- Offizieller Beitrag
Hallo liebe TSCler,
die Gewittersaison neigt sich dem Ende, und in Deutschland wird es herbstlich. Trotzdem wartete der August am Ende nochmal mit einer brisanten Wetterlage auf, die Deutschland zwar aussparte (2020 like), aber dafür in weiten Teilen Süd und Osteuropas für schwere Unwetter sorgte.
Am 28.08.2020 startete ich mit einem Freund von Leipzig aus Richtung Brünn. Dort sollte, in einem schönen Hotel, unser Ausgangspunkt für die kommenden Gewitterlagen sein.
Völlig unverhofft bekamen wir bereits während der Fahrt nach Brünn eine sehr schöne Shelfcloud zu sehen. Die Stimmung war dementsprechend bereits etwas aufgelockert und wir werteten das als gutes Omen für die anstehende Tour
Besonders cool war der leuchtende Einschnitt oberhalb der Shelfcloud, man hatte das Gefühl tief in die Eingeweide des Gewitters schauen zu können.
Angekommen im Hotel, und mit solchen Eindrücken im Rücken, war der Schlaf unruhig. Zurückdenken an das gesehene, Anspannung wegen der anstehenden Lage am nächsten Tag. Die morgendliche Analyse zeigte das erwartete Bild:
Ein Trog war bis zur Iberischen Halbinsel vorgedrungen, auf dessen Vorderseite entwickelten sich zwei "Gewitterhotspots". Der eine in Italien, wo auf der Vorderseite eines Bodentiefs über Korsika warmfeuchte Mittelmeerluft in die Poebene strömte. Dieses Setup war besonders brisant, da dort akute Tornadogefahr herrschte - tatsächlich traten in Italien auch mehrere auf.
Wir hatten uns allerdings gegen das Italiensetup und für die Underdoglage im Bereich Östreich Tschechien Ungarn entschieden. Beide Setups waren geprägt durch einen guten Overlap zwischen hoher Scherung und viel CAPE. Während die Position des Italiensetups klar war, variierte die Plazierung des zweiten Hotspots über Osteuropa stärker.
Estofex hatte über Italien mit einem Level 3 gerichtet, während wir mit einem Level 1, bzw einem Rand Level 2 bedacht wurden.
Den ganzen Tag über warteten wir nördlich von Wien. Zunehmend wurde klar: die Lage verlagert sich weiter nach Süden. Als gegen 15 Uhr bei Graz ein Gewittercluster auslöste zögerten wir nicht lange und fuhren Richtung Ungarische Grenze.
Radar, Regenradar vom 29.08.2020, 15:00 Uhr - Steiermark | Wetter von kachelmann.
Bis 17 Uhr hatte sich aus dem Südende des Cluster eine verdächtige Radarsignatur entwickelt. Uns wurde klar - das könnte die Zelle des Tages werden.
Radar, Regenradar vom 29.08.2020, 17:00 Uhr - Burgenland | Wetter von kachelmann.
Taupunkte in der Region in die sich die Zelle bewegen würde lagen bei 18 bis 21 Grad. Zusätzlich lag in Zugrichtung eine Bodenkonvergenz, die für Hebung sorgen sollte.
Wir rauschten also weiter nach Ungarn, um die Zelle bei Lövö abzufangen. Trotz der ziemlich abgefuckten ungarischen Straßen erreichten wir rechtzeitig einen Standort, die Struktur am Horizont ließ uns auf mehr hoffen:
Schemenhaft ist bereits die Aufwindbasis zu erkennen, einige Cumulus deuten zunehmende Labilisierung in Zugrichtung des Aufwinds an. An der Unterseite des alten Eisschirms schiebt sich eine neue Schicht Mammaten in unsere Richtung, ein sicheres Zeichen dafür, dass der Aufwind eine massive Verstärkung erfährt. Bodennah sind bereits Ansätze einer Wallcloud zu sehen.
Zunehmend wird eine Trennung des Niederschlagskerns in RFD und FFD sichtbar. Das passiert, wenn der Höhenwind am Aufwind abgebremst wird und dort eine Absinkbewegung induziert. Der dadurch entstehende Niederschlagsbereich bildet sich (würde man in Zugrichtung des Gewitters stehen) an dessen Rückseite (Rear Flank Downdraft = RFD) . Der Forward Flank Downdraft (FFD) ist der Hauptniederschlagsbereich, er entsteht aus den in Zugrichtung abtransportierten Niederschlagspartikeln von Aufwind und Eisschirm. Im Bild ist der Entstehungsbereich des RFD in der Bildmitte im Bereich der tiefen Fracti zu sehen. Der FFD befindet sich Rechts vom Aufwindbereich,
Surreal, in welcher kurzen Zeit sich die Zelle organisiert. RFD und FFD sind nun deutlich getrennt, Links über den Bäumen bis zur Bildmitte bildet sich die Shelfcloud des RFD aus. Weiter rechts, zwischen RFD und FFD ist bereits eine sehr tiefe Wallcloud sichtbar. Die Rotation über unseren Köpfen ist mit bloßem Auge zu sehen.
Nun liegt sie in voller Pracht vor uns. Der gesamte Aufwindbereich rotiert, der Aufwindteller wird von der extremen Scherung in grandiose Strukturen geformt. Die Tailcloud, die sich von der Wallcloud (Bildmitte) aus Richtung FFD ersteckt kratzt am Boden. Den gesamten Entwicklungsweg zwischen den Einzelbildern seht ihr hier nochmal als Zeitraffer:
Die Zelle verstärkt sich zusehends, der Inflow rauscht über unsere Köpfe hinweg direkt in die Superzelle. Selbst als der Niederschlag nur noch wenige 100 Meter entfernt ist ballert uns noch der Inflow in den Rücken. Dieser zweite Zeitraffer wurde komplett weitwinklig aufgenommen. Da uns der RFD leicht südlich verfehlt (wir stehen genau im Inflowbereich) können wir die Zelle nah herankommen lassen, bis uns der RFD fast südlich passiert.
Jetzt aber schnell, wir entschließen uns trotz schlechter ungarischer Landstraßen nochmal davor zu bleiben. Auch aus Angst vor dem potentiell großen Hagel. Nach einer kurzen Flucht gewinnen wir nochmal etwas Raum für ein paar Bilder.
Die toll organisierte Zelle, zusammen mit dem stärksten RFD und dem größten Hagel rauscht nun leicht nördlich an uns vorbei. Mehr als 3cm großen Hagel sehen wir (zum Glück) nicht, es waren deutlich größere Steine dabei, wie wir später auf Facebook zu sehen bekamen.
Nach Durchzug konnten wir noch die tolle Rückseite mit Mammaten bestaunen.
Und eine Blitzshow gabs auf der Rücktour natürlich auch noch, bevor uns ein irgendein Viech mit seeeehr gruseligen Geräuschen von dem dunklen ungarischen Acker vertrieben hat
Das ganze Video zum Chasing findet ihr hier:
Ganz 2020 like floppte die Lage am nächsten Tag natürlich, aber wir waren nicht böse drum. Dieser Trip hatte uns bereits alles gegeben, und wir brauchten eh Zeit zum Eindrücke verarbeiten
Vielen Dank fürs Lesen und schönen Abend/Morgen/Mittag (wann immer ihr das lest)
Anton