Hallo zusammen,
ich melde mich heute mit einem Bericht vom Stormchasing am 07.08.2021 zusammen mit Markus.
Kurz zur Ausgangslage:
Wir befanden uns auf der Vorderseite des Jetstreams, welcher in der Höhe aus Südwest wehte. Bodennah sollte der Wind aus Ost bis Nordost kommen, was einerseits für gute Richtungsscherung als auch für gute Geschwindigkeitsscherung sorgte (Sounding aus München: Temperatur 2m, Messwerte Deutschland vom 07.08.2021, 14:00 Uhr | Messstationen Luftqualität). Zudem sollte ein Leetief am Alpenrand entstehen. Die genaue Position des Leetiefs sollte entscheidend dafür sein, wo genau es zur Auslöse kommt.
Das Cape sollte laut den Modellen direkt an den Alpen bis zu 1000 J/kg betragen, jedoch Richtung Norden rasch abnehmen.
Während am frühen Morgen noch Bewölkung an den Alpen vorhanden war, hat der Föhn schnell für Auflockerung gesorgt, sodass im ganzen Alpenvorland abgesehene von etwas Cirrus, uneingeschränkt Einstrahlung vorhanden war.
Die Modelle hatten zwei verschiedene Varianten im Gepäck, welche über die verschiedenen Läufe relativ konstant berechnet wurden. Während das SuperHD die Auslöse bereits weiterer im Westen im nördlichen Allgäu gegen 17 Uhr berechnet hat, wollte das ID2 zwar bereits im Allgäu erste Signale sehen, allerdings erst viel weiter östlich durchzünden. Zudem sah das SuperHD gegenüber dem ID2 nicht nur eine Zelle direkt an den Alpen, sondern auch eine nördlichere Zellen. Stand: 12z vom Vortag.
SuperHD: Modellkarten für Deutschland (Simulierte Reflektivität 1km ü.Grund) | Mitteleuropa Super HD (3 Tage)
ID2: Modellkarten für Deutschland (Simulierte Reflektivität 1km ü.Grund) | Rapid Update ICON-D2 (2 Tage)
In der Lagebesprechung mit Markus haben wir die Variante vom ID2 bereits als wahrscheinlich angesehen, da direkt an den Alpen die meiste Energie vorhanden war und weiter im Norden der bodennahe Wind bereits die Tendenz hatte auf Nordwest zu drehen, was kalte Luft einfließen lässt. Da noch eine gewisse Unsicherheit vorhanden war, wollten wir uns die Lage am Vormittag des 07.08. noch einmal anschauen.
Am nächsten Tag haben sich beiden Modelle ID2 und SuperHD etwas angenähert. Vom grundsätzlichen Ablauf waren die Vorhersagen allerdings immer noch quasi identisch zum Vortag.
Markus ist schließlich um 11 Uhr losgefahren und zwei Stunden später ging es bei mir in Mitterteich los über die A93 in Richtung Süden. Im Nowcast hatten wir als entscheidende Kenngrößen das Windfeld im Auge. Als Route hatten wir eine Hand voll Optionen, wobei wir uns spontan für die eine oder andere entschieden, je nach Entwicklung der Verkehrs- und Gewitterlage.
Die Optionen waren wie folgt:
Quelle: Google Maps
Bei westlicher Auslöse:
Route nach Irschenberg über München: A93 => A9 => A99 => A8
Allerdings Gefahr von Stau auf der A9, A99 und A8.
Bei nördlicher Entwicklung (SuperHD):
Route nach München und dann A92 oder A94 nach Osten.
Bei östlicher Auslöse (ID2):
Route nach Traunstein: A93 => B15n => B299
Auf der Anfahrt nach Süden ins Zielgebiet war erwartungsgemäß Stauf auf der A99 und A8, weshalb wir uns schnell für die Variante über die B15n entschieden haben, wobei wir im weiteren Verlauf uns noch die Optionen für die westlichere B15 gegenüber der östlichen B299 offen gehalten haben.
