Am 24.06.2016 stand eine Schwergewitterlage mit nicht unerheblichem Unwetterpotential über Teilen Deutschlands an. Als potentielle Chasinggebiete kristallisierten sich einmal Nordhessen/südliches Niedersachsen heraus (Gebiet 1) und der Norden Deutschlands (Gebiet 2). Im 1. Gebiet kam die Outflow Boundary des MCS über Nordrhein-Westfalen am Abend zum liegen. Dies sollte am Folgetag zeitig Konvektion triggern und hier für erhöhtes Superzellenpotential aufgrund des Gesamtsetups sorgen. Gebiet 2 lag nördlich des Harzes und wäre bevorzugt für einen langlebigen MCS gewesen, der, einmal den Harz hinter sich gelassen, sich durch die Warmluft fressend nach Nordostdeutschland bewegen sollte. Beide Fälle trafen auch so ein. Ich bzw. wir (Ronny und Luise) entschieden uns für die „Kassel-Option“ mit Mitnahmeoption für Daniel in Nordhausen. Schon aus der Nacht heraus waren diverse Multizellen aktiv und lebten auch bis zum Mittag weiter. Wir sahen diese auf der Anfahrt am Horizont.
Wir konzentrierten uns auf die von Süden heranziehenden Zellen. Nach kurzer Pause in Göttingen (und kleinem Navigationsfehler meinerseits) ging es südwärts Richtung Kassel. Luise navigierte mit Atlas, Radar und Navi neben mir. Wir visierten die A44 Rtg. Paderborn und dann die A49 Richtung Fritzlar an. Zunächst wollten wir uns den 1. Cluster Richtung Westen ansehen, wurden aber schon bald von den Neuentwicklungen über/rund um Kassel davon abgehalten weiter zu fahren. Auch die südliche Zelle zog näher heran. Einen Punch wollten wir auf jeden Fall vermeiden, wurden aber zunehmend eingekesselt. Wir verwarfen die Westoption des 1. Clusters und schwenkten auf die A49 nach Süden um. Durch eine erste Neuentwicklung mit wirklich fetten Tropfen mussten wir auf dem Weg nach Süden durch. Ein erster Stop an der AS Baunatal-Süd und wir suchten einen ersten Beobachtungspunkt. Mittlerweile sahen wir mehrere Gewitter um uns herum. Besonders die Zellen über Kassel haben sich rasant und kräftige entwickelt.
Der Cluster aus Westen nahte ebenfalls und zeigte bereits entfernt eine Böenfront und türkisfarbenen Niederschlagsvorhand. Der Wind frischte deutlich auf uns wir verlagerten uns südwärts auf der A49. Dort war der Outflow des Clusters sehr kräftig zu spüren. Äste und jede Menge Blätter flogen quer über die Autobahn. Die nächste Abfahrt Gudensberg ging es runter, damit wir als Flucht- und weiter Chasingoption noch ostwärts über Landstraßen zur A7 gelangen können. Aber erstmal wollten wir schnell einen Beobachtungspunkt finden. Klappte dann auch an einem kleinen Parkplatz am Straßenrand. Von hier hatten wir gute Sicht auf den großen Cluster über Kassel, der strukturell recht interessant war.
Inzwischen verstärkten sich weitere Zellen und wuchsen zum nächsten MCS östlich von uns an. Genau über der A7 zogen diese Cluster nordostwärts und dürften auch Thüringen tangieren. Über der Rhön aus Süden folgte schon der nächste. Wir wären also gewissermaßen versorgt gewesen, waren aber am Beobachtungspunkt erstmal besorgt, da aus Süden eine weitere Zelle mit Erdblitzen näher kam und uns zur Weiterfahrt zwang oder besser anregte ;). Wir liesen Gudensberg hinter uns und fanden uns zw. Maden (den Ort ) und Niederporschütz wieder. Hier hatten wir Sicht auf das Ende des nach Norden abziehnden MCS und fingen noch ein paar Blitze ein:
Der klare und regelrecht leergefegte Himmel dahinter verriet einen Keil, der für Stabilisierung sorgte:
Bei ihm noch nicht:
An dieser Stelle bitte eine kleine Erinnerung für die Reflektion am Beitragsende setzen. Wir machten uns an die Verfolgung des MCS, der mittlerweile Nordwest- und Westtühringen erreicht hatte und wollten ihm am Südende Richtung Eisenach wieder abfangen. Der Cluster bei Fulda hatte sich mittlerweile erledigt. Ich checkte noch kurz wegen Stau auf der A7 nach Süden – alles frei – und war umso erfreuter, als wir doch bei Bad Homberg in den Stau gerieten, der ursprünglich mal wegen überfluteter Autobahn entstanden war und sich gerade noch auflöste. Kostete uns dann doch zu viel Zeit und ab da fuhren wir dem Cluster mit zu viel Abstand und Zeitverlust hinterher. Ihm auf seinen Weg nach Osten über Bundes/Landstraßen folgen verwarfen wir aufgrund der unklaren Unwetterschäden (Überflutungen, Baumsperren etc), die sich dann bestätigten (z.B. Hessisch-Lichtenau).
