11.06.2018 / Bayern / Kurzlebige Superzellen, MCS (Typ LS), Stroboskopgewitter

  • Hallo miteinander,


    Andre, Carsten, Alex (Thiel) und ich fuhren zur Schwergewitterlage gestern nach Süden. Wir konnten im Raum Nürnberg mehrere Gewitter abfangen, darunter auch "kurzlebige" Superzellen und später zwischen Ingolstadt und Regensburg den [definition=74,1]MCS[/definition] inklusive Stroboskopgeblitze.


    Die Tour umfasste stolze 714 km, angefangen gegen 13:00 Uhr in Marlishausen, wo sie gute 12 Studen später auch wieder endete. Dann folgten aber noch die Heimfahrten nach Weimar, Saalfeld, Bad Blankenburg oder Aschersleben. Ja, ach du scheiße denkt sich manch normaler Leser oder auch weiterhin Frau, Freundin, Familie. Standardfrage: Hat's sich denn wenigstens gelohnt? Joar! Irgendwie fehlt eine gewisse innere 100% - Zufriedenheit zum Schluss. Die eigene Erwartungshaltung simuliert eben auch nach vielen Jahren und Erlebnissen bestimmte Idealkulissen, die man gern so erleben und sehen möchte, wohlwissend dass die Realität gern andere Pläne hat. Nicht zuletzt sehnte man sich nach Dynamik und Struktur im zähen Gewittersumpfleben der letzten Wochen. Gewissermaßen ist man doch irgendwie "wetterfühlig" ;) Aber gut jetzt.


    Nachdem das Team nochmal neu zusammengewürfelt wurde als ursprünglich geplant ging es gegen 13:00 Uhr auf nach Süden. Das taktische Vorgehen sah so aus:


    - vorlaufende Superzellen im Raum Würzburg oder Nürnberg abfangen, im Verlauf südlich verlagern (A9 oder A93)
    - [definition=74,1]MCS[/definition] welcher Art auch immer am Abend irgendwo nordöstlich von München abfangen


    Die Würzburg-Variante (Wüüüürzburg! Man fühlt sich gleich wieder unwohl aufgrund früherer Pleiten) hatte ich bereits am Sonntag mehr und mehr verworfen. Zu einheitlich war das Szenario, dass die Region Nürnberg für die Option Superzellen + späteren [definition=74,1]MCS[/definition] in Frage kommen würde. Also ging es über die A71/73 und 9 nach Süden. Start in Erfurt bei herrlich angenehmen Temperaturen und Stratus bei NNW-Wind. Das in TH nichts mehr passieren wird, war dadurch schon früh sicher, der Süden des Landes war dann doch zu weit nördlich der guten Luftmasse.


    Auf dem Kamm aufliegende Wolken und Nebel:



    Nach dem letzten Tunnel stieg die Temperatur immer weiter an, die Wolken lösten sich leebedingt auf und die ersten Schirme waren zu sehen:


    Bei Bamberg noch letzte Grüße der frühen Zelle am Fahrbahnrand:


    Unser Augenmerk galt der Zelle bei Bad Mergentheim, die schon auf dem regulären Radar verdächtige Merkmale zeigte und sich ostwärts/südostwärts verlagerte. Im Grunde genau auf Nürnberg zu. Wir umfuhren die Stadt über die A9 um westwärts über die A3 wieder bei Ansbach auf ihr Südende zu stoßen. Der Höhepunkt war da aber gerade überschritten und vorlaufend verdeckte eine Neuentwicklung die Sicht auf das Objekt der Begierde:


    War leider nicht so spannend wie das dahinter:


    Wir brachen zugunsten der südlicheren Zelle bei Ansbach wieder nach Osten auf. Im Osten dieser riesige TCU, den nehmen wir doch:


    Timing und Position passten perfekt und schon waren wir unter der [definition=8,3]Basis[/definition]. Schon auf dem Bild wird deutlich, dass sich hier was bewegte. Der Niederschlag über der Stadt intensivierte sich, schwächte sich aber genauso schnell wieder ab. Kaum elektrische Aktivität im Umfeld, ebenso windstill (bis der [definition=3,0]Abwind[/definition] kam). Irgendwie wirkte es komisch. Erst wollte es, dann doch nicht.