Um 15:30 Uhr zeigte sich erste Aktivität nördlich von Memmingen, was zunächst für eine etwas nördlichere Variante sprach. Allerdings wollte das Gewitter nicht so richtig in Fahrt kommen und zudem hat nördlich von München der Wind bereits auf Nordwest geschwenkt, sodass die nördliche Option eigentlich bereits gestorben ist. Das neueste ID2 Modell hatte genau diese Nordwestkomponente im Modell berechnet.
Radar HD+, Regenradar vom 07.08.2021, 15:30 Uhr - Bayern | Wetter von kachelmann.
Windrichtung, Messwerte Bayern vom 07.08.2021, 15:00 Uhr | Wetter von kachelmann.
Modellkarten für Deutschland (Windrichtung und Windmittel) | Rapid Update ICON-D2 (2 Tage)
Aus diesem Grund waren wir weiter optimistisch und haben uns für die östlichste der geplanten Routen direkt nach Traunstein über die B299 entschieden. Auf dem Weg hatten wir mit einer weiträumigen Straßensperre zu kämpfen, welche wir schließlich aber umfahren konnten - zum Glück sind wir früh genug losgefahren. In Traunstein angekommen haben wir erst einmal Brotzeit gemacht. Es war mittlerweile kurz vor 17 Uhr, es hat immer noch nicht gezündet, jedoch war ab dem Landkreis Miesbach/Rosenheim Ostwind, sodass wir weiter optimistisch waren und mit der Zündung jeden Augenblick gerechnet haben.
Radar HD+, Regenradar vom 07.08.2021, 17:00 Uhr - Bayern | Wetter von kachelmann.
Windrichtung, Messwerte Bayern vom 07.08.2021, 17:00 Uhr | Wetter von kachelmann.
Da die Traunsteiner Gegend sehr hügelig ist, sind wir schließlich weiter über die B304 Richtung Osten nach Freilassing gefahren. Mittlerweile hat es über Bad Tölz gezündet, sodass endgültig klar war, dass wir irgendetwas zu sehen bekommen würden. Die Standortsuche war jedoch weiter schwierig. In der Ferne haben wir jedoch einen schönen freistehenden Hügel mit Blick nach Westen gesehen. Dort war ein Dorf erkennbar und kein Wald - der perfekte Spottingpunkt - bloß wie kommt man dort hin? Es wurde schnell klar, der Ausblick war auf österreichischer Seite. Zum Glück hatten wir bereits vorab die Österreich-Option wegen der Einreisebeschränkungen überprüft, sodass wir uns entschieden, den Aussichtspunkt auf dem Hügel zu suchen.
Auf der Suche sind wir schließlich auf Sicht gefahren, durch Wohngebiete, bis wir schließlich abermals vor einer gesperrten Straße standen - langsam kam etwas Zeitdruck auf. Nach weiteren befahren von Bauernstraßen haben wir es schließlich nach oben geschafft. Der Ausblick war bereits gut, allerdings nicht perfekt, da weitere Hügel im Süden und Norden die Sicht etwas eingrenzten. Doch Markus gutes Auge hat gesehen, dass der höchste Punkt des Hügels mit dem Auto erreichbar war. Dort oben angekommen - ein paar Kilometer nördlich von Salzburg nahe Voggenberg - hatten wir einen überwältigenden Blick nach Westen. Es war mittlerweile 18:15 Uhr, die Zelle hat sich mittlerweile gut organisiert:
RadarHD-Stormtracking vom 07.08.2021, 18:15 Uhr - Rosenheim | Wetter von kachelmann.
Nach so viel Text möchte ich schließlich endlich die ersten Fotos zeigen:
Nicht nur der Blick in die Ferne war genial, sondern auch das Lichtspiel. Die Sonnenstrahlen waren wirklich beeindruckend, wenn gleich die Dynamik eine echte Herausforderung für die Bilder war. Bei genauem Blick ist in der Ferne bereits erste Struktur zu erkennen. In unserem Rücken spürten wir deutlich den vorliegenden Ostwind. Das Gewitter zeigte zu diesem Zeitpunkt auch zum Teil Rotation im Dopplerradar.
Doppler-Sweeps vom 07.08.2021, 18:30 Uhr - Isen (Mitte) | Wetter von kachelmann.
Nachfolgendes Bild zeigt bereits die in der Ferne aufziehende Shelfcloud und schöne Schattenwürfe über dem Gewitter.
