Synoptische Lage:
Der 24.07.2023 brachte uns eine klassische Low-Cape High-Shear Gewitterlage mit viel Hebungsantrieb. Das führt in unseren Breiten erfahrungsgemäß am ehesten zu ansehnlichen Gewittern. Entlang einer schleifenden Kaltfront bildete sich gegen Mittag ein Bodentief und m Zuge dessen ein Gewitterkomplex. Dieser zog von der Deutsch-Belgischen Grenze bis nach Polen, getrieben durch einen markanten Höhentrog und unterstützt durch die Hebung im Bereich unter dem linken Jetausgang. Der Gewitterkomplex bewegte sich entlang einer bodennahen Windkonvergenz von NW und SW Wind (https://kachelmannwetter.com/d…htung/20230724-1500z.html hier gut im Bereich Magdeburg zu sehen). Und hier das interessante daran: Die feuchte Luftmasse lag nicht auf der Südseite der Konvergenz in der SW Strömung, sondern auf der Nordseite in der feuchteren NW Strömung (https://kachelmannwetter.com/d…punkt/20230724-1500z.html hier schön an den Taupunkten zu sehen). Der Bereich nördlich der Konvergenz war ca. 4°C kühler als der südliche Bereich, der Taupunkt dafür 4°C höher. Zudem war dieser kühlere Bereich schwach gedeckelt. In diesem schmalen Streifen fanden sich ca 800 J/kg CAPE kombiniert mit 60km DLS und SRH >150 m^2 s^2. Die Zuggeschwindigkeit der Zellen würde allerdings bei >60km/h liegen, das ist schon ne Hausnummer. In Modell-Hodographen des ID2 (kann ich hier leider nicht zeigen) sieht man dementsprechend einen Haufen streamwise Vorticity bis 3km und ca 20-25kn storm-relative Inflow. Das Setup ist schon ziemlich perfekt, und der bereits seit Stunden existierende Gewitterkomplex bewegt sich direkt in diese Luftmasse hinein. Zusätzlich lösten vorlaufend erste kleinere Zellen aus und bewegten sich schnell nach Osten (https://kachelmannwetter.com/d…oerde/20230724-1540z.html). Diese verbrauchten praktisch nichts von der Energie der Luftmasse, erzeugten jedoch durch ihre nach Westen laufende Outflowboundary zusätzlich eine gewitterrelative Windkomponente (und noch mehr Grundschichtfeuchte).
Chasingbereicht:
Ich positionierte mich gegen 17:40 bei Wanzleben und hatte einen schönen Blick auf die abziehenden Zellen. Gut zu sehen wie niedrig die Wolkenoberkante dieser Zellen ist:
Von Westen her nähert sich schnell der Gewitterkomplex, durch die Nähe zum Radarstandort Ummendorf ist das Radarbild leider schwer zu interpretieren. Optisch schält sich allerdings schnell etwas aus der blauen Pampe heraus, Zeit ist 17:57
Die Struktur entwickelt sich so schnell, dass ich kaum Zeit habe es so schnell zu realisieren. Zeit hier ist 18:02, vergleicht mal die Änderung innerhalb von 5min. Dass das eine absolut brachiale Superzelle ist habe ich allerdings schnell Begriffen. Schön zu sehen ist die massive RFD Shelf (links) und der langgestreckte Inflowtail im Bereich des FFD (rechts). Mittig ist deutlich die abgesenkte Wallcloud zu sehen.
Ich frage mich zunehmend ob ich nicht falsch abgebogen und in den Great Plains gelanden bin. Zeit ist 18:07, wieder 5 min später. Noch nie ist eine Zelle so schnell auf mich zugerast und hat zeitgleich so ihr Aussehen verändert.
18:09, also gerade mal 2 min später, steht die mehrschichtige Aufwindschraube direkt vor mir. Versetzt euch mal in dieses Bild hinein, aber nicht aus Sicht eines Weitwinkelobjektivs sondern mit eurer augeneigenen Brennweite. EInfach nur eine riesige weiße Wand soweit das Auge reicht.
18:11, davor bleiben wäre absolut sinnlos. Ich genieße die letzten Minuten bevor mich der Kern überrollt.
Der Kern ist kurz und heftig, schwere Sturmböen peitschen Regen und kleinen Hagel gegen mein Auto. Nach wenigen Minuten ist allerdings auch dieser Spuk vorbei. Ein echtes High-Speed Chasing mit meinem persönlichen Strukturhighlight in Deutschland.
Hier noch der Link zum Video:
Danke fürs lesen!
Anton