    Na gut, wieder südwärts. Der nächste Kandidat kam von Hilpoltstein direkt auf die A9 zu. Wir wollten eh weiter nach Süden. Auf der Fahrt denkt man im ersten Moment: Naja:


    Diese kleine Wolkenspitze links hinter dem Niederschlag deutete aber auf etwas anderes hin. Und aus "naja" wurde "oha, nimm den Parkplatz hier, der ist perfekt". Sogar mit integriertem Beobachtungshügel. Wer das entworfen hat, danke!


    Dieses Teil zog knapp uns vorbei und wir hatten Zeit zum beobachten. Besagter Niederschlagsbereich war der vorderseitige [definition=3,0]Abwind[/definition] ([definition=36,1]FFD[/definition]), die klassischen Strukturen dahinter waren eher teilweise zu sehen und eher kurzlebig, wie wir es schon vorher hatten. Die Zelle zog nach ONO, der Zustrom erfolgte über uns in die Zelle und bildete diese schönen Wolkenmuster aus:








    Im Verlauf kam nicht nur Bernd März vorbei, sondern auch der Niederschlag:


    Weiter ging es nach Süden. Im Rückspiegel sah unsere [definition=101,0]Superzelle[/definition] noch ganz hübsch aus, das verleitete nochmal zum Stopp an einer Raststätte:


    Nach Süden hin sogar eine Art [definition=111,0]Turkey Tower[/definition]:


    DieLinie vom Bodensee bildete sich nun auch aus. Der Plan scheint aufzugehen. Was uns gar nicht gefiel war ein Band aus mittelhohen Wolken und leichtem, stratiformen Niederschlag der aus Richtung München kam. Das sah alles andere als labil aus. Schon brach das Glücksgefühl der gerade gejagten Zelle zusammen: War es das etwa? Auftanken für Auto wie auch Mensch war nötig. Lagecheck: Nach München woll'mer nicht, eher nach Südosten wegen der besseren Luftmasse. Die Entscheidung zu dieser Zeit nicht ganz einfach, da sich der Cluster bei Ulm auch eher von uns weg bewegte. Aber wenn die Augsburg-Zelle was macht und anbaut, wären wir richtig. Ok, probieren wir das. Auf eine [definition=58,1]Kurzwelle[/definition] ist ja eigentlich Verlass (die sollte abends den nötigen push, also die Hebung und Organisation fördern und den [definition=74,1]MCS[/definition] auslösen).


    Alex war zu der Zeit etwas von der Lage enttäuscht und ging mit den Worten "ich höre mir jetzt noch die Geschichte mit der [definition=58,1]Kurzwelle[/definition] an" ins Nickerchen über.


    Er war dann aber relativ schnell wieder wach, da besagte Augsburg-Zelle nun doch eine Linie ausbildete, die grob in unsere Richtung zog. Nach einigen schwierigen Anläufen einen Beobachtungsplatz zu finden (Erkenntnisse daraus siehe unten) sah man auch in der Ferne eine [definition=8,3]Basis[/definition] an der letzten Zelle der Linie (Tail-End-Charlie). Ist im folgenden kaum zu sehen (hinter dem Ort hinten):


    Leider bildete sich nun knapp vor der Linie eine weitere Zelle. Das bedeutete Regen am Beobachtungspunkt und die Sicht auf den Strukturtteil der Linie wurde zusätzlich erschwert. Der [definition=74,1]MCS[/definition] schob sein stratiformes Regengebiet vorweg und die eigentlichen Zellen waren dahinter (TYP LS ->leading stratiform, sozsuagen "stratiformer Regen führend"). Das mögen wir nicht wirklich, wenn wir vor dem Teil stehen. Für nicht eine Minute ergab sich ein kurzes Zeitfenster, wo wie die Struktur sichtbar wurde und der Regen kurz aufhörte:





    Dann ließen wir uns überrollen. Es klarte relativ schnell wieder auf und ein ständiges Geflacker kam zum Vorschein. Es blieb allerdings auch beim ständigen Geflacker in der Wolke, kleinen Blitzfragmenten oder seltener mal Flächenblitzen entlang der Wolke. Von Erdblitzen reden wir gar nicht erst. Da hatten wir uns doch etwas mehr sichtbares erhofft.


