zellen aus Sachsen-Anhalt / Sachsen in der Geraer Region nur Outflow an. Südwestlich türmten sich dann wie auf einer Kette aufgereiht die neuen Zellen auf - Outflow Boundary, kleine Konvergenz? Wer weiß ;-)
    LG Marco

  • Tolle Bilder und schöner Bericht, Markus!


    Die hohe Blitzrate an jenem Tag kann ich bestätigen.


    Zitat

    Hier dürfte sich die Konvergenz aus Outflow und Hebung an der Hohen Finne/Schmücke getroffen haben, die rasch zur Multizellenbildung führte.


    Nur zur kleinen Richtigstellung: Es gibt nur Finne, Hohe Schrecke und Schmücke. Die Finne ist der untere größte Anteil des Höhenzuges, dann spaltet sie sich Y-artig auf. Links (=im Westen ist die Schmücke mit dem höchsten Berg) und rechts (im Osten) liegt dann die Hohe Schrecke.


    Das nächste Mal sieht man sich vielleicht mal. Haben uns ja nur knapp verfehlt!


    Grüße, Maurice

  • Das mit den potentiellen Gewittern in Outflow-Regionen kann ich zum Teil bestätigen. Der Outflow muss allerdings soweit zum erliegen gekommen sein, dass sich eine lokale Konvergenz bildet und die Luftmasse wieder aufsteigt. Ich hatte am Sonntag auch extra lang gewartet, bis ich los fuhr, da die Zellen zum einen aus Nordosten kamen und somit der Anschluss von Leipzig schlecht war, zum anderen nur sehr langsam zogen, wenn überhaupt. In Frage kamen also eigentlich nur Neuentwicklungen. Daher lege ich mir erstmal nur grob das Gebiet zurecht, in das ich möchte und schaue dann, wo die meisten Quellungen hochgehen.


    Am Sonntag wäre für mich zunächst das Gebiet um Eilenburg in Frage gekommen, da dort die stärkste Neuentwicklung lag. Da es aber eine halbe Stunde dauerte bis dahin, blieb mir nur übrig, live zu schauen, was sich tut. Als ich in die Richtung abbog, kam mir der Himmel schon sehr spanisch vor. Da war zwar eine stockdunkle Wand, die im Kontrast mit der westlich stehenden Sonne noch dunkler erschien, doch alle Cumulus davor hatten sich komplett aufgelöst, lediglich ein Eisschirm und stratiforme Strukturen blieben übrig. Bei einem kurzen Halt zum Wenden kam mir auch schon der Outflow entgegen. Im Süden der Zelle sah ich jedoch frische, wenngleich noch nicht stark entwickelte Cumuli. Die Entscheidung, dorthin zu fahren, war die einzig Richtige. Wenig später hatte ich ein nettes Gewitter mit leichtem Hagel über mir auf dem Rastplatz Muldental. Die Zelle, die eigentlich auf Leipzig zuziehen sollte, hat noch nicht einmal stärkeren Regen dort abliefern können. Da blieb lediglich ein bisschen Nieselregen übrig. Das ist übrigens nicht das erste mal gewesen, dass Zellen aus nordöstlicher Richtung vor Leipzig durch Outflow absterben.

    - wetterinteressiert und unwetterbegeistert seit Beginn der 2000er Jahre
    - TSC-Mitglied seit 2007
    - aktiver Chaser seit 2010

    - als Spotter "zur Ruhe gesetzt" seit 2018

  • Trotz Positionierung im feuchtwarmen Ostthüringen (erschien mir vielversprechend) kam dort von den ellen aus Sachsen-Anhalt / Sachsen in der Geraer Region nur Outflow an. Südwestlich türmten sich dann wie auf einer Kette aufgereiht die neuen Zellen auf - Outflow Boundary, kleine Konvergenz? Wer weiß ;-)


    Der größere Bereich absterbender Zellen hat sicherlich seinen Anteil daran, dass in diesem Bereich nicht mehr zu viel ging. Dort helfen auch orographische Effekte wenig. Das sah dann Richtung SOK/SLF besser, da hier die "Heide" (Höhenzug entlang der Kreisgrenzen SHK/SOK) wohl mit gehoben hat... AUf den Veraflex-Karten ist zu den Zeiten jedenfalls keine Konvergenz zu sehen.



    Nur zur kleinen Richtigstellung: Es gibt nur Finne, Hohe Schrecke und Schmücke. Die Finne ist der untere größte Anteil des Höhenzuges, dann spaltet sie sich Y-artig auf. Links (=im Westen ist die Schmücke mit dem höchsten Berg) und rechts (im Osten) liegt dann die Hohe Schrecke.


    Merci! Das wird gleich korrigiert!


    VG
    Markus

    1. Vorsitzender Thüringer Storm Chaser e.V.
    ESSL Voluntary Observer Person (Qualitätslevel QC1) (European Severe Storms Laboratory)
    Weitere Mitgliedschaften: Member of AMS Weatherband · Arbeitskreis Meteore e.V.


  • Der größere Bereich absterbender Zellen hat sicherlich seinen Anteil daran, dass in diesem Bereich nicht mehr zu viel ging. Dort helfen auch orographische Effekte wenig. Das sah dann Richtung SOK/SLF besser, da hier die "Heide" (Höhenzug entlang der Kreisgrenzen SHK/SOK) wohl mit gehoben hat... AUf den Veraflex-Karten ist zu den Zeiten jedenfalls keine Konvergenz zu sehen.


    Das Problem ist, dass diese kleinen Konvergenzen in gradientschwachen Umgebungen häufig erst sehr kurzfristig erscheinen und von zahlreichen Faktoren beeinflusst sein können. Häufig kann man dann nur Tendenzen und Vermutungen aufstellen und das anhand der Entwicklungen in der Realität abgleichen. Hinweise können dann sein:


    - Temperatur, Taupunkt, Taupunktdifferenz -> Erreichen der Auslösetemperatur
    - Windpfeile (Konvergenz), Druckabfall, Outflow Boundarys -> dynamische Hebung
    - Luv-Seite kleinerer Höhenzüge, aber auch etwas abseits vom Lee wieder -> orographische Hebung
    - Einstrahlung, Entwicklung von Cumuli / Altocumuli, Ausbreitung stratiformer Niederschläge / Eisschirme -> diverse sichtbare Anzeichen
    - Erfahrungsschatz bei unterschiedlichen Anströmungen


    Je homogener die Luftmasse ist, desto schwieriger wird es natürlich, irgendwelche Tendenzen auszumachen und desto mehr gewinnt das chaotische Kochtopfprinzip die Oberhand.

    - wetterinteressiert und unwetterbegeistert seit Beginn der 2000er Jahre
    - TSC-Mitglied seit 2007
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