Mittlerweile ist es 18:40 Uhr. Das Gewitter zieht mit Ost-Nord-Ost Kurs in Richtung Burghausen weit nördlich an uns vorbei.
Radar HD+, Regenradar vom 07.08.2021, 18:40 Uhr - Traunstein | Wetter von kachelmann.
Es sind nun 10 Minuten vergangen, es ist kurz vor 18:50 Uhr. Das Gewitter, das eigentlich weit nördlich von uns vorbeigezogen wäre, hat nun südlich angebaut. Diese neuen Entwicklungen sollten nun einige Kilometer nördlich von uns vorbeiziehen, wir standen aber immer noch so, dass uns der Regen nicht erwischen sollte. Die neuen Gewitter zeigten im Dopplerradar nun auch Rotation und sollten laut Hagelanalyse großen Hagel werfen:
RadarHD-Stormtracking vom 07.08.2021, 18:50 Uhr - Traunstein | Wetter von kachelmann.
Doppler-Sweeps vom 07.08.2021, 18:50 Uhr - Isen (Ost) | Wetter von kachelmann.
Maximale Hagelgrößen vom 07.08.2021 - , Traunstein | Wetter von kachelmann.
Schließlich wurde das südliche Ende der Shelfcloud sehr interessant, weil durch eine Wolkenlücke die Sonne wieder durchgebrochen ist.
Das nördliche Ende zeigte einen intensiven Niederschlagsbereich.
Um 18:55 Uhr war die Böenfront schließlich genau über uns. Die Konvergenz lag genau an unserem Standort:
Windrichtung, Messwerte Bayern vom 07.08.2021, 19:00 Uhr | Wetter von kachelmann.
Zunächst kam mässiger Wind auf, die Kamera auf dem Stativ stand noch stabil. Sicherheitshalber habe ich mich schon einmal in Richtung Stativ begeben. Der Wind wurde immer stärker, bis die Stative schließlich zu Kippen begannen. Selbst durch das Festhalten mit aller Mühe konnten ich das Stativ nicht mehr sicher auf allen drei Beinen halten. Dadurch, dass der Hagel und Regen ein gutes Stück nördlich von uns war und auch keine Gefahr von herumfliegenden Ästen oder ähnlichem bestand, konnten wir an dem Standort weiter bleiben. Lediglich die Blitzschlaggefahr war gegeben, wobei in diesem Fall die Blitze sich auf den Niederschlagskern begrenzt haben. Während des gesamten Beobachtungszeitraums haben wir nicht einen Blitz gesehen und keinen einzigen Donner gehört. Lediglich im Video konnte ich einen Blitz finden. Geschätzt erreichte der Wind bis zu Orkanstärke. Durch die exponierte Lage auf dem Hügel dürfte sich der Wind dort nochmal kanalisiert haben, sodass die Böen stärker als im Flachland gewesen sein dürften. Als der Wind schon wieder deutlich nachgelassen hat, konnte Markus immerhin noch 70 km/h messen.
Während wir versucht haben, das Stativ vom Abheben zu bewahren und dabei selbst nicht wegzufliegen, konnte ich dennoch ein paar Fotos mit meiner zweiten Hand machen, denn die Lichtstimmung war zum Teil wieder genial. Anhand der Wiese kann man auch erahnen, wie sehr der Wind geweht hat. Überraschender Weise ist sogar das frei Hand 360° Panorama während des Sturmes gelungen:
Nachfolgend ein Zeitraffer des Aufzuges sowie Live-Videos der Böen. Achtung: Der Ton ist zum Teil recht laut.
Zuletzt möchte ich euch noch die Route mit Start im Landkreis Tirschenreuth zeigen. Für mich waren es knapp 700km Fahrstrecke, für Markus knappe 1100km.
Quelle: Google Maps
Nach den Bildern und Videos oben ist in unserer Zugrichtung schließlich doch noch ein Schauer mit etwas Regen entstanden, sodass wir zuletzt noch ein paar stürmische Tropfen abbekommen haben, welche durchaus unangenehm waren.
Radar HD+, Regenradar vom 07.08.2021, 19:05 Uhr - Traunstein | Wetter von kachelmann.
