Hallo an die Foren- und Vereinsgemeinde!
Der gestrige Tag hängt noch nach, so will ich die Erlebnisse schnell hier "zu Papier bringen"
Die Ausgangslage
Am Morgen war laut den Modellen recht deutlich klar, was der Tag versprach zu werden - es sollte eine Südharzzelle kommen. Estofex erhöhte am Vormittag auch die Warnung auf Level 3 - war damit der Flopp vorprogrammiert? Oder überschlugen sich doch die Erwartungen? Fraglich, was genau da in mir nun wirkte, aber seien wir ehrlich, ich war gespannt wie selten zuvor.
Gegen 13 Uhr brachen Anton Koetsche , KarSteN , Oscar Ritter und ich von Leipzig entlang der A38 an die Grenze Sachsen-Anhalt / Thüringen auf und positionierten uns bei Alltstedt auf einen Hügel. Die Sicht war diesig, die Luft feucht, einige elevated konvektive Reste zogen südlich vorbei und lösten sich nach und nach auf. Die Einstrahlung war gut und der Nowcast gestartet. Es wurden mehrere Prognosesoundings durchgespielt und die Lage beurteilt, während wir warteten, bewegte sich eine kleinere Konvergenz auf unseren Standort zu, an der es im Grenzgebiet Hessen / Thüringen begann konvektiv sich zu entwickeln, erste Gewitter entstanden, welche jedoch nicht sonderlich beeindruckend waren. Derweil hatte sich auf dem beschaulichen Hügel eine bemerkenswerte "TSC Chaser Konvergenz" entwickelt und die Lage wurde sondiert, über floppende Level 3 gewitzelt.
Die Strecke von dem gestrigen Tag (Quelle: Google Maps):
Die Jagd beginnt - Entwicklung einer Superzelle...
Bei Meiningen entwickelte sich derweil eine markante Zelle, aber der Fokus blieb dann doch auf zwei Zellen, welche sich südwestlich unseres Standortes befanden und begannen zusammenzuwachsen (Siehe dazu: Radar HD+, Regenradar vom 20.05.2022, 18:10 Uhr - Mansfeld-Südharz | Wetter von kachelmann.).
Dazu dieses Bild, welches das Zusammentreffen zeigt:
Unser Team war dann das erste, welches zuckte und entschied, sich wieder entlang der A38 Richtung Ost zu verlagern und dabei darauf zu setzen, dass ich von beiden Zellen die südlichere durchsetzen und so eine eventuelle Organisation der neu entstehenden Zelle bewirken könnte. Und so in etwa sollte es auch kommen. Auf dem Radar zeigte sich, dass ein neuer Aufwind sich am südwestlichen Zipfel der beiden Vorangegangenen entwickelte und die Sache interessant machte.
Wir suchten uns einen neuen Standort und beobachteten - der Inflow machte sich anhand der Windräder und der feuchten Luft stark bemerkbar, über uns im Eisschirm blitzte es hoch frequentiert und das nicht ohne, mehrere kräftige positive Entladungen waren langanhaltend zu hören, teilweise zu sehen - was ein Sound, es war beeindruckend (Siehe dazu: Blitzortung Saalekreis vom 20.05.2022, 19:05 Uhr | Wetter von kachelmann.)
Einen Blitz erwischte ich auch mit meinem Lightningtrigger, Karsten schmückte das ganze immer wieder mit einem lautem "Flash!!!" oder "Donk(?)" Derweil begann sich, der Aufwindbereich zu separieren.
Abermals hieß es Verlagern, denn die Entwicklung sah sehr vielversprechend aus. Auf dem Weg in Richtung Milzau und dahinter zur A38 baute sich der Aufwindteller großartig aus und der Aufwind begann frei zu stehen, die mittelhohe Bewölkung nahm immer mehr ab. Dazu immer wieder Wolkenblitze, Donnergrummeln - die Südharzzelle war wohl geboren. Kurzerhand schossen Markus , Thomas Klein und Felix L. an uns vorbei, als wir uns wieder ins Auto schwangen und zur A38 aufbrachen.
Unterwegs waren die Augen gefühlt mehr in Richtung der Zelle gerichtet als auf die Straße, denn die Aussicht war einfach grandios. Als wir bei Kleinpößna an der A14 am nächsten Standort ankamen, klappte mir sprichwörtlich einfach nur die Kinnlade herunter. Der Aufwind völlig freistehend, mit Tailcloud, Wallcloud und nahezu das volle Programm - Niederschlag und Aufwind waren recht weit voneinander getrennt. Derweil schwächte sich die Blitzfrequenz laut Karte leicht ab - wir beobachteten das mit einer leichten Abschwächung des Aufwindturms, welcher in seiner Ästhetik leicht einbüßte.
Die freistehende LP-Superzelle(?) direkt vor uns. Der oben rechts vom Aufwindteller leicht ausgebeulte Bereich markiert die alte Aufwindzone - dahinter ein neuer Aufwindturm, welcher für die Zelle einen neuen Zyklusbeginn bedeutete. Die Blitzfrequenz nahm stark zu und sollte noch lange anhalten - die Zelle war laut Radar sehr langlebig unterwegs. Interessant war auch zu beobachten, wie der Aufwind den Niederschlag wieder in sich auffraß und in den Wolkenturm zog, das hatte mich ein klein wenig an die Imperial Zelle von 2019 erinnert, natürlich nicht in der ausgeprägten Form. Der Aufwind hing wohl direkt über dem Stadtgebiet, so der Eindruck von diversen Bildern und Videos, die uns auf den sozialen Netzwerken zugeschickt wurden.
Während wir dort standen, hielt kurzerhand auch ein älteres Ehepaar und fotografierte mit uns zusammen, während sich Anton mit ihnen unterhielt.