    Wir fuhren hinterher bis Regensburg, durchfuhren dabei auch den Zellkern mit starkem Wolkenbruch. Bei allen war der Mobilfunkempfang weg. Somit blieb auch die Skywarn-Meldung sprichwörtlich "auf der Strecke":



    An der Abfahrt Bad Abbach stellten wir nochmal die Kameras auf. Das Stroboskopgewitter um uns herum blitze von Nordost bis Südwest, wo auch neue Zellen anbauten. An dieser Stelle standen wir noch eine gute Stunde und beobachteten. Zwischendrin immer wieder Sirenen aus den umliegenden Ortschaften. Ein bisschen USA-Feeling kam da kurz auf.


    In Anbetracht von guten 3h Rückfahrt bis Marlishausen beendeten wir die Jagd und machten uns auf den Weg nach Hause. Auf der Rückbank wurde es schnell still, auf der Autobahn auch. Unweit des AK Nürnberg-Nord standen wir aufgrund eines Pannenfahrzeugs im Baustellenbereich. Der Abschleppwagen versuchte über die linke 2m-Spur nach vorn zu gelangen. Das dauerte natürlich. Irgendwann klopfte dessen Fahrer an die Seitenscheibe und bat uns rückwärts in eine Lücke vor einem LKW zu fahren, damit er weiter vorankommt. Also fuhren wir rückwärts. Die Gesichter in den Autos neben uns glichen denen, die auf dem Parkplatz verwundert zum Himmel schauten und sich fragten "was machen die da"? Eine halbe Stunde büsten wir ein, danach waren wir mehr oder weniger fast alleine auf der Autobahn unterwegs.


    Reflektion:


    - endlich Dynamik und Struktur nach langer Sumpflage
    - Superzellenstruktur nicht immer eindeutig oder langlebig, Rotation aber fast immer vorhanden
    - Ursachenforschung: Leading stratiform [definition=74,1]MCS[/definition] -> was begünstigt die Entwicklung / wie in der Vorhersage erkennen?
    - Vorhersage: Erneute Bestätigung SuperHD für Kurzfrist, Rapid für Nowcast + Erfahrungswerte/Bauchgefühl live
    - Gewissensfrage: Alles mitnehmen oder eher auf ein Ziel konzentrieren (z.B. nur Superzellen?)
    - Stroboskopgewitter wirken im Video besser als auf dem Foto (generell war es enttäuschend für Blitzfotografie)
    - Lokales Phänomen I: Hopfenplantagen erschweren in der Region Ingolstadt/Regensburg die Beobachtung(splatzsuche). "Hoch" lebe unser Maisfeld!
    - Lokales Phänomen II: Bei Orten mit "Ober....." ging es im Jagdgebiet eher nach unten als noch oben
    - rückwärts auf der Autobahn fahren fühlte sich nicht anders als vorwärts an
    - angenehmes und lustiges Team


    Was die fachlichen Erkenntnisse angeht, hier zu gegebener Zeit mehr. Video wird vielleicht noch folgen.


    Viele Grüße,
    Markus

    1. Vorsitzender Thüringer Storm Chaser e.V.
    ESSL Voluntary Observer Person (Qualitätslevel QC1) (European Severe Storms Laboratory)
    Weitere Mitgliedschaften: Member of AMS Weatherband · Arbeitskreis Meteore e.V.

  • Glück Auf,


    Der Chasing Bericht ist wiedermal schön geschrieben, man ist praktisch mit ´on Tour´.
    Ich denke auch um so weiter die Reise, um so höher die Erwartungshaltung.
    Schwierig finde ich beim Chasen in anderen Gegenden gute Positionen zu finden, man ist vielleicht an der Zelle dran, aber Zeit
    für gute und ´genussvolle´ Dokumentation bleibt da oftmals garnicht.
    Trotzdem habt ihr doch einiges mitnehmen können, ein wenig Sehnsucht auf gemeinsames Chasing kommt da schon auf.


    Ach, und wo Bernd ist, ist der Core meist nicht mehr weit :)


    Gruss

  • Vielen Dank, @Norbert!
    Dem ist nichts hinzuzufügen! Außer: Lass uns losfahren :)


    Ach, und wo Bernd ist, ist der Core meist nicht mehr weit :)

    :grins

    1. Vorsitzender Thüringer Storm Chaser e.V.
    ESSL Voluntary Observer Person (Qualitätslevel QC1) (European Severe Storms Laboratory)
    Weitere Mitgliedschaften: Member of AMS Weatherband · Arbeitskreis Meteore e.V.

  • Ja etwas hat gefehlt um 101 Prozent zufrieden zu sein. Jesus war halt dieses Mal nicht auf unserer Seite ;-)