Wir sind schließlich zum Auto zurück und haben uns Richtung Heimat aufgemacht. Und da die Route nach Hause genau durch das Gebiet mit den stärksten Hagelsignalen entlang der B20 geführt hat, haben wir uns noch auf Hagelsuche begeben. Obwohl wir das Gebiet nördlich von Laufen im Zick-Zack abgefahren sind, konnten wir kein einziges Hagelkorn - auch keine ganz kleinen - finden und auch keine Hagelschäden feststellen. Lediglich der Mais war auf der Westseite zum Teil merklich vom Wind umgedrückt.
Maximale Hagelgrößen vom 07.08.2021 - , Traunstein | Wetter von kachelmann.
Auf dem Weg nach Hause plagte uns schließlich erneut die Straßensperre auf der B299. Im Nachgang erfuhren wir, dass dort ein Gefahrengut LKW umgekippt war, weshalb die Bundesstraße weiträumig und über Stunden hinweg gesperrt war.
Zuletzt möchte ich noch einmal auf das Chasing zurückblicken und ein Fazit ziehen.
Generell hat bei diesem Chasing alles geklappt und rückblickend hätten wir nichts anders gemacht. Begonnen von der Analyse der Ausgangslage, die Entscheidungen bezüglich des Zielgebietes und auch die Standortsuche hätte nicht besser laufen können. Das Erlebnis, Wind mit >100km/h in einem Gewitter hautnah zu erleben, ist einfach unbeschreiblich.
Was man festhalten kann für zukünftige Chasings:
- Die B15n ist vierspurig ausgebaut, wobei es keine Geschwindigkeitsbegrenzung gibt, was sie gleichwertig mit einer Autobahn macht. Lediglich die letzten paar Kilometer ist die Ausbaustufe noch nicht fertiggestellt, sodass man noch kurz über Landstraßen fahren muss.
- Die B299 ist für die Anfahrt ins südöstlichste Bayern aus dem Norden gut geeignet, vor allem wenn viel Verkehr oder Stau auf der Autobahn ist. Für ein schnelles vorankommen beim Chasen ist sie jedoch nicht geeignet.
- Vor allem in der Ferienzeit ist auf der A8 und A99 ganztägig mit langen Staus zu rechnen, wobei sich diese zum Abend hin zunehmend auflösen. Gerade bei Unfällen kommt es jedoch schnell zu Staus mit >1 Stunde Zeitverlust. Das muss man beim Chasing unbedingt mit einplanen. Unter der Woche ist die Staugefahr dabei geringer als am Wochenende.
- Im Großraum Traunstein bis zur österreichischen Grenze gibt es in Autobahnnähe kaum/keine guten Standorte mit Blick nach Westen. Zum einen ist viel bewaldetes Gebiet vorhanden, zum anderen hat man mit vielen Hügeln zu kämpfen.
- Östlich von Salzburg kommt man in die Alpen rein, sodass erst wieder in Richtung Wels mit guter Sicht gerechnet werden kann (soweit das von unserem Standort aus zu beurteilen war).
Zuletzt möchte ich noch anmerken, dass ich in diesem Bereich gezielt das Wort Superzelle vermieden habe. In der Nachbetrachtung haben Markus und ich Zweifel, ob es sich dabei per Definition um eine gehandelt hat. Gerade in der Anfangsphase im Landkreis Miesbach/Rosenheim zeigte das Gewitter immer wieder Rotation im Doppler-Radar, im weiteren Verlauf ist jedoch nichts dergleichen mehr erkennbar. Lediglich die Neuentwicklungen südlich der ursprünglichen Zelle zeigten nochmals deutliche Rotation. Wir sind deshalb der Meinung, dass sie anfangs superzellulär war, sich im weiteren Verlauf zu einer Multizelle entwickelte und schlussendlich in Österreich zu einem Bow-Echo überging. Gerne hören wir uns auch andere Meinungen dazu an.
An dieser Stelle auf jeden Fall mal Danke fürs Lesen des Berichtes und ein Danke an Markus, für die gute Zusammenarbeit, Navigation und Unterhaltung im Auto.
Viele Grüße
Thomas