Gebiet 2, was ich eingangs erwähnte, sollte nun seinen MCS bekommen, den erst Chris und Olli und später am Tagesende Marco und Laura Kranich in MecPom abfangen sollten. Für uns war erstmal nichts mehr zu fangen und das Chasing war im Grunde gelaufen. Wir mussten aber noch Daniel nach Nordhausen bringen Auf dem Weg begleitete uns noch einmal eine Zelle, die tatsächlich parallel zu uns mit nach Nordosten zog. Die meisten Blitze sah irgendwie immer Daniel... Wir hielten noch zweimal an um zu fotografieren. Bei Merxleben:
Hier war außerdem eine hochbasige Cumulus-Kette interessant, die an ihrer Unterseite tatsächlich diese, ähm, ja, "Zipfelchen" hervorbrachte:
...und einmal bei Kleinfurra beim Flugplatz:
Unterwegs hatten wir noch Verzögerungen wegen einer längeren Ölspur, einem Unfall und einer Baustellenampel. Ebenso auffällig: Überall Äste und Blätter auf der Straße und ein komplett niedergedrücktes Getreidefeld (gut, das kann auch von einem anderen Ereignis sein). Die abgekühlte Luft verriet, dass hier eine Outflow Boundary des Clusters über Westthüringen durchgezogen sein muss. Und so war es auch: Sie zog einmal quer über Thüringen nach Südosten und kam irgendwo bei Hof zum liegen. Viele Bekannte aus Erfurt, Weimar und Saalfeld berichteten mir von „Sturm aus dem nichts“ bei wolkenlosen Himmel – typisch.
Reflektion:
Wetterlage: Wieder einmal und auch immer weiter zeigt sich gerade bei solchen Lagen, dass Modelle als grober Richtwert gelten sollen und dann insbesondere im Nowcasting bzw. live in Echtzeit anhand der aktuellen Entwicklung die Chasingplanung entschieden bzw. besprochen werden sollte. Gerade das Geschehen am Vortag (Abendcluster in NRW) waren hier von entscheidender Bedeutung für die Auslöse bei Kassel (Zielgebiet 1). Weiter zeigt die Erfahrung ähnlicher Südwestlagen mit hoher Energie, dass sich einmal entstandene Cluster westlich/nördliches des Harzes aufgrund des abziehenden Hochs nach Osten (bodennahe Ostströmung) in die Warmluft fressen und eine Eigendynamik entwickeln, die sie stundenlang am leben lässt, bis sie über die Ostsee abziehen. Häufig ist dabei ein „abknicknen" nach Nordost/Ostnordost zu beobachten. Man muss sich also die generelle Frage stellen, was will ich heute sehen? Möchte man einen langlebigen MCS mit Shelfcloud, eventuell noch mit Blitzshow in der Nacht, hätte man sich für den Norden entschieden. Will man mehrere Zellen (inkl. Superzellenpotential) dann für die Kassel-Region. Die Entscheidung muss auf ein Gebiet fallen, ein Wechsel zw. Gebiet 2 und 1 wäre wohl kaum zeitlich zu schaffen.
Navigation: Bis zum abziehenden MCS bei Gudensberg lief bis auf den kleinen Navigationsfehler meinerseits alles wunderbar. Erster Knackpunkt war der Stau auf der A7 nach Süden, der uns zu viel Zeit kostete um das Südende des Clusters einzuholen. Via App von Ronny war der Stau noch aktiv, im Radio wurde er schon nicht mehr gemeldet, da die Ursache weg und der Stau am auflösen war, die Zeitverzögerung aber dennoch bestand. Naja.
Unter dem Aspekt, dass Daniel noch nach Nordhausen gefahren werden muss, wäre es praktikabler und spritsparender gewesen, die Cluster abziehen lassen und später über die A7/A38 nach Hause zu fahren. Man hätte da auch noch die einzelne Zelle, die hinterher zog, sehen und beobachten können.