Detaillierter Blick auf den Aufwindbereich:
Was auffiel, dass die Zelle vergleichsweise nicht so hochreichend war, wie bei anderen Gewittern. Sich die Ausbildung eines Eisschirmes nicht ergab, sondern der CB eher als Calvus in die Höhe wuchs und dort verweilte. Dafür bildeten sich Schattenstrahlen aus, als der Aufwind darüber liegenden Cirrostratus im Abendlicht erreichte. Schön war für mich auch zu sehen, wie der RFD Live in den Aufwindbereich hereindrückte und die Wolken bogenförmig aufzerrte.
Der neue Aufwind schien sich derweil sich um den alten herum zu schrauben:
Während die Zelle zunehmend sich entfernte, wollten wir das sich entwickelnde Bow Echo aus Thüringen kommend abfangen und sondierten über einen möglichen Standort. Durch die infrastrukturellen Umstände war es schwer, sowieso mit ihr mithalten zu können - die Bundesstraßen führten durch viele Ortschaften und der Verkehr dort ist aus eigener Erfahrung durchweg eher bescheiden. So hieß nun auch hier, die Ausrüstung leicht greifbar zu verpacken und es ging zurück über die A14 und A38 auf die A72.
Der letzte Blick auf die Zelle, ehe wir von ihr ablassen:
Zeitraffer des Aufzugs bei Leipzig:
Der Abschluss - Shelfcloud mit Sturm und Crawler
Während wir unterwegs waren, zeichneten sich schon laminare Strukturen ab. Parallel dazu wurde es schnell dunkel, die Sonne war untergegangen und der Schatten der aufziehenden Gewitterlinie lag über uns. Es schien, als würde erst mit Näherrücken der Linie die Blitzaktivität auch zunehmen (Was dann auch so war, die Linie erfuhr über Leipzig einen wahren Push der Blitzaktivität, siehe auch: RadarHD-Stormtracking vom 20.05.2022, 21:15 Uhr - Nordsachsen | Wetter von kachelmann.). Viel Zeit zum Fotografieren blieb nicht, denn noch während die Shelf knapp vor uns war, kamen die ersten Tropfen an.
Der Regenkern schwach von einem Blitz illuminiert:
Die Shelf zog soeben über Leipzig, wir standen südlicher am Haihner See bei Rötha, zwischen Borna und Lippendorf:
Kaum im Auto, wurden wir von der Böenlinie erfasst und der Regen prasselte nahezu waagerecht auf das Auto von Anton. Dabei wackelten auch schwere Böen an uns - Am LIM in Leipzig wurde eine Böe mit 84 km/h gemessen. Das Schauspiel war nach wenigen Minuten auch wieder vorbei und es tanzten rückseitig die Crawler über uns. Wir verlagerten uns nur um wenige Hundert Meter und begannen, die Lightshow zu genießen...
Einer der rückseitigen Entladungen, hinter uns klarte es erstaunlicherweise schnell wieder auf:
Heimweg und Fazit:
Alsbald die Linie abgezogen war, machten wir uns auf den nun mittlerweile recht kurzen Heimweg. Die Straßen innerhalb Leipzigs unterschieden sich teilweise recht arg im Schadensbild, je nach dem wo der Wind wohl gut kanalisiert wurde, so lagen in meinem Stadtteil recht viele größere Äste auf der Straße. Dazu war durchweg neben dem Dröhnen des Rammstein-Konzerts Sirenengeheul von Feuerwehren zu hören...
Mehrere größere Äste liegen entlang der Philip-Rosenthal-Straße, höhe Psychiatrie:
Doch was gilt es nun zum Abschluss zu sagen? Das große, gewaltige Unwetter blieb zum Glück für Mitteldeutschland im Allgemeinen aus. Die ärgsten Zellen waren beispielsweise bei Paderborn zu finden und auch über Bayern zog (abermals) eine kräftige Unwetterlinie hinweg, welche verbreitet schweren Sturm und größeren Hagel mit sich brachte. Zwar entwickelte sich auch die von vielen Modellen berechnete Südharzzelle, jedoch hatte diese mächtige Startschwierigkeiten und war dann in der Fläche auch nicht so ausgeprägt, auch wenn sie ausdauernd war. Auch das Bow Echo erschien, ebenfalls bedeutend schwächer als in den Prognosen. Über den Einfluss des vorlaufenden konvergenten "Gedöns" wird wohl auch noch zu reden sein.
All in all stand wohl nicht das volle Maß der Energie zur Verfügung. Das Level 3 war somit in meinen (noch unerfahrenen) Augen zumindest für Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt nicht zutreffend - korrigiert mich gerne, wenn ihr das anders seht!
Anton Koetsche - hast du schon was näheres herausfinden können, weswegen nun die Sicht auf die Zelle so überraschend gut war und sich keine vermatschte HP gebildet haben könnte?
Somit war der gestrige Tag ein gelungenes erstes Highlight in der doch noch recht jungen Saison.
Was zusätzlich definitiv nicht unerwähnt bleiben soll, ist die hervorragende Kommunikation zwischen Akteuren, sprich Chasern und präsenten Medien und dem daraus wohl abzuleitenden Warnerfolg - Markus , Hut ab für diese Leistung und vielen Dank. Auch vielen Dank an die Referenten zur Lagebesprechung!
Allgemein in meinem Umfeld hatte ich das Gefühl, dass die Menschen zunehmend sensibler für etwaige Unwetter werden, was äußerst gut und wünschenswert ist.
Somit sind wir am Ende angelangt! Vielen Dank fürs Mitlesen und ich hoffe, wir hören / sehen uns bald wieder.
Viele Grüße,
Florian